Der Verein stiftet Identität: Die VfB-Fans beim Sieg gegen den 1. FC Köln im Dezember. Foto: Pressefoto Baumann

Hoffenheim hat ein Fanprojekt, Babelsberg und Plauen. In 49 Städten in Deutschland kümmern sich hauptamtliche Sozialarbeiter um Fußballfans. In Stuttgart scheiterten mehrere Anläufe. 150.000 Euro schienen dem Gemeinderat zu viel Geld zu sein. Nun wagt man einen neuen Versuch.

Stuttgart - Solche Spender schätzt man. Seit Jahren wedeln das Land und der Deutsche Fußball Bund (DFB) mit Geldscheinen und warten darauf, dass sie ihnen die Stadt Stuttgart endlich abnimmt. Vor zwei Jahren waren es 300.000 Euro, nun sind es noch etwas mehr, weil der DFB sein Scherflein für Fanprojekte erhöhen möchte. Zu gerne würden Ordnungsbürgermeister Martin Schairer und Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer zugreifen. Schon 2011 unterstützten sie den Antrag der FDP-Stadträte, ein Fanprojekt einzurichten und zu unterstützen. Nun wollen sie einen neuen Anlauf wagen. „Ich halte es für eine gute Sache“, sagt Fezer. „Die Erfahrungen anderswo zeigen, dass es sinnvoll ist und man über das Vehikel Fußball junge Leute erreicht.“

Es ist eine seltsame Sache mit diesem Fanprojekt. Alle finden es gut, alle wollen es haben. Seit Jahren überschlagen Fans, Bürgermeister, Stadträte in Stuttgart sich mit Lob, doch wenn es zum Schwur kommt, hat der Gemeinderat außer warmen Worten nichts übrig. Fast überall in Deutschland, wo Profifußball zu Hause ist, kümmern sich Sozialarbeiter um Fußballfans und deren Anliegen, nicht nur im Stadion, sondern auch bei Problemen mit der Schule, den Eltern oder mit Drogen; sie vermitteln zwischen Polizei und Ultras, versuchen Feindbilder aufzubrechen. Finanziert werden die Fanprojekte zu je einem Drittel von Land, DFB und Stadt. In dem Antrag der FDP für den Doppelhaushalt rechnete man mit Kosten von 450.000 Euro für zwei Jahre. Davon wollte man drei Mitarbeiter finanzieren, die Miete fürs Büro und die Ausstattung. Die Stadt hätte davon 150.000 Euro tragen müssen. Das war den anderen Fraktionen zu viel.

„Völlig unverständlich“, fand das Bernd Klingler, Sprecher der FDP-Fraktion. „Da erreicht man mit verhältnismäßig wenig Geld eine große Gruppe“, sagt er, „aber wir werden es beim Doppelhaushalt 2014/2015 wieder versuchen.“ Man müsse sich schon fragen, „ob wir die einzig Schlauen sind und die anderen alle danebenliegen, weil sie Fanprojekte unterstützen“.

VfB-Anhänger und Kickers-Fans, Ultras und Kuttenträger treten für ein Ziel ein

In bettelarmen Kommunen wie Dortmund, Gelsenkirchen, Essen, Berlin, Magdeburg zwackte man das Geld ab, und selbst in Städten wie in Sinsheim, Heimat des Bundesligisten TSG Hoffenheim mit seiner gelinde gesagt überschaubaren Fanszene, gönnt man sich drei Sozialarbeiter. Doch im vergleichsweise wohlhabenden Stuttgart mit drei professionellen Fußballmannschaften, dem VfB Stuttgart in der Bundesliga, dem VfB II und den Stuttgarter Kickers in der dritten Liga, gibt es bisher kein Fanprojekt.

Woran das liegt? Darüber rätseln die Anhänger des VfB Stuttgart und der Stuttgarter Kickers. Rot und Blau passt ja eigentlich nicht zusammen, vereint streiten sie eher selten. Lieber miteinander. Doch in diesem Fall ist das anders. VfB-Anhänger und Kickers-Fans, Ultras und Kuttenträger treten für ein Ziel ein: Sie wollen ein Fanprojekt in Stuttgart. Michael Gabriel ist der Koordinator aller Fanprojekte und hat den hiesigen Anhängern bescheinigt, er habe noch keine Fanszene erlebt, die so hartnäckig und konstruktiv für ein Fanprojekt kämpfe.

Manche der Kämpfer, darunter einige Sozialarbeiter, haben mittlerweile entnervt aufgegeben. Ehrenamtlich haben sie bis vor kurzem noch U-18-Fahrten zu Auswärtsspielen für Jugendliche organisiert, bei denen nicht geraucht und kein Alkohol getrunken wird. Ihre Erfahrung daraus: „Das hat super funktioniert. Aber Fans, die Probleme mit Alkohol, mit der Schule haben, brauchen eine Einzelfallbetreuung, das sprengt den Rahmen“, sagen sie. „Dafür brauchen wir ein Fanprojekt.“

VfB wollt in die Bresche springen, durfte aber nicht

Vor der Kommunalwahl 2009 hatten Stadträte aller Parteien das auch so gesehen und bekundet: Wir stehen zu euch! Wir kriegen das hin! Was geschah? Im Haushalt bewilligten sie kein Geld für ein Fanprojekt. Das Jugendamt fürchtete um Stellen, wahrte seine Pfründe. Und der Kämmerer hatte die Parteien aufgeschreckt mit dem Hinweis, man müsse dringend sparen, sonst drohe die Pleite. Also wurde der Antrag der FDP abgelehnt.

Der VfB wollt in die Bresche springen, durfte aber nicht. Denn das Konstrukt sieht vor, dass die Fanprojekte nicht von den Vereinen bezahlt werden dürfen, um die Unabhängigkeit zu gewährleisten. Schließlich ist der Verein auch Partei, spricht etwa Stadionverbote aus und setzt sie durch. Mittlerweile hat er einen dritten Fanbetreuer eingestellt, der aus der mobilen Jugendarbeit kommt. Ein weiterer Sozialarbeiter soll folgen. „Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst“, sagt Stefan Heim, beim VfB als Direktor für die Fans zuständig. „Aus unserer Sicht ist eine unabhängige Anlaufstelle wichtig.“ Ein Fanprojekt.

Auf das auch die Robert-Bosch-Stiftung wartet. Sie finanziert Lernzentren, die es mittlerweile in 13 Städten in Deutschland gibt. Dabei wird versucht, über den Fußball Jugendliche zu erreichen und mit ihnen über Gewalt, Toleranz und Rassismus zu sprechen. „Wir würden gerne auch an unserem Heimatort tätig werden“, sagt eine Sprecherin der Stiftung. Dazu braucht es allerdings ein Fanprojekt. Denn die Bosch-Stiftung arbeitet mit den Fanprojekten zusammen. Und zahlt etwa in Bremen 40.000 Euro pro Jahr für das dortige Lernzentrum. Ein freigebiger Spender. Der in der Heimat aber kein Geld ausgeben darf.