Wenn eine Katze einen Unfall verursacht, haftet der Halter. Doch anders als bei Hunden ist dieser meist schwer zu ermitteln. Foto: eleonoralamio/ Adobe Stock

Ein Radfahrer stürzt bei hohem Tempo, weil ihm ein Tier vors Rad rennt – der Ludwigsburger verletzt sich schwer und kämpft nun um Schadenersatz. Seine Chancen vor Gericht stehen von Anfang an schlecht, aber er hat Glück – und plötzlich eine Chance.

Ludwigsburg/Karlsruhe - Der 58-jährige Mann hat nichts gegen Katzen, das betont er. Sein Zorn richtet sich auch nicht gegen den Halter jener Katze, die ihm so viel Schmerzen bereitet hat. Er richtet sich gegen Versicherungen und konkret die Württembergische Gemeinde-Versicherung, weil die für den Schlamassel nicht zahlen will. Weit mehr als zwei Jahre sind vergangen seit dem Tag, an dem der 58-Jährige, ein passionierter Radfahrer, mit zwei Freunden durch den Kreis Ludwigsburg fuhr und innerhalb eines Sekundenbruchteils vor einer folgenschweren Entscheidung stand: Ausweichen und einen Sturz riskieren? Oder weiter fahren?

Er entschied sich für das Ausweichmanöver – und stürzte. „Rechtlich gesehen“, sagt der 58-Jährige, „wäre es für mich besser gewesen, ich wäre über die Katze gefahren“. Aber das sei schließlich ein Lebewesen. „Das wollte ich schützen.“ Dass er aber nach dem Unfall allein gelassen wird, vor allem von der Versicherung, will der Ludwigsburger nicht hinnehmen.

Die Chancen, von einer Versicherung Schadenersatz zu bekommen, sind gering

Deswegen sitzen am Freitag viele Menschen in einem Raum im Karlsruher Landgericht und versuchen herauszufinden, was am 20. Mai 2016 passiert ist, in einem Dorf am Rand des Landkreises Ludwigsburg. Der 58-Jährige hat einen Mann aus diesem Dorf, den er für den Besitzer der Katze hält, verklagt. Er will Schadenersatz und er weiß, dass es schwer wird. „Es haben schon einige versucht, nach ähnlichen Unfällen Geld von Versicherungen zu bekommen – es hat noch keiner geschafft“, sagt er.

Die Fakten: Mit mindestens 30 Stundenkilometern fuhren die drei Rennradfahrer durch den Ort, der 58-Jährige ganz vorne, als sie in einiger Entfernung am Straßenrand eine Katze sahen. Sie ahnten nichts Böses, doch als sie sich näherten, rannte das Tier los. „Direkt vor sein Vorderrad, er hatte keine Zeit zu reagieren“ – so schildert es der Radler, der an Position zwei fuhr und als Zeuge geladen ist. Sein Vordermann sei blitzschnell ausgewichen.

Der Katze geht es nach dem Unfall gut, dem Fahrradfahrer nicht

Ob das Fahrrad und das Tier kollidierten, ist unsicher, aber der Katze ging es offenbar gut, sie verschwand im Gebüsch. Dem 58-Jährigen ging es nicht gut, er verschwand im Krankenhaus, mit gebrochenem Schlüsselbein, Rippenprellungen, aufgeschürften Gliedmaßen. An der Hand, mit der er den Sturz abfederte, trägt er eine Manschette. Der rechte Arm fühle sich noch manchmal taub an.

Die Rechtslage ist eindeutig. Wenn Haustiere und Menschen kollidieren, was immer mal wieder vorkommt, haftet in der Regel der Halter des Tiers. Rennt ein Hund auf die Straße, ist das die Schuld des Herrchens. Das gilt auch für Katzen – mit einem gravierenden Unterschied. Sie sind schwerer zu identifizieren als Hunde, weil sie alleine im Freien herum streunen und oft ähnlich aussehen. Haftpflicht-Versicherungen decken zwar Schäden ab, die durch Tiere entstehen, aber für Unfälle, die Katzen verursachen, müssen sie fast nie gerade stehen: Weil sich der Halter nicht ermitteln lässt. Der Richter in Karlsruhe bringt es auf den Punkt: „Die Situation für den Kläger ist strukturell schwierig“, sagt er. Denn er müsse zweifelsfrei nachweisen, dass er die richtige Katze und damit den richtigen Halter beschuldige.

Der Kläger suchte mit einer Art Steckbrief nach dem Katzenhalter

Der 58-Jährige Ludwigsburger hat einiges getan, um es zu beweisen. Im Internet besorgte er sich ein Foto von einer Katze, die jener ähnelt, die ihn zu Fall brachte. Mit dem Bild als Steckbrief streifte er durch den Ort, sprach mit Leuten, und bald tat sich eine Spur auf. Jemand nannte ihm die Adresse eines Katzenhalters, unweit des Unfallorts. An dem Haus traf er den Mann und die Katze. Er hatte Glück. Das Tier ist auffällig gemustert, weißes Fell mit rötlichen Stellen. „Das ist sie“, dachte er sich. Vor Gericht werden ausgiebig Fotos studiert. Auch der Zeuge, der zweite Radfahrer, ist sich „zu einhundert Prozent sicher, dass das die richtige Katze ist“.

Der Mann, dem das Tier gehört, schüttelt nur genervt den Kopf. Er ist sich ebenso sicher, dass seine Katze unschuldig ist. Die sei zu dieser Zeit im Haus gewesen, sagt er. Die Katze sei damals ganz jung gewesen und habe nur einmal am Tag kurz raus gedurft, „um ihr Geschäft zu machen“. Außerdem gebe es „im Ort noch mindestens drei andere Katzen, die so aussehen“.

Das Gericht schlägt eine salomonische Lösung vor

Es steht Aussage gegen Aussage, weshalb der Richter nach einem salomonischen Ausweg sucht und einen Vergleich vorschlägt: Statt der geforderten 6000 Euro soll der Beklagte lediglich 1250 Euro Schadenersatz zahlen – damit wäre die Sache dann für alle erledigt. Der Katzenhalter hat nun bis Mitte Dezember Zeit zu überlegen, ob er darauf eingeht, und wird die Entscheidung wohl der WgV überlassen. Die Versicherung muss abwägen: 1250 Euro überweisen ohne weiteres Risiko? Oder auf das Urteil warten? Dann kann es deutlich teurer werden. Oder viel billiger.

So oder so: Für den Radfahrer hat sich der Gang vors Gericht nicht gelohnt, allein der Anwalt kostete ihn mehrere tausend Euro. Es gehe ihm nicht ums Geld, sagt er. Er wolle öffentlich machen, wie leicht sich „Versicherungen aus der Verantwortung stehlen können.“ Egal wie der Prozess ausgehe – er würde es wieder machen. „Und natürlich würde ich auch der Katze wieder ausweichen. Das Tier kann ja nichts dafür.“