Auf den Märkten in der Türkei, wie hier in Istanbul, herrscht reger Andrang. Angesichts des Kursverfalls der Lira macht sich unter den Türken zunehmend Unsicherheit breit. Foto: AP

Vor allem Zweifel an der Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank und Spannungen mit den USA lösen einen Kurssturz der Lira aus. Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert seine Landsleute auf, Dollar, Euro und Gold in die Landeswährung umzutauschen.

Ankara - Der Kursverfall der türkischen Lira hat sich am Freitag drastisch beschleunigt. Zeitweilig verlor die Währung gegenüber dem Dollar bis zu 14 Prozent. Das war der größte Kursverlust an einem einzigen Tag seit der schweren türkischen Finanzkrise von 2001. Auch zum Euro stürzte die Lira auf ein neues historisches Tief. Vor allem die hohe Inflation, Zweifel an der Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank und die Sorgen vor politischen Spannungen mit den USA sowie drohenden Wirtschaftssanktionen drücken die Lira. Am Freitag bestätigten sich die Befürchtungen: US-Präsident Trump schrieb auf Twitter, er habe eine Verdoppelung der Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei angeordnet. Die Lira reagierte mit neuen Kursverlusten. Die USA fordern von der Türkei die Freilassung des mit Terrorvorwürfen konfrontierten Pastors Andrew Brunson und anderer inhaftierter US-Bürger.

In Ankara erläuterte Finanzminister Berat Albayrak derweil vor Wirtschaftsvertretern die Leitlinien eines neuen mittelfristigen Wirtschaftsplans. Danach nimmt die Regierung ihr diesjähriges Wachstumsziel von bisher fünf auf „drei bis vier Prozent“ zurück. Im vergangenen Jahr war das türkische Bruttoinlandsprodukt (BIP) noch um 7,4 Prozent gewachsen, vor allen dank staatlicher Konjunkturprogramme.

Inflationsrate bei fast 16 Prozent

Die Inflation, die im Juli 15,8 Prozent erreichte, will Finanzminister Albayrak bis zum Jahresende unter zehn Prozent und das Leistungsbilanzdefizit von derzeit fünf auf vier Prozent des BIP drücken. Das Haushaltsdefizit soll auf 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt werden. Albayrak versicherte, die Zentralbank bleibe unabhängig. Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte seinen Schwiegersohn Albayrak erst im Juli ins Finanzressort berufen. Er gilt als engster Vertrauter Erdogans und möglicher Nachfolger des Präsidenten.

Die Eckdaten des neuen Wirtschaftsplans deuten darauf hin, dass die Regierung beim Wachstum den Fuß vom Gas nimmt, um eine drohende Überhitzung zu vermeiden. Ob das reicht, das erschütterte Vertrauen der Anleger und Investoren zurückzugewinnen, ist offen. Marktbeobachter sahen am Freitag noch keine Anzeichen einer Wende. Einer kurzen Erholung der Lira am Nachmittag folgte später ein neuerlicher Kurssturz. Die Anleger warten nun auf Signale der Zentralbank. Die Währungshüter könnten mit Zinserhöhungen versuchen, die Lira zu stützen und die Inflation zu bremsen. Sie stoßen aber bis jetzt bei Erdogan auf Widerstand. Bei der jüngsten Sitzung des für die Geldpolitik zuständigen Gremiums hatte die Notenbank am 23. Juli die Leitzinsen unverändert gelassen. Das nächste Treffen des Komitees ist erst für den 13. September angesetzt.

Der Kursverfall der Lira verursachte auch Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten und Börsen. Vor allem Bankaktien kamen unter Druck. Spanische, französische und italienische Geldinstitute sind stark in der Türkei engagiert. Deutsche Geldhäuser sind laut Bundesbank nur mäßig betroffen. Sie bezifferte am Freitag die Gesamtforderungen der Kreditinstitute im Juni auf 20,77 Milliarden Euro. Sorgten sich die Anleger bisher wegen einer drohenden Rezession und Bankenkrise, geht inzwischen sogar die Furcht vor einer möglichen Staatspleite um. Das zeigt der Anstieg der Prämien für Kreditausfallversicherungen auf türkische Staatsanleihen.

Erdogan spricht vom „Wirtschaftskrieg“

Staatschef Erdogan sprach bei einem Besuch in der nordtürkischen Provinz Bayburt nach dem Freitagsgebet vor Gläubigen von einem „Wirtschaftskrieg“, den sein Land jedoch gewinnen werde. Er sieht hinter dem Währungsverfall eine Verschwörung gegen die Türkei. Bei einem Besuch seiner Heimatstadt Rize am Schwarzen Meer hatte Erdogan bereits am Donnerstagabend versucht, seine Zuhörer zu beruhigen: „Ignoriert diese Kampagnen gegen die Türkei“, rief er dem Publikum zu. „Die anderen mögen ihre Dollars haben, aber wir haben unser Volk und Allah.“ Erdogan sagte: „Diese Nation hat keine Angst!“

Am Freitag rief Erdogan die Türken erneut dazu auf, Dollar, Euro und Gold in die Landeswährung umzutauschen. Dabei handele es sich um eine „nationale Anstrengung“, so der Staatschef. Die meisten Türken legen ihre Ersparnisse traditionell in harten Währungen oder in Gold an, um der Inflation ein Schnippchen zu schlagen. Während der vergangenen Wochen hatte Erdogan bereits mehrfach an die Bevölkerung appelliert, ihre „unter den Kissen“ gehorteten Devisen und in Gold angelegten Ersparnisse in Lira umzutauschen, um die eigene Währung zu stützen. Wer Erdogans Appell folgte, hat ein schlechtes Geschäft gemacht: Vor einem Monat bekamen die Türken für 100 Lira 18 Euro. Am Freitag waren es nur noch 15,50 Euro.