Ende Mai ist das Örtchen Braunsbach im Kreis Schwäbisch Hall nahezu komplett überschwemmt worden. Auch wenn die Folgen der Sturzflut noch lange zu spüren sein werden – unterkriegen lassen will man sich hier nicht. Das örtliche Laientheater lädt zur Premiere – wie jedes Jahr.

Braunsbach - Bald zwei Monate sind seit jener folgenschweren Nacht vergangen, als die Gemeinde nahezu komplett überschwemmt wurde. Noch immer ist die Ortsdurchfahrt gesperrt. An einem Haus hängt ein Schild „Zu verkaufen“, an einem anderen ersetzt Plastikfolie die Eingangstür, sichtlich erschöpfte Männer sitzen am Samstagabend bei einem Bier zusammen. Braunsbach (Kreis Schwäbisch Hall) ist noch weit von der Normalität entfernt.

Doch auf der so genannten Kulturinsel am Kocherufer, einem ausgedienten Bauhof, wähnt man sich plötzlich in einer anderen Welt. Eine Bühne ist aufgebaut, davor sitzen einige Schaulustige und Helfer. Lachen, laute Musik sind zu hören. Unter dem Regiment von Regisseurin Renate Kilb probt die Theatergruppe der Gemeinde „Das Bauernopfer“, eine „Komödie mit Tiefgang“ von Manfred Eichhorn.

Kilb hat den Text vom Schwäbischen ins Hohenlohische übertragen. Die 15 Laienschauspieler im Alter zwischen 12 und 57 Jahren stecken in schrägen Kostümen aus den 1970er Jahren und tragen Headsets. Ton und Licht sind professionell programmiert. Frank Harsch, der Bürgermeister der zerstörten Gemeinde und langjähriges Ensemblemitglied, gibt in dem Stück sinnigerweise den gierigen Bauunternehmer: „Herrliche Gegend, wird Zeit, dass wir sie zubauen.“ Im Programmheft schreibt Harsch: „Braunsbach trotz(t) der Sturzflut.“ Die alljährliche Freilichtaufführung findet statt – und das, obwohl jeder und jede auf die eine oder andere Weise von der Katastrophe betroffen ist. Ulrike Frick hat mit ihrer Familie bei Schwägerin und Schwager Unterschlupf gefunden. Das Haus an der Orlacher Straße ist nicht bewohnbar, auch der Stall der Nebenerwerbsbauern ist beschädigt. „Zum Glück haben wir die Rinder noch einen Tag zuvor auf die Weide gebracht“, erinnert sie sich.

Trotz der vielen Arbeit bleibt Zeit fürs Theater

Jetzt warten die Fricks auf die Baufreigabe durch die Versicherung, im November spätestens muss alles renoviert sein, damit auch die Tiere wieder ein Dach über dem Kopf haben. Genug Arbeit also, und trotzdem spielt sie Theater? „In der Kirche ist mir eine Liedzeile im Ohr geblieben“, erzählt Ulrike Frick: „Wir vergrößern Not und Leid durch unsere Traurigkeit.“ Das habe sie motiviert, auch die anderen zu motivieren: „Wir wollen den Menschen und uns ein Stückchen Normalität wiedergeben.“ Niemand ist zu Tode gekommen, „das sollten wir feiern“, sagt Frick.

Nicht alle waren fürs Weiterspielen. Armin Damm – er gibt in dem Stück den schmierigen Landrat – wollte aufhören oder die Premiere wenigstens ins nächste Jahr verschieben: „Wir haben ohnehin viel zu viel zu tun.“ Sein Büro im Erdgeschoss des Hauses in der Ortsmitte ist komplett zerstört, die Rechner des IT-Dienstleisters sind weggespült. „Ich habe gleich am nächsten Tag neue Computer bestellt“, rund 40 000 Euro werde ihn die Wiederbeschaffung der Ausstattung kosten. Damm treiben existenzielle Sorgen um. Aus Solidarität, sagt er, habe er sich zuletzt dem Wunsch der Mehrheit gebeugt. Bereitwillig berichten die Akteure in den Probepausen, wie sie jene Nacht erlebt haben. Erzählen hilft beim Verarbeiten. „Ich hab am 29. unwahrscheinlich Glück gehabt“, erinnert sich Sabine Eberlein, die in der Ganztagesschule der Gemeinde arbeitet. Sie war in jener Nacht nach der Theaterprobe mit dem Auto auf dem Weg nach Hause, als sich der Grimmbach, der die Straße zwischen Braunsbach und Geislingen kreuzt, plötzlich in eine reißende Gerölllawine verwandelte. „Ein paar Minuten später hätten mich die Baumstämme mitgerissen.“ Regisseurin Renate Kilb, die in Künzelsau Kulturveranstaltungen managt, musste auf dem Heimweg ihr Fahrzeug stehen lassen und mit anderen zu Fuß durchs Wasser am Kocherufer flüchten. Die Kulturinsel ist als einziger Platz in der Ortsmitte unversehrt geblieben. „Das sehen wir auch als Zeichen“, sagt Margit Rapp, eine Mitarbeiterin der Gemeinde, „das Leben geht weiter.“

Die unversehrte Kulturinsel wird als Zeichen verstanden

Die Einnahmen der vier Vorstellungen an den beiden kommenden Wochenenden gehen an die Opfer des Unglücks, die Einnahmen aus der Gastronomie ebenso. Am Ende der unterhaltsam-derben Komödie muss sich der eine oder andere dann doch eine Träne aus dem Auge wischen. Das Ensemble hat sich rund um ein symbolträchtiges Requisit – ein Paar Gummistiefel – aufgestellt, dann singen alle gemeinsam den legendären Karat-Song: „Über sieben Brücken musst du gehn“. Es eint sie die Hoffnung, dass Braunsbach nicht noch „sieben dunkle Jahre übersteh’n“ muss.