Die Pflanzen in der Installation „Extra-Natural“ von Miguel Chevalier reagieren auf die Bewegung des Publikums. Foto: /Hypo Kunsthalle/Chevalier

Schön, aber langweilig? Blumen sind – nicht nur kurz vor dem Valentinstag – allgegenwärtig. In der Ausstellung „Flowers Forever“ in München kann man ungewöhnliche Entdeckungen machen.

Sie dürfen nicht fehlen. Ob ein Bürgermeister spricht oder ein Festakt ansteht – Blumen gehören dazu. Sie stehen vor dem Rednerpult und auf Tischen, werden Siegern und Gastgebern überreicht. Blumen gehen immer. Aber warum ist das so? Warum sagt man bis heute nicht nur am Valentinstag etwas durch die Blume oder ist auf Rosen gebettet? Wer sich auf den Weg nach München in die Hypo-Kunsthalle macht, versteht sofort, warum Blumen auch in unserer hoch technisierten Welt noch eine enorme Rolle spielen. „Flowers Forever“ nennt sich die neue Sonderausstellung, die schon in den ersten Tagen so gut besucht ist, dass kein Zweifel daran besteht, dass Blumen zu uns Menschen gehören – selbst wenn sie abgepackt an der Tankstelle gekauft werden.

Rote Rose und rote Nelke haben höchst unterschiedliche Botschaften

Die üppig bestückte Ausstellung (man bekommt für sein Eintrittsgeld sehr, sehr viel geboten) erzählt nicht brav nach, sondern springt kreuz und quer durch die Kunst- und Kulturgeschichte. Hier poppige Nachbildungen in Übergröße zu Lehrzwecken. Dort Blumen als bedeutungsschwere Symbole: Die rote Rose steht, natürlich, für die Liebe, die rote Nelke dagegen für die proletarische Frauenbewegung.

Das Gewächshaus steht für Kontrolle der Natur

Als Victor Freudemann vor rund hundert Jahren prächtige Blumen in einem sonnigen Gewächshaus malte, zeigte er noch die überschäumende Schönheit der Natur. Und doch weist dieses Gewächshaus bereits den Weg hin zu einer Welt, in der man sich die Natur immer rigoroser untertan macht, sie kommerzialisiert und kontrolliert.

Die Kunst will den Pflanzen eigene Kreationen entgegensetzen

Wenn sich heute Künstlerinnen und Künstler mit Blumen befassen, so längst nicht mehr, um in unseren Köpfen betörende Sinnesfreuden hervorzukitzeln, sondern um der Natur eigene Kreationen entgegenzusetzen. So fotografierte Karl Blossfeldt in den 1920er Jahren Blüten und Pflanzenteilen so streng grafisch und symmetrisch, als seien es am Reißbrett konzipierte Ornamente. Ann Carrington baut dagegen komplette Blumengestecke aus Löffeln, Gabeln und Nägeln nach. Und Miguel Chevalier hat seine Pflanzen gleich ganz vom Computer generieren lassen. Die hässlichen, virtuellen Wucherungen seiner KI-gesteuerten Rauminstallation „Extra-Natural“ reagieren auf die Bewegungen des Publikums.

Wie nebenbei kann man vieles lernen

Es ist eine spannende und höchst anregende Ausstellung, in der man wie nebenbei allerhand lernt. Wer hätte gewusst, dass Lungenkraut seine Farbe wechselt, damit Insekten wissen, dass in der Blüte nichts mehr zu holen ist? Warum spielt ausgerechnet die Lotusblüte in so vielen Kulturen, im Alten Ägypten wie im Buddhismus, eine wichtige Rolle?

Die Natur in Schubladen stecken

Die Kulturgeschichte der Blumen erzählt aber auch viel über das, was die Menschen in ihrer Zeit ausmachte. Botanische Studien aus dem Jahr 1615 künden vom wachsenden wissenschaftlichen Interesse. Maria Sibylla Merian widmete sich den Schmetterlingen in ihrem Buch „Der Raupen wunderbare Verwandlung und sonderbare Blumennahrung“. Und als Carl von Linné 1753 lateinische Gattungen einführte, beförderte er damit ein Verständnis von Welt, das systematisiert, kategorisiert und katalogisiert. Das Wunder der Natur wurde fortan in Schubladen gesteckt.

Spatzen getötet, Insekten vergiftet – wer bestäubt jetzt die Apfelbäume?

Flower Power und Stillleben, Vanitas-Symbole und florale Jugendstilornamente – das Thema wartet mit zahlreichen Aspekten auf. Auch ökologische Fragen werden auf überraschende Weise verhandelt: So ist eine Art Korb ausgestellt, den chinesische Bauern auf dem Rücken tragen. Da in den 1950er Jahren rund zwei Milliarden Spatzen getötet wurden, um die Ernte zu retten, kam es zu einem rasanten Anstieg der Insekten. Die wiederum wurden mit Pestiziden vernichtet. Seither müssen die Bauern die Blüten ihrer Obstplantagen selbst bestäuben.

Begehbare Höhle aus getrockneten Blüten

Die wohl schönste Arbeit in der Hypo-Kunsthalle bildet den krönenden Abschluss: Es ist ein Gemeinschaftswerk, für das 180 Münchnerinnen und Münchner 200 000 Blumen gesammelt und getrocknet haben. Die britische Künstlerin Rebecca Louise Law hat daraus eine höhlenartige Installation gezaubert. Die Rosen, Glockenblumen, Disteln und Hortensien, die Gräser und Lavendelstängel wurden so kunstvoll auf Schnüre aufgezogen, dass sich eine betörende Farben- und Formenvielfalt ergibt. In den kommenden Wochen werden sicher sehr viele Selfies in diesem riesigen Blütenkelch „Calyx“ gemacht werden. Trotzdem sollte man nicht versäumen, für einen Moment nur die Sinne zu öffnen und sich diesem sanften, duftenden morbid-poetischen Blütenmeer hinzugeben.

Käufliche Schönheit

Tulpenmanie
Auch im 17. Jahrhundert wurde mit Blumen viel Geld gemacht. In den Niederlanden wurden Tulpenzwiebeln zum Spekulationsgeschäft. Die einen bereicherte, die anderen ruinierte die Gier nach besonders exquisiten Tulpensorten. Auch die Maler der Zeit haben sich begeistert der Tulpenmanie gewidmet.

Info
Bis 27. August, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8, München. Geöffnet täglich 10 bis 20 Uhr. adr