In den geräumigen, lichtdurchfluteten Stallungen des Buckingham-Palastes warten die Kutschpferde der englischen Königin auf ihre nächste Dienstfahrt Foto: The Royal Collection

In den königlichen Stallungen trainieren Rösser und Kutscher für die Fahrten der Queen.

London - Es ist ein unscheinbarer Torbogen, an dem sich der Verkehr in London entlangquält. Wer ihn durchschreitet, tritt ein in eine Ära, in der Kutschen so viel galten wie heute ein Ferrari. Fast 200 Jahre lang ist in den Royal Mews, den Hofstallungen des Buckingham-Palastes, alles beim Alten geblieben.

Dicke Mauern dämpfen die Motorengeräusche von draußen. Hier, im Hof des vielleicht feinsten Pferdestalls Europas, schätzt man ein anderes Tempo, eine andere Art der Fortbewegung. Vier Beine, ein wohltemperiertes Gemüt und Samtpolster kommen der Philosophie der Royal Mews am nächsten. Dies hier ist kein Museum - Besucher, die um den Nebeneingang des Palastes wissen, betreten eine lebendige, arbeitende Abteilung des Königlichen Haushaltes.

Von Hand wird im Hof gerade die australische Staatskutsche verladen. Sie kommt vom Schloss Windsor, wo der Emir von Qatar die Königin besucht. Für die zehn Windsor Greys, die liebsten Kutschpferde der Queen, ist dies eine wichtige Dienstreise: Sie führen bei Staatsbesuchen wie diesem stets dekorativ die Parade an.

24-Stunden-Betreuung

Das ganze Jahr über ist der Terminkalender der königlichen Rösser dicht gedrängt. Im Frühjahr laufen sie in Ascot auf, im Herbst fahren sie zur Parlamentseröffnung zum Oberhaus - im Schlepptau die Queen, den Prinzgemahl, Preziosen oder, im langweiligsten Fall, die Post, die täglich vom Palast zum St. James's Square transportiert werden will.

38 Kutscher, Handwerker und Stallburschen leben direkt über den Stallungen des Buckingham-Palastes - gewandet in gold-beknöpfte Uniformen, mitten in London und doch losgelöst vom Takt der Stadt. "Die Pferde brauchen rund um die Uhr Aufmerksamkeit", sagt Sarah Goldsmith, Mitarbeiterin des königlichen Haushaltes, "sie müssen auch jederzeit einsetzbar sein."

Manche, wie der Restaurator Martin Oates, arbeiten schon in der vierten Familiengeneration für den PS-starken Fuhrpark. Am Tagesablauf des Teams hat sich seit 1825, als die Mews, Verschläge für kostbare Jagdfalken während ihrer Mauser, im Palastgarten den Betrieb aufnahmen, nichts geändert.

Immun gegen Blitzlichtgewitter und Orchesterlärm

Morgens um 6 Uhr beginnt der Tag für die Bediensteten: Sie misten Boxen aus, putzen die fast 40 Tiere und wärmen sie auf. Danach fängt für alle Zwei- und Vierbeiner Ihrer Majestät das Training an. In der Reithalle werden die Arbeitspferde allen Eindrücken ausgesetzt, die sie bei Auftritten vor großem Publikum zu bewältigen haben: wehende Flaggen, Blitzlichtgewitter, Orchesterlärm, Gebrüll, Betrunkene oder Ohnmächtige, die ihnen vor die Hufe fallen. Selbst Schüsse dürfen sie nicht irritieren.

Mit vier Jahren kommen die nach Optik und Temperament ausgewählten Tiere zum Palast, 15 Jahre lang lernen und arbeiten sie dann für die prominente Dienstherrin. Als Pferdenärrin lässt Elizabeth II. sich die persönliche Inspektion der Hofstallungen nicht entgehen: Zweimal im Jahr schaut sie höchstpersönlich nach dem Rechten.

Auch die Kutscher üben täglich, um peinliche Bauchlandungen zu vermeiden. Nimmt die Königin die schottische Staatskutsche, so müssen Begleiter ihr die Tür öffnen, denn Griffe an der Innenseite fehlen. Timing ist in diesem Fall alles: Die livrierten Herren schwingen sich in voller Fahrt von der Hinterachse über einen kleinen, güldenen Fußsteig zu Boden und stehen hoffentlich parat, wenn das historische Gefährt hält. Neidisch auf die benachbarten Rolls-Royce-Chauffeure ist der exklusive Stallzirkel trotz der Leibesübung nicht.

Lieblingskutsche der Queen hat Heizung und elektrische Fensterheber

Zwischen Mistgabeln, Scheuklappen und Ledergeschirren verwalten die Stallmeister immerhin ein großes, historisches Erbe. Alle Kutschen des königlichen Haushaltes sind in den Royal Mews zu sehen, darunter die Hochzeitskutsche von Diana und Charles und die aktuelle Lieblingskutsche der Queen mit Zentralheizung und elektrischen Fensterhebern. Die bemalten, in Form geschnitzten Unikate des radio- und fernsehfreien 18. und 19. Jahrhunderts gleichen noch heute Litfaßsäulen voller politischer Botschaften. Im Stall erklärt man zum Beispiel gern, dass vergangene Könige ihre geliebten weißen Pferde gegen schwarze austauschten, weil man sich schon in der Fellfarbe von Napoleon distanzieren wollte.

Heute sind die Pferde längst kein Politikum mehr, aber an den Relikten dieses einst so mächtigen Königreiches schleppen sie weiter schwer. Die Golden State Coach, teuerste und berühmteste Kutsche der Welt, hat in zwei Jahren ihren nächsten großen Auftritt. Acht Pferde der Royal Mews werden das Prunkstück zum 60-Jahr-Thronjubiläum der Königin ziehen. Vier Tonnen wiegt es - so viel wie zwei rote Doppeldecker-Busse. Schon jetzt üben die Tiere im Hof mit Sandsäcken für ihren Auftritt, trainieren sich Muskeln und Ausdauer an.

Kurz vor dem Jubiläum wird dann die Außenwand des Stalls eingerissen, um das goldene Ungetüm überhaupt in den Hof manövrieren und die Pferde einspannen zu können. Wer sich wundert, warum Elizabeth II. dann selbst an einem solchen Jubeltag in der Goldkutsche eine säuerliche Miene macht, der möge sich an das Expertenwissen der Stallmeister erinnern: Das Gefährt, verraten sie, schaukelt so sehr, dass selbst Navy-Offiziere darin seekrank werden.