Einige Eltern fahren ihre Kinder mangels Alternativen im Kreis Esslingen in das Kindergästehaus in Bad Cannstatt (Archivbild). Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Im Kreis Esslingen haben Eltern keine Möglichkeit, Kinder mit Behinderung zur Kurzzeitpflege zu bringen. Viele von ihnen sind jedoch auf die Unterstützung angewiesen – und sehen deshalb den Landkreis in der Pflicht.

Wenn Renate Prinz einmal eine Verschnaufpause braucht, muss sie auf das Losglück hoffen. Ihr Sohn Paul, der eine Schule in Dettingen besucht, ist schwerst mehrfach behindert und sitzt im Rollstuhl. Eine Möglichkeit, den 17-Jährigen für ein paar Tage zur Kurzzeitpflege zu bringen, hat Prinz in der Region jedoch nicht. „Für Kinder mit Behinderung gibt es hier weit und breit nichts“, sagt die Floristin, die sich im Esslinger Verein Rückenwind engagiert. Ihre nächste Anlaufstelle ist das Kindergästehaus der Caritas in Bad Cannstatt. Dort sind die Plätze jedoch begehrt. „Die haben ein riesiges Einzugsgebiet“, sagt Prinz und fügt hinzu: „Per Losverfahren bekommen wir da vielleicht mal ein Wochenende oder eine Woche in den Ferien.“

 

Auch Markus Pelkmann nennt den Mangel an Kurzzeitpflege als eines der drängendsten Probleme für behinderte Menschen im Kreis Esslingen. Der Vorsitzende des Esslinger Vereins für Körperbehinderte erklärt, es gehe dabei um Kinder, die bei ihren Angehörigen und nicht in einem Heim leben. „Deren Eltern können mal für ein oder zwei Wochen lang krank werden“, sagt Pelkmann. Oder sich die Hand verstauchen – ein Problem, wenn das Kind aus dem Rollstuhl ins Bett gehievt werden muss. „Dann brauchen die Angehörigen eine Einrichtung, wo die Betreuung für ein paar Tage übernommen wird, damit sie durchatmen können.“

Geplantes Projekt für Kurzzeitpflege im Kreis Esslingen gestoppt

Das Amt für besondere Hilfen im Landratsamt teilt auf Anfrage mit, im Kreis Esslingen gebe es sieben ganzjährig vorgehaltene Kurzzeitplätze für Erwachsene mit einer wesentlichen geistigen oder mehrfachen Behinderung. Weiter heißt es: „Für die gleiche Zielgruppe von Kindern und Jugendlichen sind bisher keine Plätze vorhanden.“ Pelkmann sieht deshalb das Landratsamt in der Pflicht. „Da gibt es gesetzliche Grundlagen, sie müssen so etwas eigentlich anbieten“, sagt er. Die Behörde verweist jedoch auf ein gestopptes Projekt der Diakonie Stetten in Baltmannsweiler. Nach dessen Abbruch habe das Landratsamt vergeblich nach einem anderen Leistungsanbieter gesucht.

Das Wohnhaus der Diakonie Stetten sollte in Baltmannsweiler auf dem Gelände der früheren Neuapostolischen Kirche entstehen (Archivbild). Foto: Roberto Bulgrin

In das Vorhaben der Diakonie hatten viele Eltern aus den Landkreisen Esslingen und Göppingen – wo es ebenfalls an Kurzzeitpflegeplätzen mangelt – große Hoffnungen gesetzt. Der Plan der Einrichtung aus dem Remstal sah vor, auf dem Schurwald ein Wohnhaus für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung zu errichten. Es sollte 18 Wohnplätze und sechs Kurzzeitbetreuungsplätzen enthalten. Im Februar 2023 stoppte die Diakonie das Projekt dann allerdings überraschend und begründete dies mit massiv gestiegenen Baukosten.

Eltern aus Kreis Esslingen müssen ausweichen

Prinz, die in Schlierbach im Kreis Göppingen wohnt, erinnert sich noch gut an die Sitzung im Göppinger Landratsamt, in der das Aus verkündet wurde. „Das werde ich nie vergessen“, sagt sie. „Ich hatte davor gedacht: Jetzt kommt der Spatenstich.“ Dann folgte jedoch die bittere Enttäuschung. Heute teilt Diakonie-Pressesprecher Steffen Wilhelm mit, an den hohen Kosten habe sich seither nichts verändert. „Ein Bauprojekt mit entsprechenden Risiken kommt deshalb für uns nicht in Betracht“, ergänzt er.

Somit müssen Eltern aus dem Kreis Esslingen weiterhin ausweichen, etwa nach Kernen im Remstal, wo die Diakonie im Ortsteil Stetten ihren Sitz hat. Pelkmann nennt außerdem die Wohnanlage Fasanenhof am Stuttgarter Killesberg. „Die haben aber auch begrenzte Kapazitäten und nehmen wahrscheinlich bevorzugt Menschen mit Behinderung aus Stuttgart“, sagt der Vater eines behinderten Sohnes.

Schwierige Situation für Geschwister von Kindern mit Behinderung

Pelkmann fügt hinzu, er wisse, dass eine solche Einrichtung nicht leicht zu finanzieren sei. Das liege unter anderem daran, dass der genaue Bedarf nicht klar sei. Wenn Betten leer stünden, erhalte der jeweilige Träger weniger Geld. Allerdings müsse es nicht direkt eine riesige Einrichtung sein, sagt Pelkmann. „Einfach mal irgendetwas zu haben, wäre schon eine große Erleichterung.“ Er warnt: „Für behinderte Menschen und die Angehörigen wäre es eine Katastrophe, wenn die nächsten zehn Jahre weiterhin nicht gebaut wird.“

Das gilt laut Prinz insbesondere für die Geschwister von Kindern mit Behinderung. „Für die ist es wichtig, dass sie nicht immer nur Rücksicht nehmen müssen“, sagt sie. Prinz hat selbst neben ihrem behinderten Sohn noch eine 14-jährige Tochter. Paul ab und an in die Kurzzeitpflege bringen zu können, würde „ein anderes Leben für die ganze Familie“ bedeuten. Prinz stört sich jedoch enorm daran, dass die Initiative bei solchen Themen von den Angehörigen ausgehen müsse. Denn: „Wir haben eigentlich einfach nicht die Kraft, da etwas in die Wege zu leiten.“

Nachbarkreis deutlich besser aufgestellt

Rems-Murr
Nach Angaben des dortigen Landratsamtes gibt es im Rems-Murr-Kreis derzeit zwölf Plätze für die Kurzzeitpflege von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung, allesamt angeboten von der Diakonie Stetten. Weitere seien in Planung, teilt Pressesprecherin Elisa Raßmus mit. Insgesamt gebe es 64 Plätze für die Kurzzeitunterbringung von Menschen mit Behinderung.

Ludwigsburg
„Das Angebot der Kurzzeitbetreuung ist in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen“, sagt Andreas Fritz von der Pressestelle des Ludwigsburger Landratsamtes. Die Stiftung Liebenau biete im Kreis Ludwigsburg jedoch zumindest vereinzelte eingestreute Plätze für Kinder und Jugendliche mit Behinderung an. „Eingestreut“ bedeutet, dass die Plätze in Wohngruppen integriert und daher manchmal für längere Zeit belegt sind.