Demonstration in Stuttgart gegen die Abschiebung von Roma in die Westbalkanstaaten. Foto: dpa

Das Land Baden-Württemberg unterstützt Sinti und Roma dabei, ihre Situation zu verbessern. Welche Ansätze werden finanziert?    

Mannheim - Jovica Arvanitelli hat eine zusätzliche Aufgabe übernommen. In der neuen Schneiderwerkstatt in der Mannheimer Innenstadt wird der 38-Jährige EU-Einwanderern sein Handwerk näherbringen. Die Qualifizierung, die vom Integrationsfonds der Stadt gefördert wird, soll es ihnen erleichtern, beruflich Fuß zu fassen. Arvanitelli, der als Junge 1991 mit seiner Familie aus dem Kosovo geflohen ist, hat in Deutschland eine Ausbildung zum Schneider gemacht und für mehrere Unternehmen als Modeberater gearbeitet, bevor er 2014 Leiter der Beratungsstelle für gleichberechtigte Teilhabe beim Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma wurde.

Die Schneiderwerkstatt ist eines von mehreren Projekten, mit denen der Landesverband die Situation der Sinti und Roma verbessern will. Seit mehr als 600 Jahren leben Angehörige der aus Indien stammenden Volksgruppe in Deutschland, 1997 wurden sie als vierte nationale Minderheit neben den Dänen, Sorben und Friesen anerkannt. Doch noch immer kämpfen viele der schätzungsweise 12 000 deutschen Sinti und Roma im Südwesten um ihren Platz in der Gesellschaft. Noch schwieriger ist es für Einwanderer. „Bis heute gibt es eine Menge Vorbehalte und Vorurteile“, sagt Daniel Strauß, Vorsitzender des baden-württembergischen Landesverbandes. „Der Staatsvertrag war und ist ein wichtiger Schritt zur Beendigung der Ausgrenzung. Wir sehen ihn als Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung.“

Schutz für Kultur, Tradition und Sprache

2013 haben die grün-rote Landesregierung und der Landesverband einen Staatsvertrag geschlossen – den ersten bundesweit. Inzwischen hat Grün-Schwarz die Vereinbarung um 15 Jahre verlängert. Außer der AfD stimmten alle Parteien im Landtag zu, dass die jährlichen Zuschüsse von 500 000 Euro auf 700 000 Euro angehoben werden. 2020 werden es 721 000 Euro sein, danach erhöht sich die Förderung um zwei Prozent jährlich. „Mit dem ersten Staatsvertrag kam Baden-Württemberg erstmals umfassend der Aufgabe nach, Kultur, Tradition und Sprache der Minderheit zu schützen und zu fördern”, erklärt Staatsministerin Theresa Schopper (Grüne), die den Rat für die Angelegenheiten deutscher Sinti und Roma koordiniert. In dem Gremium mit Vertretern der Minderheit, des Landes und der Kommunen sollen drängende Aufgaben gemeinsam besprochen und angepackt werden.

Mehr Anstrengungen für Bildung

Eine davon ist die Bildung. Eine Studie des Landesverbandes aus dem Jahr 2012 belegt, dass Kinder aus Roma-Familien ihren Altersgenossen zum Teil weit hinterherhinken. Überdurchschnittlich viele besuchen eine Sonderschule, zu wenige schaffen eine Ausbildung oder ein Studium. „Das sind Spätfolgen des Nationalsozialismus”, sagt Strauß, der die Bildungsstudie auf den Weg gebracht hat. Viele Sinti und Roma, die die Konzentrationslager überlebten, hätten nach dem Krieg den Behörden misstraut und ihre Kinder deshalb nicht zur Schule geschickt. Daher sei einem großen Teil der Nachkriegsgeneration der Bildungsaufstieg verwehrt geblieben. Strauß selbst hatte Glück. Er konnte eine Ausbildung machen, sein Sohn ist Deutschlehrer. Nicht alle erfolgreichen Sinti und Roma sprechen offen über ihre Herkunft – auch aus Angst vor Diskriminierung. Die erleben viele, wenn sie sich beispielsweise um eine Stelle bewerben oder eine Wohnung suchen.

Fortbildungen für Schulen und Kommunen

Wie schwierig die Situation ist, erfährt auch Christine Bast Tag für Tag. Im Kulturzentrum Romnokher in Mannheim suchen frustrierte Schüler, verzweifelte Eltern und überforderte Lehrer Rat. Zwischen den sehr unterschiedlichen Lebenswelten zu vermitteln sei nicht einfach, sagt die Referentin für Bildung und Soziales. Durch den Zuzug von Roma aus Süd- und Osteuropa sowie von Flüchtlingen sind die Belastungen und Vorbehalte teils gewachsen. Mit Fortbildungen versuchen Bast und ihre Kollegen, Schulen und Kommunen zu unterstützen – und Vorurteile abzubauen. Nötig wären aus ihrer Sicht auch mehr Lehrer und Sozialarbeiter, damit die Kinder besser unterstützt werden könnten.

Als Erfolg des Staatsvertrages betrachtet Strauß, dass die Verfolgung von Sinti und Roma in die baden-württembergischen Bildungspläne aufgenommen wurde. Die Dauerausstellung im Kulturzentrum Romnokher berichtet über ihren weiten Weg von Indien nach Europa, ihre jahrhundertelange Ausgrenzung und Überlebensstrategien, den nationalsozialistischen Völkermord und die Bürgerrechtsbewegung. Und auch über ihren Beitrag für die Kultur. Django Reinhardt, Charly Chaplin, Pablo Picasso und Anna Netrebko stammen von Roma ab, Marianne Rosenberg ist eine Sintezza.

Schon Beethoven war beeindruckt

Nicht erst Django Reinhardt habe die Musik der Mehrheitsgesellschaft mitgeprägt, sagt der Pianist Jerome Weiss. Bereits Komponisten wie Ludwig van Beethoven oder Franz Liszt seien von Roma-Musikern beeinflusst worden. In seiner neuen Musikschule lernen auch Kinder und Erwachsene, die keine Noten lesen können. Er selbst hat als Dreijähriger von seinem Großvater das Klavierspielen gelernt – durch Hinhören, Spielen und Improvisieren. Wie Generationen vor ihm.

Mit den Zuschüssen des Landes werden auch Romanes-Sprachkurse finanziert. Manche Teilnehmer sind mit der Sprache aufgewachsen, die mit Sanskrit verwandt ist und als größte Minderheitensprache gilt. In anderen Familien sei dagegen nur Deutsch gesprochen worden, weil die Eltern nicht auffallen wollten, erzählt Chana Dischereit, wissenschaftliche Referentin beim Landesverband. Ihnen liege viel daran, dass die Sprache nicht verloren gehe. Seit einigen Jahren gibt es sogar eine Übersetzung des Neuen Testaments in Romanes.