Wer Platzprobleme hat, kann seine sieben Sachen bei der Lagerbox am Pragsattel in Stuttgart unterbringen. Foto: Hänssler

Der moderne Mensch hat ein Platzproblem. Der Trend geht zur Lagerbox auch am Pragsattel.

Stuttgart - Der moderne Mensch hat ein Platzproblem: Ob Jobwechsel, Auslandsaufenthalt oder Scheidung - stets stehen einem Dinge im Weg. Deshalb lagern die Deutschen ihr Hab und Gut immer öfter in einer gemieteten Lagerbox ein.

Wenn ihr Enkel "Gehen wir in die Box?" fragt, fahren sie wieder hin. Zum Rumstöbern in ihre drei Quadratmeter große Lagerbox auf dem Stuttgarter Pragsattel. Um ihre ausgelagerte Familiengeschichte zu besuchen. "Unser Sohn hat uns auf die Idee mit dem Einlagern bei My Place gebracht", sagt Gisela Lutz, während ihr Mann Arnulf die Metalltür im zweiten Stock aufschließt. Betreten kann man den Raum nicht, so zugestellt ist alles mit Kartons voller Tagebücher, Bilder, Skizzen, Andenken. Mittendrin thront ein alter Architektenschrank.

Der lange, hell ausgeleuchtete Gang ist videoüberwacht. Alles ist trocken, sauber. Sonst ist niemand da, alle anderen Türen sind verschlossen. Fehlen nur noch Gitterstäbe, um sich wie im Gefängnis zu fühlen. "Finden Sie?", fragt Arnulf Lutz. "In meinen Augen ist das Gebäude gelungen. Es ist funktional, praktisch, übersichtlich. Man fühlt sich wohl hier", sagt der 77-Jährige.

Das Konzept des Selbst-Einlagerns

Er muss es wissen, immerhin hat er als erfolgreicher Architekt gearbeitet. Plötzlich zieht Arnulf Lutz aus einer Schublade des Schranks eine Zeichnung hervor, sie ist bald 100 Jahre alt. Arnulf Lutz' Vater war Bauhaus-Schüler, seine Entwürfe atmen den Geist jener Jahre. Lutz fährt ehrfürchtig mit dem Zeigefinger die geometrischen Figuren nach. Schade, dass diese Erinnerung nun in einer schnöden Box im Stuttgarter Industriegebiet versteckt wird, in der es nicht einmal Licht gibt. Immerhin verrottet nichts, die Temperatur wird konstant gehalten, sie sinkt nie unter fünf Grad. "Und ich habe immer eine Stablampe zur Hand", sagt Lutz.

Mehr als 40 Jahre hat das Ehepaar in Leonberg gelebt. Doch mit dem Alter kam die Sorge, wie man das große Haus allein bewirtschaften sollte. Mit dem Umzug in ein Seniorenheim kamen die Platzprobleme - da hatte der Sohn beim Internetsurfen die Idee mit der günstigen Alternative zur Mietgarage. "Es ist nur eine Übergangslösung", sagt Gisela Lutz, "aber eine, mit der wir sehr zufrieden sind."

So wie Gisela und Arnulf Lutz machen es viele. Gerade in Ballungsräumen sind immer mehr Menschen auf das Zwischenlagern ihrer Dinge angewiesen. Das Konzept des Self Storage, was man in etwa mit "selbst einlagern" übersetzen kann, wurde aus Amerika übernommen, wo diese Praxis seit den 70er Jahren üblich ist. Waren es im Jahr 2000 gerade mal vier Containerhäuser in Deutschland, ist die Zahl binnen zehn Jahren auf 59 angewachsen. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Viele Menschen wechseln immer öfter ihre Arbeitsstelle, haben aber noch nicht die passende Wohnung in der anderen Stadt gefunden. Manche gehen für eine Weile ins Ausland. Andere müssen finanziell kürzer treten und mit einer kleineren Bleibe vorlieb nehmen. Wieder andere wollen ihre Wohnung mal wieder streichen.

"Die Deutschen sind flexibler geworden"

Also lagert man ein. Was früher in bürgerlichen Kreisen eher als Zeichen einer kritischen Lebenssituation gedeutet wurde, ist heute der Normalfall. Was auch daran liegt, dass das Selbstlagern heute einfacher ist. Wer sich wie Gisela und Arnulf Lutz bei My Place an die Empfangstheke stellt, muss keine Inventarliste anfertigen oder langfristige Verträge unterzeichnen, wie es häufig bei großen Möbelspeditionen erforderlich ist. Man benötigt nur einen Personalausweis und eine Bankverbindung. Die Mindestmietdauer beträgt meist zwei Wochen. Der Mieter erhält dann mit der Chipkarte einen Code für die Zugangsschranke, mit dem er seine Lagerbox aufsuchen kann - bei My Place täglich von 6 bis 22 Uhr. Die Größe der frostsicheren Lagerräume reicht von einem bis zu 50 Quadratmetern. Mietkosten? Ab einem Euro pro Tag.

