Kamel Hamadou von Hermès und Lenka Kühnertová am Produktionstisch in der Staatsgalerie. Foto: Martin Haar

Eine Stuttgarter Seidentuch-Künstlerin trifft in der Staatsgalerie Gleichgesinnte bei Hermès und findet jede Menge Parallelen zwischen ihrer Arbeit und jener der Luxusmarke. Nur in einem Punkt kann sie nicht mithalten: beim Preis.

Stuttgart - Dass Handwerk goldenen Boden hat, klingt für manche Ohren verstaubt. Im digitalen Rausch ist Handarbeit zwar immer noch gefragt, wird aber nur noch selten in Perfektion praktiziert. Hand aufs Herz: Wer weiß, wo noch Handschuhmacher, Rollierer, Sattler, Glasbläser oder Seidenmaler arbeiten? Die Antwort Staatsgalerie, wo bis Sonntag eben jene Meister der exklusiven Marke Hermès ihre traditionelle Kunstfertigkeit demonstrieren, zählt nicht.

Hundert Punkte gibt es aber für den Hinweis Schubartstraße 2 b – also einen Steinwurf von der Staatsgalerie entfernt. Hier liegt die Stuttgarter „Seidenstraße“. Dort arbeitet Lenka Kühnertová. Sie macht im Kleinen das, was den Franzosen zur absoluten Größe gereicht: sie schenkt Seidentüchern eine Geschichte aus Bildern. So kommen Ernest Hemingway oder Haruki Murakami auf den Stoff. „Es geht mir nicht nur um Mode und Stoff, sondern auch um Inhalte“, sagt sie und hört Kamel Hamadou, den Kommunikationschef für den Bereich Seide bei Hermès, fast das Gleiche sagen: „Für mich ist ein Tuch wie ein Buch, jedes neue Bild erzählt eine andere Geschichte.“

Mit 1000 Fragen zu Hermès

In diesem Moment weiß Lenka Kühnertová: der Weg zu den Kollegen von Hermès hat sich gelohnt. Gespannt wie ein Bogen war sie mit gefühlt 1000 Fragen von ihrer „Seidenstraße“ in die Staatsgalerie marschiert. Was machen die anders? Wie viel Kunst, wie viel Handwerk, wie viel Liebe steckt in dem, was unter dem Label der französischen Nobelmarke produziert wird? Und: Was sagen die Hermès-Meister zu ihren Kreationen?

Kamel Hamadou entfährt ein gedehntes „ooookayyyyy“, als er ein Tuch aus der Manufaktur Kühnertová durch die Hände gleiten lässt, das Design und den Druck inspiziert. Hamadou ist sichtlich beeindruckt, was Kühnertová sofort spürt. Von diesem Moment an, ist sie sozusagen Mitglied in der Gilde der Seidentuch-Meister. Hamadou hat eine Kunsthandwerkerin gefunden, mit der er sich nun auf Augenhöhe bewegt. Beide tauchen sie tief in die Welt des Seidenmalens – und Druckens ein. Und schnell wird klar: das klassische Quadrat 90 auf 90 Zentimeter, das Seiden-Carré, verbindet beide wie festes Band. Denn im Grunde arbeitet die Stuttgarter genauso wie die Kunsthandwerker von Hermès.

450 Kilometer Seidenfaden für ein Tuch

Das dämmert ihr spätestens am Produktionstisch: „Das Ganze hier bestärkt mich“, sagt sie, „sie arbeiten nicht anders als ich, sie haben nur andere technische Möglichkeiten, als ich.“ Während die Diplom-Designerin ihre Ideen zu Beginn als Tuscheskizzen auf Papier bannt, dann die Farben anmischt, um sie später über den Siebdruckrahmen, dessen Polyesterbespannung über Negativpartien für das jeweilige Muster verfügt, auf die Seide zu übertragen, sind mit allen diesen Arbeitsschritten bei Hermès zehn Profis mit unterschiedlichen Qualifikationen beschäftigt. So vergehen von der Idee bis zum fertigen Carré zwei Jahre. „Wir lieben es bei Hermès langsam“, sagt Hamadou und findet sich in seiner Lieblingsrolle wieder: Geschichten rund um die Carrés zu erzählen. So reist er in Gedanken bis nach Brasilien, wo die Seide gewonnen wird. „Ein Kokon der Raupen ergibt eine Fadenlänge von 1500 Meter. Und ein Carré braucht 300 Kokons, das sind 450 Kilometer pro Tuch.“

Aber was sind schon nackte Zahlen gegen die Philosophie, die Hermès und Kühnertová verbindet. „Es geht um die Tradition des Handwerks, die Qualität des Tuches und die Zeit, die es braucht: Das sind auch meine Werte“, sagt sie und lädt ihren neuen Freund Hamadou zu sich in die Stuttgarter „Seidenstraße“ ein. Dort will sie ihm zeigen, dass sie seit zwei Jahren in Kleinauflagen zusätzlich zu den Tüchern auch Kleider herstellt. „Noch eine Parallele“, sagt Lenka Kühnertová stolz, „die lassen sich auch aus der Tuchgeschichte des Hauses in ihren Modekollektionen inspirieren.“ Zuletzt meint sie aber noch augenzwinkernd: „Nur in einem Punkt kann ich nicht mithalten: beim Preis.“