Kurdische Demonstranten protestieren in der Innenstadt gegen die türkische Militärintervention in Afrin. Sie schwenken Fahnen der kurdisch-syrischen YPG-Miliz. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Kurdische Organisationen wollen friedlich gegen die Intervention der Türkei in Syrien protestieren. Doch der Hass vieler Demonstranten auf Türken und Araber wächst.

Stuttgart - Es ist vielleicht die Parallelität der Dinge und die Nähe einer bisher in die Nachrichten verbannten Realität, an die sich die Deutschen in diesen Zeiten gewöhnen müssen. Stuttgart hat sich herausgeputzt für einen Frühlingstag nach spätem Wintereinbruch. Die Stadt trägt Sonnenbrille und hat ein Eis in der Hand. Doch wer in die Lautenschlagerstraße einbiegt, hört vom Krieg. Eine Frau schreit sich am Mikrofon heiser. Sie klagt von einem Deutschland, das Waffen an die Türkei liefere und deutschen Medien, die schwiegen zu den Ereignissen im nordwestsyrischen Afrin.

Es sind schon Hunderte, die Fahnen schwenken und die Frau beklatschen. Später wollen sie über die Theodor-Heuss-Allee und den Rotebühlplatz ziehen und von dort in Richtung Hauptbahnhof. Die Polizei zählt dabei rund 1000 Teilnehmer.

Türken besiegen YPG

Hände strecken sich Haci Osman vom kurdischen Dachverband Nav-Dem entgegen. Sie alle wollen geschüttelt werden. Osman sucht Demonstrationsteilnehmer, die mehr erzählen können über die Motive der Demonstranten. Nach und nach bildet sich eine Traube von Menschen um ihn. Alle sind aus Syrien geflüchtet und stammen aus der Region um Afrin. Am 18. März verkündete der türkische Generalstab, dass die Hauptstadt des von der syrisch-kurdischen Miliz YPG kontrollierten Kantons der Demokratischen Förderation Nordsyriens unter ihrer Kontrolle ist. Die türkische Offensive gegen den westlichsten Teil des in Deutschland unter dem Namen Rojava bekannten autonomen Gebietes endete mit einem Sieg der Türken.

Zwei Jesidinnen halten die Insignien der YPG, eine gelbe Fahne mit rotem Stern, in den Händen. Eine von ihnen, die 28-Jährige Fella Arabo erzählt, wie es ist, wenn das Smartphone schweigt und die Eltern in einem Kriegsgebiet sind. Sie habe seit dem Fall der Stadt Afrin von ihren Eltern nichts mehr gehört. Sind sie tot? Haben sie sich eingereiht in den Treck der Geschlagenen und Vertriebenen? Er umfasst laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) derzeit 170 000 Menschen. Die Kurdin weiß es nicht. „Ich bin heute auf der Demonstration, damit irgendjemand den Menschen in Afrin hilft“, sagt sie.

Die Jesidin hat eine Botschaft an die Deutschen. Sie entstamme einer Glaubensgemeinschaft, die Kämpfer des IS im Nordirak während des Genozids von 2014 auslöschen wollten. Nun würde sie von radikalen Muslimen im Sprachunterricht erneut bedrängt. „Warum lässt Deutschland das zu?“, sagt sie. Sie klagt auch, dass Deutschland, der Westen, die Welt bei aller Kritik an der Türkei nicht Partei ergreifen für jene Kämpfer, die als der Kurdischen Arbeiterpartei PKK nahestehend gelten.

Die Verteilung von Gut und Böse ist nicht nur bei der kurdischen Jesidin so klar wie der Himmel an diesem Frühlingstag. Der 29-Jährige Hussein Sheikho ist überzeugt, dass die Menschen aus der vom Assad-Regime belagerten Rebellenenklave Ost-Ghouta nach einem Deal zwischen der Türkei und dem mit Machthaber Assad verbündeten Russland in Afrin angesiedelt werden. Die Frage, ob er als Syrer Mitgefühl für die in Ost-Ghouta Eingeschlossenen empfinde, beantwortet er mit einer Berichtigung. „Ich bin Kurde“, sagt er.

Ein anderer Demonstrant mischt sich in das Gespräch ein und erzählt, er sei zwar Muslim, wolle aber mit dem Islam nichts mehr zu tun haben. Das sei der Glaube der Araber und Türken und immer mehr Kurden würden das nun erkennen, meint er.

Kurden fürchten Vertreibung

Der Koordinator von Nav-Deem bemüht sich um versöhnliche Töne. Es habe in den vergangenen Wochen viele Provokationen von türkischer und auch arabischer Seite gegeben. „Wir Kurden bleiben trotzdem friedlich“, verspricht er. Für die von Behörden geäußerte Sorge von einer freundlichen Übernahme der Kurdenproteste durch deutsche Linksextremisten sieht Haci keinen Anlass. „Wir schauen darauf, dass sich alle an die Regeln halten“, sagt er. Die Bitterkeit und der Zorn, er müsse verstanden werden als Ausdruck der Hilflosigkeit. Ein kurdischer Flüchtling will noch etwas ergänzen. Viele syrische Kurden seien bereit, Deutschland zu verlassen und nach Syrien zurückzukehren, wenn die deutsche Regierung das zulasse. „Gebt uns doch einfach die Waffen, die ihr an Türkei liefert“, sagt er.