Neben den praktischen Vorteilen sind es vor allem gesellschaftliche Veränderungen, die diesen Trend erklären. "Die Deutschen sind flexibler geworden", sagt Rüdiger Jehn, Prokurist von Lagerbox in Stuttgart-Feuerbach. Lagerbox ist in der Stadt der größte Konkurrent von My Place. Das gelbgraue Gebäude bietet 555 Mietboxen an, doch Jehn hat keine Bedenken, dass man sich gegenseitig die Kunden abschwatzt. Die Auslastung ist gut. Self Storage boomt, auch in Krisenzeiten. "Schließlich brauchen die Leute immer Platz."

Jehn weiß das aus eigener Erfahrung, er ist beruflich viel unterwegs, betreut nicht nur den Standort in Stuttgart. Letztens hat er privat eine Wohnung in Berlin gesucht und in der Übergangsphase selbst seine sieben Sachen eingelagert. Berlin ist die Hauptstadt des Self Storage - was bei jährlich 400.000 Umzügen kaum wundert.

Doch was die expandierenden Unternehmen freut, sehen andere mit Sorge: das improvisierte Leben. Schließlich ist die Tendenz auch Folge der steigenden Mieten in Großstädten. "Self Storage ist eine praktische Lösung bei einem Umzug oder vorübergehender Abwesenheit", sagt Angelika Brautmeier, Geschäftsführerin vom Mieterverein Stuttgart. "Doch wenn man ständig darauf angewiesen ist, weil man keinen Kellerraum oder Dachboden anmieten kann, da diese bereits zu Wohnungen ausgebaut sind, ist dies ein Hinweis auf zu wenige bezahlbare Mietwohnungen."

Lagerraum anstelle eines Büros

Rüdiger Jehn kennt das Argument. Aber das sei nun mal der Lauf der Welt, sagt er. Was ihn mehr bedrückt, sind die persönlichen und nicht immer lustigen Geschichten, die seine Kunden einlagern: "Was glauben Sie, wie viel Menschenmüll bei uns abgeladen wird?" Dann erzählt er von einem Paar, das mitten im Rosenkrieg seine Wohnung aufteilte und auf demselben Stockwerk, aber in weit auseinander liegenden Verschlägen die Habseligkeiten verstaute. Oder von jenen, die nach dem Tod eines Angehörigen eine Wohnung auflösen und mit ihrem Schmerz in der Box herumräumen. Doch Jehn und seine Mitarbeiter sind diskret, sie hören notfalls zu - mehr aber auch nicht. Was und warum eingelagert wird, ist prinzipiell egal. Nur wenn es aus einer Box zu stinken beginnt, besteht Handlungsbedarf.

Thomas Kärgel steht vor der Tür. Ein Stammkunde. Der 33-Jährige arbeitet für ein EDV-Unternehmen in Hagen, betreut mit einem Kollegen den Außendienst und damit "die Filiale" in Stuttgart. Dafür braucht er kein Büro. Die Firma bezahlt die Miete für den 13 Quadratmeter großen Lagerraum. "Da bin ich manchmal täglich", sagt Kärgel und zeigt sein Reich: Regale voller Kabel und Festplatten. Längst nicht so interessant wie die Familiengeschichte von Gisela und Arnulf Lutz, könnte man meinen. Andererseits sind bezahlbare Büros und Lagerräume auch für Selbstständige eine Frage, von der vieles abhängt. Wer hier Kosten spart, kann anderswo investieren.

Die Regale hat Kärgel zusätzlich gemietet, das bieten gute Self-Storage-Unternehmen als Service, ebenso wie einen großen Lastenaufzug, handliche Transportwagen und sogar eine Postannahme. "Ein entscheidender Vorteil für Gewerbekunden", sagt Kärgel, so muss er die zugeschickten Pakete nicht zwischen seiner Wohnung und dem Lagerraum hin- und herschleppen. Sagt's und verschließt die Tür mit einem Zahlenschloss. Schließlich hat er noch zu tun.

Unten an der Theke steht bereits ein neuer Kunde, ein junger Mann, der etwas für zwei Wochen einlagern will. In welcher Lebenssituation er steckt, weiß nur er selbst, glücklich schaut er jedenfalls nicht aus. Eines ist aber sicher: Er hat wie so viele in diesem Land ein Platzproblem.