Lassen sich Künstlerkarrieren voraussagen? Christian Jankowski hat es ausprobiert Foto: Kunstmuseumki

Der Zufall lässt sich nicht voraussagen, aber doch eingrenzen – und provozieren. Dies nutzt die Kunst, und mit der Schau „(un)erwartet. Die Kunst des Zufalls“ verfolgt das Kunstmuseum Stuttgart diese Künstlerspur.

Stuttgart - Farblich unterschiedlich bedruckte geometrische Formen liegen bereit, warten darauf, zusammengefügt zu werden, ein Ganzes zu ergeben. Das Ergebnis wird bei jedem Durchgang ein anderes sein. Wie bei diesen bewussten Versuchsanordnungen wird er gerne durch klare Regeln provoziert, der Zufall, jene – auch in ihrer Verneinung – gern magisch überhöhte Größe im Heer der menschlichen Versuche, Existenz an sich zu begreifen und bis hin zu ihrer Entstehung fassbar zu machen.

Die Sammlung ist der Star der Schau

Das Kunstmuseum Stuttgart hält diese Formenübungen in einem im hinteren Teil der Erdgeschoss-Sammlungsräume neu eingerichteten Versuchslabor bereit – offiziell als Fortführung und Erweiterung der von diesem Samstag an auf den drei Kubus-Stockwerken zu sehenden Themenausstellung „(un)erwartet. Die Kunst des Zufalls“. Der scheinbare Zusatz aber markiert den eigentlichen Auftakt zu diesem Projekt. Wie anders ließe sich denn Anlauf nehmen, als von dem Versuchslabor aus durch die Sammlungsräume, vorbei etwa an den Lacktafeln von Oskar Schlemmer und Willi Baumeister, vorbei an den Befragungen des Konkreten mit dem Werkblock der Sammlung Teufel, hin zu den À-tempo-Szenarien von K. R. H. Sonderborg, Walter Stöhrer und Fritz Winter.

Und wie anders ließe sich die offiziell im ersten Kubus-Obergeschoss mit einem historischen Eil-Rekurs auf die unbestrittenen Zufall-Heroen Marcel Duchamp, Hans Arp und Max Ernst beginnende „(un)erwartet“-Schau in ihrer ganzen Bedeutung verstehen, als auf dem Sammlungsweg im Untergeschoss – vorbei an Werken von Thomas Locher, Joseph Kosuth und natürlich über das Wiedersehen mit den Arbeiten des Zufall-Kronzeugen Dieter Roth.

Kuratorin Froitzheim zieht Überraschungsregister

Nicht etwa ermüdet, sondern schlicht aufmerksam gemacht betritt man so das Szenario, das Kunstmuseums-Kuratorin Eva-Marina Froitzheim erarbeitet hat. Seit sie 2005 einen Vortrag des Wissenschaftsjournalisten Stefan Klein hörte, ist Froitzheim „an dem Thema dran“. Und nun? Zieht sie im nach oben weit offenen, über zwei Stockwerke reichenden und feinsinnig Oberlicht fingierenden Zentralraum des ersten Kubusgeschosses fast alle Überraschungsregister. Links wartet die 1990 von Guillaume Bijl für den Kunstmuseums-Vorgänger Galerie der Stadt Stuttgart eigens konzipierte und angekaufte Arbeit „Composition Trouvée (Stuttgart Souvenir Shop)“ als Ensemble zufälliger Kaufentscheidungen für Stuttgart-Souvenirs – beiläufig ein gar nicht zufälliger Hinweis auf die veränderten Strategien des Stadtmarketings seit 1990. Geradeaus warten die Würfelformationen des Künstlerensembles Troika, und rechts deutet ein Werkblock des 2010 gestorbenen Peter Lacroix an, in wie vielen Ateliers gleichzeitig sich das Konkrete des Zufalls bemächtigte, ihn provozierte, um zu neuen Ergebnissen zu kommen. Ebenso könnten hier ja Arbeiten von Georges Vantongerloo (1886-1965) oder auch – wie schon im Versuchslabor möglich – von Anton Stankowski (1906-1998) zu sehen sein.