Andrea Keller und Patrick Bolle haben in Zürich ein Fundbüro für Immaterielles eingerichtet. Foto: Dani Kern

Wer einen wichtigen Gegenstand verloren hat, landet früher oder später im Fundbüro. Doch wo sucht man, wenn einem die Hoffnung oder das Vertrauen abhanden gekommen sind? Und wo findet man sie? Ein Projekt aus der Schweiz geht diesen Fragen nach – im Fundbüro 2.

Stuttgart/Zürich - Hoffnung. Liebe. Zeit. Was im Fundbüro 2 abgegeben oder als vermisst gemeldet wird, kann man nicht in Regalen sammeln oder anfassen. Und doch: „Das volle Leben ist da“, sagt Patrick Bolle und in seiner Stimme schwingen Überraschung und Begeisterung gleichermaßen mit. Der Schweizer ist Mitinitiator eines Fundbüros für Immaterielles.

Wer im Internet auf fundbuero2.ch angeben will, was er verloren oder gefunden hat, wird mit Fragen konfrontiert, die auch in einem herkömmlichen Fundbüro gestellt werden: „Was haben Sie verloren? Beschreiben Sie es.“ „Wann haben Sie es verloren?“ „Wo haben Sie es verloren?“. Das mag einfach sein, wenn man eine Tasche oder einen Regenschirm vermisst. Aber wie beschreibt man die Hoffnung, die man verloren hat? „Diese einfachen Fragen haben einen komplexen Effekt“, sagt Bolle. „Die Menschen müssen ganz konkret über ihren Verlust nachdenken, das geht ruck-zuck in die Tiefe und wird persönlich. Man hat keine Chance, sich der Reflexion zu entziehen. Diese Fragen machen etwas mit einem – auch weil sie zuvor noch nie so gestellt worden sind.“

Anregung, über das eigene Leben nachzudenken

Das Fundbüro 2 gibt es nicht nur online, es existiert auch in der realen Welt – in einem ehemaligen Tickethäuschen in Zürich. Dort sind Patrick Bolle, Kulturmanager, und Andrea Keller, Journalistin und Kulturpublizistin, auf die Idee zu einem Fundbüro für Immaterielles gekommen. Dabei hat das herkömmliche Fundbüro eine nicht unbedeutende Rolle gespielt: Es befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft vom Fundbüro 2, in einer Gegend, die von Büros und Geschäften geprägt ist. „Wer einkaufen oder das reguläre Fundbüro aufsuchen, sich also materiellen Dingen widmen will, kommt quasi zwangsläufig hier vorbei“, erklärt Bolle. An einem Schalter kann man seine Meldung von „Beamten“ entgegen nehmen lassen – das sind neben den beiden Initiatoren Schriftsteller, Sportler oder Schauspieler, die sich an dem Projekt beteiligen.

Andrea Keller und Patrick Bolle wollen mit ihrem Kunstprojekt in dieser Umgebung gezielt ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es auch immaterielle Verluste gibt – und dass die Tragweite derselben oft weitaus größer ist. „Wir sind keine Kampftruppe gegen das Kapital. Wir siedeln uns in der Kunst an“, betont Bolle. Das Fundbüro 2 ist demnach ein Experiment, das eine Anregung sein soll, über das eigene Leben nachzudenken.

Der gefundene halbe Tag

Eine Anregung, die auf sehr positive Resonanz stößt, wie Bolle berichtet: „Offenbar haben wir den Zeitgeist getroffen.“ Seit dem Start des Projektes im vergangenen Februar sind über 200 Meldungen bei den Initiatoren eingegangen, die meisten davon online. „Die Geschichten sind dermaßen berührend, traurig und humorvoll – sie betreffen alle Facetten des Lebens.“ Vor allem junge und alte Menschen beteiligen sich, auch Kinder. „Kinder haben noch eine magische Vorstellung vom Leben. Sie können sehr gut beschreiben, was sie verloren haben. Erwachsene tun sich da manchmal schwerer“, hat der 46-Jährige beobachtet. Überhaupt seien die Meldungen der Teilnehmer sehr reflektiert und präzise. Eine Rangliste der immateriellen Verluste kann Bolle nicht aufstellen. „Es ist zum Beispiel nicht so, dass besonders viele Menschen Zeit verloren haben“, sagt er.

Bolle und Keller nutzen ihr Projekt auch, um Menschen miteinander zu verbinden. Sie prüfen, welche Lost- and Found-Meldungen zueinander passen. Haben die Teilnehmer zugestimmt, dass sie kontaktiert werden dürfen, bringen die Initiatoren die Menschen zusammen. „Ein Mann hat zum Beispiel einen halben Tag gefunden, den er gerne weitergeben möchte. Jemand anderes hat einen halben Tag verloren. Wir haben die Kontakte vermittelt und sind gespannt, was daraus wird. Wir werden nach einiger Zeit nachfragen“, erzählt Bolle.

Was aus dem Fundbüro 2 bislang geworden ist, scheint auch die Initiatoren zu überwältigen: „Wir sind selbst sehr überrascht, was das mit den Menschen macht. Sie gehen alle verändert aus dem Fundbüro heraus“, sagt Bolle. Im Dezember endet das Projekt, geplant ist eine Publikation. „Wir müssen das, was wir in all den Meldungen erhalten haben, zurückgeben“, findet er. Schließlich sei das Experiment auch eine Liebeserklärung an das Leben.