Otto Dix, Der Salon I, 1921 Foto: Kunstmuseum/VGBildkunst, Bonn 2012

An diesem Freitag wird im Kunstmuseum Stuttgart die Schau „Otto Dix und die Neue Sachlichkeit“ eröffnet – ein Gespräch mit der Direktorin des Kunstmuseums.

Stuttgart - Wieder und wieder wird das Panorama der Bildwelten von Otto Dix (1891–1969) neu ausgeleuchtet. Allein dies zeigt schon den zeitlos aktuellen Rang seines Werkes. Jetzt gilt Simone Schimpfs Blick Dix’ Rolle für die Neue Sachlichkeit. Im Interview erläutert die stellvertretende Kunstmuseums-Direktorin ihr Konzept.


Frau Schimpf, am 14. Juni 1925 eröffnete Gustav Friedrich Hartlaub als Direktor der Mannheimer jene Ausstellung, die einer ganzen Kunstepoche ihren Namen gab: Neue Sachlichkeit. Was ist denn das Neue und was meint Sachlichkeit in einer doch sehr bewegten Zeit?
Der Kunsthistoriker und Museumsdirektor Hartlaub beschäftigte sich seit 1923 mit der gegenständlichen Malerei und erkannte eine Gegenbewegung zum Expressionismus, die er Neue Sachlichkeit nannte. Damit meinte er den distanzierten, sezierenden Blick auf die Wirklichkeit, der diese zeitgenössischen Werke charakterisierte. Er erkannte aber auch bereits damals zwei unterschiedliche Ausprägungen, die er in den Begriffen Verismus und Klassizismus fasste. Wichtig ist, dass sich mit dem Etikett Neue Sachlichkeit keine homogene Gruppe oder gar Schule verbindet.

Sie haben den genauen Blick angesprochen. Ist also die Neue Sachlichkeit auch als bewusster Gegenpol nicht nur zum Expressionismus, sondern auch zur internationalen Vorkriegsmoderne zu sehen?
Ja, der Erste Weltkrieg stellt auch in kunsthistorischer Sicht eine große Zäsur dar. Die expressionistische Malweise schien vielen Künstlern nicht mehr angemessen, um auf die gesellschaftlichen Umwälzungen reagieren zu können. Man muss sich klarmachen, dass dieser Krieg in eine Revolution mündete und die bisherige Ordnung in ihren Grundfesten erschütterte.

Ihr Ausstellungsprojekt geht vom Kronschatz des Kunstmuseums aus, der Dix-Sammlung. Der Maler liefert Ihnen auch gleich einen provokanten Leitsatz: „Die Neue Sachlichkeit, das habe ich erfunden.“ War es so?
Otto Dix kommt sicherlich eine zentrale Rolle zu. Schließlich begann er schon 1920 in der später als neusachlich bezeichneten Weise zu malen. Einige Jahre später zählte er zu den renommiertesten Künstlern der Weimarer Republik: Ihm war es gelungen, sich zwar einerseits als Bürgerschreck künstlerisch zu profilieren, aber zugleich als Porträtmaler äußerst gefragt und gesellschaftlich gefeiert zu sein.

Der präzise Blick eint das Bilderpanorama von Dix, zugleich aber weist es durchaus formale Gegensätze auf. An welchem Punkt ist denn Dix für Sie der Maler der Neuen Sachlichkeit?
Ein Meister der Neuen Sachlichkeit ist er für mich ab 1925. Von 1930 an wird sein Blick jedoch milder, und er wendet sich anderen Themen wie der Landschaftsmalerei zu. Dennoch pflegt er seinen neusachlichen Stil bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.

Sie haben zu Anfang darauf verwiesen, dass die Neue Sachlichkeit nahezu von Beginn an geteilt gesehen wird – hier der sozialpolitisch engagierte, dort der eher bürgerliche Flügel. Verismus contra Klassizismus heißt die Formel. Was ist mit dem Verismus gemeint?
Hartlaub verstand unter Verismus eine schonungslose Darstellungsweise der sozialen Zustände. Seine vereinfachende Einteilung gilt heute als überholt. Gerade das Werk von Otto Dix ist viel komplexer. Es gibt bei ihm durchaus veristische Elemente, etwa wenn er Prostituierte oder Kriegsgräuel zeigt. Und doch wäre es ein großes Missverständnis – so jedenfalls lautet die These unserer Ausstellung, die auf den jüngsten Forschungsergebnissen basiert – in Dix einen linken, politisch engagierten Künstler zu sehen. Tatsächlich wollte er mit seiner Malerei vorrangig Zeugnis ablegen, und dabei spielten Ideologie und Sendungsbewusstsein keine Rolle. Dies wird in der Ausstellung gerade im Vergleich mit anderen Künstlern wie George Grosz oder Karl Hubbuch deutlich.