Peter Vogels Schattenorchester III (1998) ist Teil der Schau im Kunstmuseum Foto: Frank Kleinbach

Der Betrachter im Mittelpunkt: Peter Vogels Klanginstallationen und Klangskulpturen entfalten erst durch Interaktion ihre Wirkung. Zu erleben sind sie im Kunstmuseum Stuttgart.

Kaum bewegt der Betrachter die Hand über das Mischpult, lässt ihr Schatten Instrumente – kleine Bleche, Tamburine, Klöppel – im 8/8-Takt ertönen. Eine Leuchte projiziert die Reihe filigraner Geräte als lange Schatten an die Wand – auf ihrer weißen Fläche drehen sich kleinste Rotoren, winzige Hämmerchen klopfen gegen schmale Drähte. Das akustische Kunstwerk erhält eine zusätzliche, optische Dimension.

Das „Schattenorchester III“ (1998/99) gehört zu Peter Vogels wohl bekanntesten Werken. Es ist derzeit im Stuttgarter Kunstmuseum zu sehen. Der Freiburger Objektkünstler ist einer der Nominierten für den von der Sparda-Bank Baden-Württemberg und dem Kunstmuseum initiierten Kunstpreis „Kubus“. Wie die Werke der Mitnominierten – das Künstlerduo Discoteca Flaming Star und die Videokünstlerin Nevin Aladag –, nehmen Vogels Klanginstallationen und -objekte eine komplette Ausstellungsebene ein.

Vogels Werke wirken auf den ersten Blick sehr ähnlich. Doch jedes Objekt ist individuell konzipiert. Gemein ist den Installationen und Skulpturen aus Schaltkreisen, elektronischen Bauteilen und Fotozellen aber, dass der Betrachter eine wesentliche Rolle spielt, dass sie erst durch ihn zum Kunstwerk werden.

„Indem der Betrachter sich bewegt, nimmt er sich stärker wahr“

„Das Objekt ist nur ein Auslöser für einen ästhetischen Vorgang, an dem ein Betrachter notwendig beteiligt ist“, sagt Vogel den Stuttgarter Nachrichten. Das „Schattenorchester III“ etwa sieht er als „materialistische Partitur“, die nur durch die Interaktion zum vollendeten Musikstück wird. Bei der „Spirale“ (2013) greift das umgekehrte Prinzip: Klatscht der Betrachter in die Hände, lösen seine Schallimpulse eine spiralförmige Lichtbewegung aus. Je nachdem, wie lange der Applaus anhält, leuchten analog zum Ton einige der insgesamt 66 Leuchtdioden auf. „Indem der Betrachter sich bewegt, nimmt er sich stärker wahr. Geist und Körper bilden eine Einheit“, sagt Vogel und bewegt sich damit in der Linie des US-amerikanischen Künstlers John Cage.

„Die langweilige Musik wurde plötzlich spannend“

Mit seinen Klangwänden und den Schattenorchestern gilt Vogel als Pionier auf dem Gebiet der minimal-elektronischen Musik. Großen Einfluss auf sein Werk hatte der US-amerikanische Komponist Steve Reich. „Als ich Reich zum ersten Mal hörte, lehnte ich ihn mit meinen europäischen Ohren total ab“, sagt Vogel. „Erst später wurde mir bewusst, dass der Hörer – indem er sich auf bestimmte Töne fokussiert und diese in seiner Wahrnehmung steuert – jedes Mal eigene Kreationen schafft. Die langweilige Musik wurde plötzlich spannend.“ Das Prinzip der Wiederholung setzt auch Vogel in seinen Werken ein.

War Peter Vogels Werdegang vorgezeichnet? Der Objektkünstler kam 1937 in Freiburg im Breisgau zur Welt. Der Vater war Maler, die Mutter Bildhauerin. „Von früher Zeit an wollte ich Maler werden“, erinnert sich Vogel. Physik habe er später nur studiert, um sein Überleben zu sichern – die Nachkriegsjahre, unter denen seine Eltern wie andere Künstler litten, hatten ihre Spuren hinterlassen. Nach dem Studium war Vogel von 1965 bis 1975 in der Gehirnforschung tätig. Seine künstlerischen Aktivitäten begann er jedoch bereits 1955. Und beschäftigte sich nicht nur mit der Malerei: „Für mich waren Musik, Kunst, Tanz und Malerei schon immer eins.“ Vor allem die zeitliche Komponente interessierte den jungen Künstler. Da ihm diese in der Malerei fehlte, verlagerte er seinen Schaffens-schwerpunkt allmählich.

Zuvor hatte Vogel bereits versucht, mit Hilfe repetitiver Formen die Zeit bildlich darzustellen. „Mein ursprünglicher Gedanke war ein Bild, das abläuft wie Musik oder ein Tanz. Ich dachte, der Betrachter könne das dann ablesen. Dem war nicht so“, stellt er nüchtern fest.

Schildkrötenroboter brachten Vogel die zündende Idee

Während seiner Arbeit in der Schweiz kam Vogel mit den auf Musik und Schall reagierenden Schildkrötenrobotern des US-amerikanischen Neurophysiologen und Roboterforschers William Grey Walter in Berührung. Sie brachten ihn auf die Idee, seine Kunstwerke mit Licht und Klang reaktionsfähig zu machen und so die zeitliche Komponente in sein Werk miteinzubeziehen. Von 1972 an beschränkte sich Vogel vollends auf die Interaktion und ließ die Malerei fallen. „In den 1960er und 1970er Jahren war es in Mode, dem Betrachter eine größere Rolle zuzusprechen“, sagt Vogel. „Die Künstler entfernten sich von ihrer Selbstdarstellung.“

Seine Installationen und Skulpturen fertigt Vogel in einem Freiburger Atelier. Im Hantieren mit elektronischen Geräten kann er auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückblicken: Schon als Jugendlicher baute er selbst Tonbandgeräte. Aber: „nicht wegen der Elektronik, sondern wegen der Musik“.

Vogels Tante war Pianistin. Durch sie kam er mit den Geräten in Berührung, die es in den 1950er Jahren auf dem freien Markt noch nicht gab. „Mich hat fasziniert, dass man Musik rückwärts oder schneller spielen konnte – und, dass man sie schneiden konnte“, sagt Vogel. Mit seinen selbst gebauten Geräten schaffte er Musikcollagen, ähnlich der Musique concrète („konkrete Musik“), einer in den 1940er Jahren entstandenen Musikrichtung, bei der Klänge durch Montage, Schnitte und Geschwindigkeitsveränderungen verfremdet werden.

1975 setzte sich Vogel erstmals künstlerisch mit musikalischen Parametern auseinander, als er zu den Donaueschinger Musiktagen eingeladen war. Es war Vogels Durchbruch. Mit ihrer Lautstärke, den Klangfolgen und ihrem Rhythmus machten die Installationen die Zeitstrukturen tatsächlich besser wahrnehmbar.