Amethysten, Perlen und Opale – das Design des Colliers gilt als typisch für die Zeit der österreich-ungarischen Monarchie, der geschätzte Wert liegt bei 500 Euro. Foto: Screenshot Vimeo

In der britischen BBC wurden kürzlich Schmuckstücke aus einem ungewöhnlichen Fundort präsentiert: Die Edelsteine wurden in einem Sack Komposterde entdeckt. Damit nicht genug: Der Sack stammt aus Stuttgart. Wie kann das sein?

John Benjamin, ein populärer Gemmologe, hat schon viele Schmuckstücke mit kuriosen Fundorten begutachtet. In der kürzlich ausgestrahlten 44. Folge der BBC-Fernsehsendung „Antique Roadshow“, die deutschen Sendereihen wie „Bares für Rares“ oder „Kunst und Krempel“ ähnelt, präsentiert der Brite allerdings einen Fund mit einer besonders „bemerkenswerten Geschichte“. In den Gärten des historischen Londoner Ham Houses lässt er die Besitzerin, die ihrer Aussprache nach eindeutig deutsche Wurzeln hat, eine „unique story“ erzählen.

Das Amethystcollier fand sich in Gartenerde aus Stuttgart

„Meine Mutter fand das hier vor zehn Jahren in einem Sack Komposterde, den sie in einem Stuttgarter Gartencenter gekauft hat“, erzählt die Dame – und zeigt auf ein Set aus Halskette und Armband. Zu sehen sind lilafarbene Klunker mit Perlen, die den Moderator bei der Auswahl seiner Krawatte – lila mit weißen Punkten – inspiriert zu haben scheinen. John Benjamin gibt fachmännisch Auskunft über die Steine. Es handele sich um Amethysten, verziert mit Perlen und Opalen, eingefasst in eine vergoldete Silberkette im Renaissancestil. Das Design sei typisch für die Zeit der österreich-ungarischen Monarchie und bei Damen in Mitteleuropa um die Jahrhundertwende äußerst beliebt gewesen. Geschätzter Wert heute: 400 Pfund – das entspricht knapp 500 Euro. Benjamin weiß viel über den Schmuck zu berichten. Noch lieber aber würde er „die Geschichte erzählen, wie der Schmuck in den Kompostsack geraten ist“. Das aber kann selbst die BBC nicht erklären.

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Hilft eine Recherche vor Ort in Stuttgart weiter? Die erste Frage, die sich stellt: Aus welchem Gartencenter stammt der Sack? Auf Nachfrage unserer Zeitung erklärt die BBC, dass die Mutter, die ihn einst kaufte, inzwischen wohl verstorben ist. Die Erbin wiederum wünscht keine Kontaktaufnahme. Die Spurensuche beginnt also auf gut Glück: bei Pflanzen-Kölle, dem Platzhirsch unter den Gartenmärkten in Stuttgart. Dieser bezieht seine Produkte vorwiegend von Floragard, einem Großanbieter von Blumenerde, und der Marketingmitarbeiter Christian Mauke bringt zumindest etwas Licht ins Dunkel.

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Er glaubt, dass es sich bei dem Kauf um ein Torf-Kompost-Gemisch gehandelt hat. Denn reine Komposterde stammt aus Grünschnitt, der nur ein paar Monate alt wird, bevor er eingetütet wird. Torf dagegen, eine Form von Humus, besteht aus unvollständig zersetzten Pflanzenresten und entsteht in Mooren. Floragard baut Torf in Niedersachsen, aber auch in einigen baltischen Ländern ab. Hat irgendwo dort eine Person den Schmuck ins Moor geworfen? Vielleicht eine enttäuschte Geliebte?

Schmuck von Vertriebenen?

Unwahrscheinlich. Der Archäologe Jonathan Scheschkewitz vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart glaubt eher an ein anderes Szenario: „Früher haben Menschen ihren Schmuck oft vergraben, bevor sie wegen Kriegen fliehen mussten“, erzählt er. Tatsächlich wurden Anfang des Zweiten Weltkriegs im Baltikum viele Menschen vertrieben. Scheschkewitz könnte sich jedoch auch vorstellen, dass der Schmuck bereits um die Jahrhundertwende versteckt wurde, „da kein weiterer Schmuck aus jüngerer Vergangenheit dabei lag“, wie er sagt. „Wahrscheinlich wurde er schlicht versteckt, um ihn vor Dieben zu schützen. Damals gab es eben nicht an jeder Ecke eine Bank, wo man seine Wertgegenstände hinbringen konnte.“

Welches Schicksal auch hinter dem Schmuck steckt: Fest steht, dass das Set deutschen Boden verlassen hat und nun in einem britischen Haushalt verwahrt wird. Bleibt noch eine letzte spitzfindige Frage: Ist die Britin denn – rein juristisch gesehen – überhaupt die rechtmäßige Besitzerin?

Nach zehn Jahren erübrigt sich ein juristischer Streit

Michael Henn, Experte für Erbrecht, muss ein wenig grübeln, um die Frage zu beantworten. „Entweder sagt man, das war ein Schatzfund“, erklärt er. Dann gehört laut Gesetz der Finderin die Hälfte des Schatzes. Die andere Hälfte geht „an den Eigentümer der Sache, in der der Schatz gefunden wurde“. Die Sache ist in diesem Fall der Sack Gartenerde, den die Mutter der Britin erworben hat. Demnach gehört der Tochter auch diese Hälfte des Fundes.

Eine zweite juristische Herangehensweise wäre Paragraf 937: „Wer eine bewegliche Sache zehn Jahre im Eigenbesitz hat, erwirbt das Eigentum.“ Nun könne man zwar juristisch darüber streiten, ob der Dame mit dem Erwerb der Gartenerde auch automatisch der Schmuck gehört, so Henn. „Aber da das schon zehn Jahre zurückliegt, erübrigt sich der Streit.“

Vielleicht hat die Tochter deshalb genau zehn Jahre gewartet, bis sie den Schmuck zur BBC brachte. Verkauft wurden die Edelsteine in der Sendung übrigens nicht.

Altes Fundrecht

Gesetz
  Für den Fund eines Schatzes gibt es einen eigenen Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch. Paragraf 984 besagt: Wird „eine Sache entdeckt, die so lange verborgen gelegen hat, dass der Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist“, so bekommt der Entdecker die Hälfte, die andere Hälfte erhält „der Eigentümer der Sache, in welcher der Schatz verborgen war“ – also zum Beispiel der Grundstückseigentümer. Die sogenannte Hadrianische Teilung geht zurück auf den römischen Kaiser Hadrian (67–138).

Ausnahme
 Ist der Fund „von wissenschaftlich hervorragendem Wert“, wenn er beispielsweise aus dem Mittelalter oder der Zeit der Kelten stammt, dann gehört er automatisch dem Land Baden-Württemberg.