Es ist vorbei: Die Bücherstube Oechsle schließt. Der 1987 eröffnete Laden rentiert sich nicht mehr. Foto: Ralf Poller/Avanti

Der kleine Laden in Oberstenfeld war ein Familienprojekt der besonderen Art: Unten das vom Junior geführte Buchgeschäft, oben die Galerie mit Bildern des Seniors. Doch das Konzept trägt sich nicht mehr.

Andrea Jetter steht im Buchladen vor fast leeren Regalen. Ein paar Reiseführer sind noch da, ein paar Kinderbücher, vereinzelte Ratgeber und Romane. „Erst hat der Wintermantel zugemacht, jetzt die Bücherstube. Ich bin mit diesen Geschäften aufgewachsen, es ist so traurig“, sagt sie. „Dem Ort geht das Herz verloren.“ Jetter ist seit Jahrzehnten Kundin in der Bücherstube Oechsle. Heute sagt sie dem Buchhändler Eckhard Oechsle und seinem Vater Hanns-Otto, der auch gerade da ist, adieu. Am Freitag hat der kleine, in einem Fachwerkhaus residierende Buchladen letztmals geöffnet.

Nagende Wehmut zwischen fast leeren Regalen

„Ende Januar haben mein Vater und ich die Zahlen angeschaut“, sagt Eckhard Oechsle. „Dann haben wir einander angeschaut. Und dann habe ich gesagt, bevor die Novitätengespräche anstehen und wir die Bücher für die Sommersaison bestellen, müssen wir jetzt die Notbremse ziehen. Die Schieflage wird zu groß. Es geht nicht mehr.“

Mit dem besiegelten Ende des Buchladens endet ein langes Stück Oechsle’scher Familiengeschichte – aber nicht nur das. Dass auch dieses Geschäft dem leisen Ladensterben zum Opfer fällt, macht den Ort ärmer. Denn die Bücherstube war auch Begegnungs- und Kommunikationspunkt – und das ist sie wenige Tage vor der Schließung nochmals in verdichteter Weise. Es ist ein Kommen und Gehen, ein kollektives Erinnern und eine nagende Wehmut angesichts einer Entwicklung, die auch vor einem Buchlädlein keinen Halt macht, dem es nicht hilft, eine Fangemeinde zu haben, wenn diese eben immer kleiner wird.

Selbst wenn zu den Kunden auch viele Beilsteiner oder Großbottwarer gehörten: „Es gibt zwar noch die Übriggebliebenen wie mich, die gerne ein richtiges Buch in der Hand halten. Aber Leute kaufen einfach weniger Bücher, oder sie kaufen sie im Internet und kommen nicht mehr ins Geschäft. In der Coronazeit haben wir dann weitere Kunden ans E-Book und an Amazon verloren“, sagt Eckhard Oechsle. Und Jugendliche würden sich auch immer weniger von der Magie eines Buches verzaubern lassen. Oechsle erinnert sich an ein Zufalls-Gespräch in der S-Bahn, als sein Gegenüber sich sinngemäß darüber ausließ, wie anstrengend das sei: all dieser Text und keine Bilder dazu. „Dabei besteht der Zauber ja darin, dass da nur bedrucktes Papier ist und daraus im Kopf eine Welt entsteht“, findet Oechsle.

Wanderkarten, Naturführer, Lexika: Braucht man allles nicht mehr in Buchform

Der 51-Jährige lamentiert aber nicht, er stellt die Dinge nüchtern fest. „Was man früher aus dem Buchladen gebraucht hat, braucht man heute nicht mehr, weil man es online kriegt: Wanderkarten, Naturführer, Lexika . . . Und gekocht wird mit Youtube-Tutorials oder mit dem Thermomix. Das sind gesellschaftliche Entwicklungen, die wir nicht aufhalten.“ Er habe in den 1990er Jahren einen Vortrag von Thomas Middelhoff gehört, erzählt Oechsle, „der sagte damals schon: Leute, täuscht euch nicht, das Digitale wird übernehmen. Auch wenn er später im Gefängnis saß: Das war visionär. Ich wollte es damals allerdings nicht recht glauben.“

Die kleine Buchhandlung war auch deshalb ein Unikat, weil Eckhard Oechsles Vater Hanns-Otto im ersten Stock auch seine Aquarell- und Ölbilder zeigte und verkaufte. Dass der umtriebige frühere Lehrer, Autor, Dichter, Künstler, Gemeinderat und stellvertretende Bürgermeister Ausstellungsflächen für seine Werke haben wollte, war einer der Gründe gewesen, den Buchladen überhaupt zu eröffnen. Etliche seiner Motive – ob Winterliches zu Weihnachten oder ob Orts- und Stadtansichten aus der Region – fanden auch als gedruckte Post- oder Doppelkarten Absatz. Weil der Senior im Ort bekannt ist wie ein bunter Hund, entspinnen sich im Buchladen sofort Gespräche, wenn Kunden ihn dort antreffen. Viele unterrichtete der 79-Jährige einst als Lehrer. Im Nu sinniert man über Klassenfahrten oder lacht über Anekdoten aus dem Kunst-Unterricht – kleine Heiterkeitsinseln in einer ansonsten deprimierenden Abwicklungs-Atmosphäre.

„Einerseits bin ich erleichtert, weil der Druck immer größer wurde“, räumt Eckhard Oechsle angesichts des Endes des Ladens ein, in dem er von Anfang an eingespannt war – seine Buchhändlerlehre machte er für dieses Familienprojekt, berufsbegleitend sattelte er den Handelsfachwirt und den Betriebswirt drauf. „Andererseits ist da eine Grundtraurigkeit, ein Abschiedsschmerz gegenüber den Kunden. Ich habe die Jahre mit ihnen sehr wertgeschätzt.“ Er empfehle sie nun an die nächstgelegenen inhabergeführten Buchhandlungen in der Region weiter, sagt Oechsle. Er selbst hat eine berufliche Perspektive in einer ehemaligen Fachbuchhandlung gefunden, die jetzt digitale Inhalte vermittelt. Während er erzählt, steht vorne an der Kasse wieder eine traurige Kundin. „Ihr wart das Herz von Oberstenfeld, wir könnten Tag und Nacht heulen“, klagt sie. „Das darf doch einfach nicht wahr sein.“

Viele Herausforderungen für den Buchhandel

Schwierige Lage
 „2022 war für den Buchmarkt ein herausforderndes Jahr“, resümierte Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Ende Januar 2023 über die Lage der Buchbranche. Buchhandlungen und Verlage hätten die Coronapandemie mit großem Einsatz, Innovationsgeist und Kundennähe gemeistert, „diese Zeit hat die Unternehmen aber stark wirtschaftlich herausgefordert.“ Und jetzt stehe die Branche durch Beschaffungsengpässe, steigende Produktions- und Energiekosten und ein historisches Konsumtief vor neuen Hürden. Zudem führe die allgemeine Inflation dazu, dass auch Buchkundinnen und -kunden jeden Euro zweimal umdrehten.

Schwäbisches Leben
 In der Buchhandlung haben die Oechsles auch eigene Titel verkauft: Hanns-Otto Oechsle hat mehrere Mundart- und Kinderbücher sowie Bücher über das Bottwartal veröffentlicht.