In „Body“ bei Reinard Hauff zu sehen: Arbeiten von Tom Wesselmann Foto: Galerie Reinhard Hauff

Soziale Netzwerke waren gestern, reales Erleben ist heute – das soll der Megatrend 2018 werden. Warum nicht schon 2017 damit beginnen, fragt „Stuttgarter Nachrichten“-Autor Nikolai B. Forstbauer.

Stuttgart - Rainer Wehr macht es kurz. „Zu schade für die Lade“ überschreibt der Stuttgarter Galerist seinen aktuellen Kunst-auf-Papier-Querschnitt. Recht hat er – wobei man das Wortspiel auch gehörig dehnen kann, agiert Wehr doch in einer klassischen Ladengalerie. Mit nicht nur offenen Fenstern, sondern auch und vor allem einer stets offenen Dialogtür. Von Romane Hoderried-Kaesdorf über Peter Holl bis hin zu Emel Geris – ja, es ist alles deutlich zu schade für die Lade!

Fabian Treiber trotzt dem Stuttgart-Gegenwind

Einfach aber hat es gerade niemand in Kunst-Stuttgart. Der Wind hat sich schließlich wieder deutlich gegen den Südwesten gedreht – in der Krise der Gegenwartskunst-Verkäufe greift man gerne auf Uralt-Stereotypen zurück. Gut – aber wenn sich schon bundesweit die Galerien um Fabian Treiber zanken, ist es dann schlecht, wenn der Stuttgarter Konzeptmaler seine jüngsten Arbeiten in der Galerie Strzelski (Rotebühlplatz 30) zeigt? Nein, es ist konsequent.

Kleiner Raum, große Schau: Koliusis bei Mueller-Roth

Man muss dann aber schon zur Qualität vor Ort stehen – und etwa flugs in die Christophstraße 6 marschieren. Dort begeistert Dorothea Schulz in der Galerie Michael Sturm mit ihren neuen Arbeiten, wagt Herbert Egl einen neuen Schritt in seiner Malerei, und stellt sich, auf dem gleichen Stockwerk in der Galerie Mueller-Roth, der aktuell im DKM Museum in Duisburg gefeierte Nikolaus Koliusis ein fast schon bestürzend präzises Panorama seines Schaffens vor.

Söhrer-Hochkaräter bei Schlichtenmaier

Das von Koliusis eingefangene, gespiegelte, reflektierte, raumbildende Licht spielt auch in der Malerei des vor 17 Jahren gestorbenen Malers Walter Stöhrer eine zentrale Rolle. Zu erleben ist dies aktuell in der Galerie Schlichtenmaier (Kleiner Schlossplatz 11) – in einer mit Hochkarätern gespickten Schau.

„body“-Feuerwerk bei Reinhard Hauff

Und hier, bei Stöhrer, kann man auch in aller Radikalität den Stuttgart-Parcours der Diskussion geschlechtlicher Identität und Sexualität beginnen. Um im benachbarten Kunstmuseum auf drei Kubus-Stockwerken in die „Private Schow“ des mit 38 Jahren gestorbenen Malers Patrick Angus einzutauchen oder um, eine S-Bahn-Haltestelle weiter, in der Galerie Reinhard Hauff (Paulinenstraße 47) in einer schlicht „body“ getauften Themenschau ein Feuerwerk nicht nur der Best-of-Namen wie Josephine Meckseper oder Georg Herold zu erleben, sondern vor allem die wunderbare Welt der Julika Rudelius.

Die Ausstellung des Jahres? Alexander Kluge im Kunstverein

Das geht nicht immer? Und verrät auch digital nicht alles, aber auf jeden Fall zu wenig? Dann ist Hauff, wie manch anderer seiner Branche, nicht etwa hinterher, sondern weit vorne – wenn man den Trendvoraussagen für 2018 glauben will.

Natürlich aber wird man nicht auf einmal wieder auf die Bequemlichkeit des digitalen All Over verzichten. Und wenn doch? Dann gibt es in Stuttgart nur eine Adresse: den Württembergischen Kunstverein Stuttgart (Kunstgebäude am Schlossplatz) und die Ausstellung „Alexander Kluge – Gärten der Kooperation“ im Kunstgebäude am Schlossplatz . Eine Stunde, einen Tag, eine Woche – es ist eine Schau, die das Begriffspaar Besuch und Zeit entkoppelt. Es ist die Ausstellung des Jahres – und kaum nur deutschlandweit.

„Der Meister von Meßkirch“ – Altdeutsche Malerei als Thriller

Doch lieber ins Museum? Dann nichts wie hinein in das Trugbild „Meister von Meßkirch“ in der Staatsgalerie. Goldglanz und Heiligenverehrung? Von wegen! Hier erzählt die Kunst mit Wut und Scharfsinn das Drama von Reformation und Gegenreformation, kündet von mäzenatischer Unbedingtheit und einem von beiden Kirchen-Fliehkräften nicht mehr zu bändigenden Künstler-Ich.

Kurz: Stuttgart hat es gut. Stuttgart hat die Kunst.