Der FDP-Chef feiert 18 Minuten lang Premiere als Chef: Große Beschlüsse gibt es nicht.

Berlin - Um es vorwegzunehmen: Es ist alles wie sonst, aber wiederum sehr besonders, weil Guido Westerwelle im Mittelpunkt steht. Der von sich eingenommene Außenminister ist nun auch noch derart ergriffen vom amtierenden Kanzler Westerwelle, dass die beiden voneinander einfach nicht genug bekommen.

Zum ersten Mal also nimmt der 48-jährige FDP-Chef am Mittwoch am Kabinettstisch auf dem Chefsessel Platz. Angela Merkel ist in der Sommerfrische, da ist es politische Gepflogenheit, dass der Vizekanzler ein-, zweimal das Regierungshandeln der durch Urlaub dezimierten Ministerriege steuert. "Das ist normal, das war früher auch so", sagt Westerwelle immer wieder und ist so spür- wie hörbar angetan von seiner Regentschaft auf Zeit. "Das einzig Neue für mich ist: Man empfindet das als große Ehre, dass man dem Land dienen darf." Man meint: Guido Westerwelle. "Ich saß geografisch an derselben Stelle", antwortet er gesichtbreit strahlend auf die Frage, ob er tatsächlich auf Merkels Stuhl saß.

Die kürzeste Kabinettssitzung aller Zeiten

Bundesweiter Führerschein mit 17, neues Lateinamerika-Konzept - viel mehr war nicht. Mangels Themen wurde es eine der kürzesten Kabinettssitzungen der bundesdeutschen Geschichte. Gestoppt wurden 18 Minuten. Trotzdem informierte der Außenminister anschließend gleich doppelt über die Beschlüsse - zunächst anderthalb Stunden lang in der Bundespressekonferenz und dann noch einmal, speziell zur Lateinamerika-Politik, im Auswärtigen Amt. Das war's.

Und doch nicht. Westerwelle geht keine Nummer kleiner. Mit großzügigen Pausen krempelt er Details seiner Gemütslage nach außen: "Wenn Sie nach langen Jahren der Opposition in der Regierungsverantwortung sind, dann freuen Sie sich darauf, sie zu bekommen. Wenn Sie sie dann haben, dann spüren Sie ein Maß von Verantwortung, und zwar Tag und Nacht, wie sich das nur wenige ausmalen können."

Bei Westerwelle ist alles enorm, gewaltig und übergroß

Es ist alles sehr bedeutungsschwer bei Westerwelle - die politischen Herausforderungen sind wahlweise "enorm" (Hartz IV), "gewaltig" (Afghanistan), "übergroß" (Rente), "bedeutend" (Atompolitik) und "wegweisend" (Gesundheit). Und nie wird er müde zu betonen, dass er sich um alles "ganz persönlich" kümmere. Wenn er über die "so gewaltig bedeutende nukleare Abrüstung" spricht und von der Unterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrags, wechselt er in den Plural: "Wir haben es geschafft." Wir, die Bundesregierung? Wir, die Staatengemeinschaft? Wir, Russland und die USA? Wir eben. "Hauptsache, es läuft", sagt er tatsächlich.

Dass es für die FDP gar nicht gut läuft, die in Umfragewerten für die ersten zehn Regierungsmonate an die Fünfprozenthürde gedrückt wurde, "sollte niemand so wichtig nehmen", sagt Westerwelle. Ja, zwar trage er als Parteichef die politische Verantwortung, aber selbst das miserable Ergebnis der Liberalen bei der NRW-Wahl sei gar nicht so miserabel, sondern das zweitbeste Ergebnis der Liberalen in den letzten 30 Jahren.

Westerwelle wirkt seltsam uninformiert

Wie er das verlorene Vertrauen der Wähler zurückgewinnen will? Durch Klartext offenbar. Ob die Hartz-IV-Leistungen nicht doch angehoben werden müssten? "Das Lohnabstandgebot muss gewahrt bleiben. Leistung muss sich lohnen." Ob die Atomlaufzeiten zwingend verlängert würden? "Wir brauchen die Stromgewinnung aus Atomenergie als Brückentechnologie." Ob er - wie von Wirtschaftsminister Brüderle gefordert - die Rentengarantie abschaffen wird? "Praktisch stellt sich diese Frage nicht."

Dass es auch in Afghanistan nicht gut läuft, sondern der Einsatz auch der Bundeswehr gefährlicher wird, will Westerwelle zwar als einer der Ersten vorausgesagt haben. Dennoch wirkt er seltsam uninformiert. Auf die jüngste schriftliche Weisung des US-Oberkommandierenden General David Petraeus angesprochen, in der dieser die Verbündeten aufruft, aufs Äußerste zu kämpfen ("Rammt eure Zähne in das Fleisch des Gegners"), zieht er die Echtheit der Aussagen in Zweifel. Ob Petraeus das so gesagt und der Dolmetscher richtig übersetzt habe? Dabei zeugt die Weisung des Generals von bekümmernder Klarheit - und eben nicht von Wortfindungsschwierigkeiten eines Militärs, die wiederum auf Verständnisprobleme der Verbündeten stoßen sollten. Die Bundeswehr steuert auf die unmissverständliche Frage hin: Wird sie den Krieg der USA mitkämpfen, oder wo sind die Grenzen ihres Mandats? Der amtierende Kanzler Westerwelle will das nicht hören und verweist lieber an Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Plötzlich ist tatsächlich alles wie sonst, wenn Westerwelle im Mittelpunkt steht.