Galerist Klaus Gerrit Friese vermisst in der Kunstszene die „Koordination“ Foto: Piechowski

Exklusiv berichteten die StN über eine Studie im Auftrag der Kunststiftung Baden-Württemberg. Nach dieser ist Baden-Württemberg wohl als Ausbildungsort attraktiv, weit weniger aber als Lebens- und Arbeitsort für Künstlerinnen und Künstler. Die Diskussion ist eröffnet.

Stuttgart - Exklusiv berichteten die Stuttgarter Nachrichten über eine  Studie im Auftrag der Kunststiftung Baden-Württemberg.   Nach dieser ist  Baden-Württemberg  wohl als Ausbildungsort attraktiv, weit weniger aber als Lebens- und Arbeitsort für Künstlerinnen und Künstler. Die Diskussion ist eröffnet.

Lesen Sie dazu auch unser Interview mit der Kunstakademie-Chefin Petra von Olschowski.

Alles ganz normal

„Die kritischen Punkte sind nicht Stuttgart-spezifisch. Das Gleiche wird man von allen mittleren deutschen Städten sagen, die nicht Köln, Düsseldorf oder Berlin sind. Die Fragen der Studie betrachten die Kunstszene Stuttgart oder Baden-Württemberg als ein statisches Phänomen. Viel eher sollte man bei einer solchen Studie den Fluss, die Bewegung messen und nicht nur auf die Exilanten schauen. Was die Kunstszene betrifft, bin ich eher optimistisch: Stuttgart ist im Fluss, es kommen viele junge Menschen hierher, die auch mal wieder gehen dürfen, Initiativen werden stets neu gegründet, andere regenerieren sich ständig und bleiben auf der Höhe der Zeit. Das Künstlerhaus spielt international mit, ebenso der Kunstverein. Die vielen Absolventen der Kunstakademie, die Stuttgart verlassen, könnte man leicht für die hiesige Szene wieder aktivieren, wenn man es nur wollte; sie leben vielleicht woanders, haben auch immer einen Fuß in Stuttgart, wenn man sie braucht. Aber braucht man sie? Künstler waren immer Nomaden, die Russen bedauern, dass Kandinski sie verlassen hat, die Rumänen trauern um Brancusi, die Deutschen um die exilierten Künstler der 1930er Jahre, die Franzosen haben Duchamp an die Amerikaner verloren. Alles ganz normal. Und wir sollten nicht trauern, sondern jene Künstlerinnen und Künstler zu würdigen wissen, für die Stuttgart und das Land eine wichtige Station waren. Deshalb freue ich mich insbesondere auf die Ausstellung zu Gertrud Goldschmidt Ende März im Kunstmuseum Stuttgart.“

Jean-Baptiste Joly, Direktor Akademie Schloss Solitude

Klaus Gerrit Friese: Keine Koordination

Keine Koordination

„Insgesamt bin ich ratlos: Es gibt weder eine Koordination der Beteiligten noch einen Draht zu den relevanten Gestalten, noch eine Ahnung, wie dieser herzustellen ist. Ein kleines Beispiel: Der Wunsch nach bezahlbaren Ateliers ist gut. Aber fehlen nicht auch die Leute, die eine Atmosphäre ausstrahlen, dass Künstler hier sein wollen? Es gibt hier einen Humus des normalen Exotischen für Theater, für Musik. Das verwunderte Augenreiben, dass es hierfür ein Publikum und eine Presseöffentlichkeit gibt, Dankbarkeit sozusagen, lässt diese sich in eine Stadt einfinden. Und dann reiben sich alle verwundert die Augen: So haben wir es nicht gedacht. Neues, wie sie es für sich selbstverständlich in Anspruch nehmen, worüber man geteilter Meinung sein kann, können wir also in der Provinzstadt auch schaffen. Genau dies sehe ich in der bildenden Kunst nicht. Eher die Verwunderung darüber, dass aus den vielen guten Voraussetzungen keine lebendige Szene entsteht.“

Klaus Gerrit Friese, Galerist in Stuttgart

Hannelore Paflik-Huber: Jüngere Sammler gesucht

Jüngere Sammler gesucht

Brauchen die Galerien im Land mehr Unterstützung? Nicht im Plural, sondern die neuen, noch unbekannten Galerien brauchen Unterstützung. Auf den Kunstmessen in Basel oder Köln gibt es das gestaffelte Modell des Aufmerksammachens über direkte Förderung. Engagieren sich die Institutionen zu wenig für aktuelle Kunst? Ich selbst komme kaum durch mit meinen Besuchen der Ausstellungen zu zeitgenössischer Kunst. Im Gegenteil, ich finde eine Konzentration auf Konzepte besser, als in die Breite zu gehen und alles zeigen zu wollen. Eindeutig hapert es aber am Engagement durch jüngere Sammler. Und auch die Frage, ob sich andernorts tätige Künstler und Kunstvermittler zu wenig zu ihren Wurzeln im Südwesten bekennen, kann ich nur bejahen.“

Hannelore Paflik-Huber, 1. Vorsitzende Künstlerhaus Stuttgart

Rainer Wehr: Rückendeckung nötig

Rückendeckung nötig

„Das ist natürlich nur ein Schlaglicht, aber vielleicht doch bezeichnend: Wenn ich Werke eines Studierenden der Stuttgarter Akademie ausstelle, schauen sich ihre Lehrer nicht einmal die Ausstellung an, geschweige denn unterstützen sie ihre Studierenden bei der Eröffnung. Ein Zweites: Aufgrund ständiger Interventionen der lokalen Szene wurde an der Stuttgarter Akademie ein Lehrstuhl für Kunstvermittlung geschaffen. Ich habe den Berufenen noch nie in Ausstellungen in der Region gesehen – auch oder schon gar nicht mit Studierenden. Dagegen kann ich die Kritik, es gebe in der Metropolregion Stuttgart zu wenig Ausstellungsmöglichkeiten und zu wenig interessante Kunstbühnen, nicht teilen. Ich nenne nur die städtischen Galerien in Esslingen, Backnang und Bietigheim, dazu Kunstvereine wie in Neuhausen und Ludwigsburg.“

Rainer Wehr, Galerist in Stuttgart