Der Majdan sah auch friedliche Phasen fast schon mit Festivalcharakter. Das Bild zeigt die Cellistin Solomia Melnyk von der Dakh Daughters Band. Foto: Maxim Dondyuk

Das Kornhaus in Kirchheim zeigt Maxim Dondyuks Fotos vom Aufstand auf dem Majdan-Platz. Der Fotojournalist dokumentiert die Vorgänge mit eindrucksvollen Aufnahmen, die auch ein Plädoyer für Freiheit und Frieden sind.

Kirchheim - Mit seinem 35-Millimeter-Weitwinkelobjektiv begab sich der ukrainische Fotograf Maxim Dondyuk am 1. Dezember 2013 mitten ins Geschehen auf dem Majdan-Platz in Kiew. Nach Protesten gegen die Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens hatten die Berkut-Spezialtruppen ungewöhnlich hart gegen die Demonstranten durchgegriffen. Die nächsten zweieinhalb Monate, bis sich der Präsident Wiktor Janukowytsch zurückzog, blieb Dondyuk vor Ort. Seine Aufnahmen gingen um die Welt und erhielten zahlreiche Preise. Nun zeigt das Kirchheimer Kornhaus auf zwei Etagen eine große Auswahl.

Der Fotograf ergreift nicht Partei

Dunkel ist es auf den großformatigen Abzügen, kontrastiert von Flammen, Rauch und Schnee. Die Wahl des Objektivs ist entscheidend. Die Momentaufnahmen sind nicht aus sicherer Entfernung geschossen, sondern aus nächster Nähe. Es gibt Verletzte und Tote. Eine Frau kniet vor dem Foto eines Opfers. Im Bild daneben tragen behelmte Sicherheitskräfte eines ihrer Opfer weg. Dondyuk ergreift nicht Partei, obwohl er zu Beginn sicher mit den Aufständischen sympathisierte.

Aber der Fotograf, der zwei Jahre in der Marine gedient hat, zeige auch „Verständnis für den Korpsgeist und das Pflichtbewusstsein der Polizeikräfte“, betonte Kirchheims Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker in ihrer Eröffnungsrede. Auf einem Bild sieht man, wie sich einige von ihnen im Windschatten des 2001 errichteten neobarocken Unabhängigkeitsdenkmals eine Verschnaufpause gönnen. Mit dem Wunsch, 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs eine Ausstellung zu konzipieren, die auf die Bedeutung von Demokratie, Frieden und Freiheit für Europa hinweisen solle, war Matt-Heidecker an den Kurator Wolfgang Dick herangetreten.

Die Ereignisse wirken auf Maxim Dondyuk fast unwirklich

In der Weimarer Republik sieht sie den „Beginn der parlamentarischen Demokratie in Deutschland“. Dick seinerseits dachte sofort an Dondyuk, dessen Aufnahmen ihn, als er sie zum ersten Mal sah, „wie ein Hammerschlag“ getroffen hätten. Ein wenig hinkt freilich der Vergleich: Als vor 100 Jahren in der Novemberrevolution die Massen auf die Straße gingen, war es Friedrich Eberts „Bluthund Noske“, auch er ein SPD-Politiker, der mit beispielloser Härte den Spartakusaufstand niederschlug.

Ob das Freihandelsabkommen mit der EU, das 2017 schließlich in Kraft getreten ist, den Menschen in der Ukraine tatsächlich den Wohlstand bringt, den sie sich von ihm erhofft haben, steht auf einem anderen Blatt. Dondyuk selbst sagt, die Ereignisse auf dem Majdan-Platz hätten auf ihn oft „fast unwirklich“ gewirkt, „als ob sie Teil einer mittelalterlichen Fabel oder Legende wären.“ Katrin Burtschell, die Leiterin der Freien Kunstakademie Nürtingen, fühlt sich an Schlachtengemälde erinnert, wenn etwa auf einem von oben aufgenommenen Bild die orangenen Bauhelme der Demonstranten und die schwarzen der Polizeitruppen in dichtem Gemenge aufeinanderprallen.

Bilder können instrumentalisiert werden

Dondyuk hat sich bei seinen Aufnahmen, wie er sagt, ganz auf die „visuelle Sprache“ konzentriert. Burtschell spricht von Ästhetik und übersetzt mit Wahrnehmung. Was aber nehmen wir wahr? Freiheitskämpfer oder Randalierer? Schlachtengemälde wurden im Auftrag angefertigt, um eine bestimmte Sicht der Dinge festzuhalten. Bei Bildern von Gewalt, auch wenn sie ohne Auftrag entstanden sind und sich um einen neutralen Standpunkt bemühen, besteht dennoch immer die Gefahr, dass sie, je nach Auswahl und Kommentierung, instrumentalisiert werden. Dondyuk selbst zeigt sich ernüchtert. Aufgrund seiner Erlebnisse ist er zu dem Schluss gelangt: „Krieg ist das Übelste auf der Welt.“