Die Video-Tableaus von Rachel Rose arbeiten mit den Mitteln des Märchens. Die „Stuttgarter Nachrichten“ werten ihren Auftritt im Kunsthaus Bregenz als Spiel mit nahezu allen Sinnen. Am 28. Februar ist Kunsthaus-Direktor Thomas D. Gast in der „StN“-Gesprächsreihe „Über Kunst“.
Stuttgart - Im November 1776 wagt sich Admiral Lord Richard Howe für die Truppen der britischen Krone mit zwei Fregatten zwischen die von den nach Unabhängigkeit strebenden 13 amerikanischen Kolonien gehaltenen Fort Lee und Fort Washington. Im Geschützdonner muss die „Kontinentalarmee“ George Washingtons beide Festungen räumen – um am Ende doch über die sich auch selbst immer weiter auseinanderdividierenden Verbände der Briten und ihrer Verbündeten zu triumphieren.
Lebendige Geschichte
Der Palisade Interstate Park hoch über dem Hudson River erinnert an das Geschehen. Lässt sich heute aber das Wirken der Geschütze nicht nur nachlesen, sondern auch nachspüren? Und unter welchen Bedingungen könnten wir in der Gegenwart nicht doch in die Vergangenheit eintauchen? Die Ausgangsfragen von Rachel Rose’ Videoarbeit „Palisades In Palisades“ von 2014 könnten wohl nirgends besser gestellt werden als im Kunsthaus Bregenz. Dort ja feierte 2007 Cy Twomblys 2001 entstandener Gemälde-Zyklus „Lepanto“ einen die Wirkmacht des Künstlers bis heute befeuernden Triumph in der „Regie“ des damaligen Kunsthaus-Direktors Eckhard Schneider.
Seeschlachtbühne Bregenz
„Lepanto“, das ist gemaltes Hoffen und Verzweifeln, farbig lustvoll im Detail, zeichenhaft aber doch im Ganzen. Es sind Gedankennotizen zu einer Seeschlacht im Golf von Korinth. Mit wenigen Strichen angedeutete Schiffe fahren auf türkisfarbene See hinaus – und verwandeln sich bald in rot glühende Todesboten. Twombly zerstört den Mythos des Sieges der spanischen, venezianischen und päpstlichen Truppen über die osmanische Flotte nicht, er reiht das Drama vielmehr ein in den Jahrtausende währenden Kampf um die Vorherrschaft im und am Mittelmeer.
Twomblys „Lepanto“-Zyklus führte 2001 noch einmal ebenso weit in die Vergangenheit wie auch in eine Zukunft, die vor neuerlichem Blutvergießen im Geist des Mythos nicht gefeit ist.
Zehn Jahre nach der „Lepanto“- „Aufführung“ in Bregenz werden im Kunsthaus wieder Schiffe zu Todesboten. Dabei beginnt auch Rachel Rose’ „Palisades In Palisades“ eher betont friedlich, ja heiter. Die Kamera nähert sich einer jungen Frau, einer Besucherin des Parks. Doch schnell gerät die Situation buchstäblich ins Rutschen. Zeitebenen durchdringen sich, bald auch die Empfindungsebenen der jungen Frau.
In diese Zwischenzonen jagt Rose die gemalten Geschütz-Salven historischer Bilder der Schlacht. Vor unseren Augen aber explodiert nichts – Rose lässt vielmehr die jeweils aufscheinende Zeit- und Realitätsebene implodieren. Alles Greifbare zerfällt. Anders als 2015 in der Serpentine Sackler Gallery im Hydepark (sinnigerweise eine vormalige Lagerhalle für Munition), reagiert „Palisades In Palisades“ in Bregenz nicht direkt auf eine weitere Arbeit von Rachel Rose. Kunsthausdirektor Thomas D. Trummer präsentiert je ein Werk auf jeder der vier Ebenen des ebenso eigenmächtigen wie doch ganz der Kunst dienenden Baus von Peter Zumthor.
Glasmalerei wird Teil der Aufführung
Für Bregenz wagt sich Rachel Rose im Erdgeschoss in die Abgründe der mittelalterlichen Malerei. „A Day In The Life“ macht die Rückfront zur Seeseite hin zur Bühne einer monumentalen Glasmalerei-Collage, gerade so, als wolle die New Yorkerin die von ihr auch in der eigens für die Schau geschaffenen Edition beschworenen mittelalterlichen Geister in die digitale Gegenwart beamen.
Im ersten Geschoss folgt „Palisades In Palisades“, im zweiten Geschoss mit „Everything And More“ die Zuspitzung der Frage, was bleibt, wenn sich die Elemente auflösen. Deutlicher als bei „Palisades In Palisades“ zeigt hier die gewebte Leinwand Wirkung. In sie sind bereits Motive von „Everything And More“ eingebracht. Deren Auftauchen in der Projektion verstärkt die Wirkung enorm. Die nur bespielte Fläche wird zur digitalen Leinwand.
Am Ende Trummers Ideal: Ein Raum, ein Bild
Thomas D. Trummer verfolgt für das Kunsthaus das Ideal „ein Haus, ein Werk“. In der Schau zu Rachel Rose steigert sich diese Erfahrung von Geschoss zu Geschoss – bis im dritten Obergeschoss und bei „A Minute Ago“ in einem Augenblick der Gleichklang der in die Leinwand eingewebten Motive eines brisanten Wetterumschwungs und eines imaginären Besuchs des Architekten Philipp Johnson in seinem „Glass House“ und der Projektion tatsächlich ein für sich stehendes Monumentalbild erlebbar macht. Da hat uns Rachel Rose längst gefangen in einem Bild-Ton-Gespinst, das den Gesetzen des klassischen Märchens folgt: Noch geht es um eine Erzählung, schon um ein körperliches (Mit-)Erleben.
Thomas D. Trummer ist Gast bei „Über Kunst“
Thomas D. Trummer ist Gast bei „Über Kunst“
Was? „Über Kunst“ heißt eine Gesprächsreihe unserer Zeitung mit herausragenden Persönlichkeiten der Kunstszene. Nächster Gast ist am kommenden Dienstag, 28. Februar, Thomas D. Trummer, Direktor des Kunsthauses Bregenz.
Wer? 1967 im österreichischen Bruck an der Mur geboren, ist Thomas D. Trummer nach seinem Studium in Graz von 1996 bis 2006 Kurator für Gegenwartskunst im Belvedere in Wien – und gründet dort das Atelier Augarten (TB21 Augarten Contemporary). 2007 erster Hall Curatorial Fellow am Aldrich Contemporary Art Museum in Ridgefield (Connecticut), bis 2011 Projektleiter Bildende Kunst der Siemens-Stiftung sowie des Siemens Arts Program und vor seinem Wechsel nach Bregenz im Mai 2015 Direktor der Kunsthalle Mainz.
Wo? „Über Kunst“ findet statt in der Galerie Parrotta in Stuttgart (Augustenstraße 87). Beginn am kommenden Dienstag ist um 19.30 Uhr, der Eintritt ist frei.
Wie? Ihre Anmeldungen nehmen wir gerne entgegen – unter www.stn.de/galerie oder am kommenden Montag, 27. Febnuar, von 11 bis 13 Uhr unter 07 11 / 72 05 - 75 00. (StN).
Die Ausstellung: Rachel Rose im Kunsthaus Bregenz. Bis zum 17. April (Di bis So 10 bis 18, Do 10 bis 20 Uhr). www.kunsthaus-bregenz.at