Monika Dürr und Bertram Biesinger in der Galerie des Vaters beziehungsweise Schwiegervaters Thomas Dürr Foto: Susanne Müller-Baji

Das Dürr-Haus in der Botnanger Beethovenstraße ist ein Juwel und wurde gerade liebevoll renoviert.

Stuttgart-Botnang - Wer einmal eines bewohnt hat, weiß: Ein altes Haus ist immer für eine Überraschung gut. Das gilt auch für das Haus in der vormaligen Stuttgarter Straße, das sich seit vier Generationen im Besitz der Botnanger Familie Dürr befindet und vom Café bis zum Atelier einige Nutzungen erfahren hat. Gerade haben seine heutigen Besitzer Monika Dürr und Bertram Biesinger das Haus liebevoll renoviert, sodass es nun fast wieder so aussieht, wie bei seiner Entstehung im Jahr 1913.

Erbaut haben das Gebäude der Dach- und Schieferdeckermeister Hermann Dürr und seine Frau, die Hebamme Anna, geborene Hofstetter. Es sei wohl auch Ausstellungsfläche und damit Werbung für das Handwerk ihres Urgroßvaters gewesen, mutmaßt Monika Dürr. Vor allem aber erfüllte sich das Paar damit den Traum vom eigenen Café: Lokalitäten waren in Botnang keine Seltenheit, es gab zu diesem Zeitpunkt bereits 27 Wirtschaften, aber nur ein einziges Café.

Die Eröffnung fiel in die Hochphase der europäischen Kaffeehauskultur und schnell machten vor allem Künstler das „Café Dürr“ zu ihrem Treffpunkt. Hinzu kam die zentrale Lage. Eine Aufnahme zur Einweihung der neuen Straßenbahn 1914 zeigt das Haus festlich geschmückt: „Das wäre heute anders, aber damals hat man die Straßenbahn gefeiert“, lacht Biesinger. Die Haltestelle lag so nahe, dass die Fahrgäste bei Regen unter dem Balkon des Cafés Schutz suchten.

Das Haus soll wieder mehr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden

Die anschließenden Kriegsjahre bewältigten die Betreiber mit viel Einfallsreichtum: Kaffee wurde aus Eicheln gekocht und die Marzipankartoffeln bestanden wirklich aus gekochten Kartoffeln. Monika Dürr zeigt eine Werbe-Postkarte des Cafés, die eine weitere Besonderheit offenbart: Die Dürrs waren stolze Besitzer der Telefonnummer 3. Vielleicht war das einer gewissen Technikverliebtheit geschuldet, spekuliert sie, oder Anna Dürr sollte als Hebamme erreichbar sein.

Natürlich musste die ganze Familie im Café mithelfen, und vielleicht beeinflussten die Treffen mit den kreativen Köpfen Botnangs, darunter die Literatin Emma Aberle und der Maler Hermann Umgelter, die Berufswahl von Sohn Max Dürr: Er wurde Architekt und zeichnete für Teile der Wolfbusch-Siedlung verantwortlich. Als er das Dürr-Haus übernahm, war das Café schon geschlossen: 16 Mal war Hermann Dürr bei der Arbeit abgestürzt, ohne ernsthaft Schaden zu nehmen und er hatte sich sogar mit einem spektakulären Handstand auf dem Kirchturmkreuz gebrüstet, wie sein Enkel Thomas F. Dürr einmal erzählt hat. Der 17. Sturz brachte ihm den Tod. Nachdem auch der Architekt Dürr verstorben war, lag das Haus einige Zeit im Dornröschenschlaf, bis Maler Thomas F. Dürr die Miterben auszahlen konnte. Das Haus wurde nun zum „Kunsthaus Botnang“, war Domizil, Malschule, Atelier und Galerie in einem, sogar kleine Konzerte fanden hier ab und zu statt.

Der Schaukasten am Eingang erinnert an den 2009 verstorbenen Künstler, genauso wie die Gemälde im Treppenhaus, die alle noch an den Plätzen hängen, die er für sie ausgewählt hatte. Die Erdgeschosswohnung beherbergt sein Lebenswerk, ist aber auch Ausstellungsraum für die Mineraliensammlung der heutigen Besitzer, die erwägen, das Haus wieder mehr der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Auffallend ist, mit wie viel Liebe das Paar das unter Denkmalschutz stehende Gebäude renoviert hat. Dabei kam es auch zu Überraschungen: So kam im Dachgebälk das Tagebuch der Hebamme Anna Dürr aus dem Jahr 1899 zum Vorschein. Allerdings ist der ortshistorische Schatz noch nicht ausgewertet, weil man dazu noch das handschriftliche Sütterlin entziffern muss. Im Zuge des Denkmalschutzes hatten Fachleute außerdem die originale Farbgebung des Hauses ermittelt, das heute wieder dasteht wie im Jahr 1913 – mit einer Ausnahme: „Das Wappen außen an der Fassade war ursprünglich rot“, sagt Bertram Biesinger und staunt über die grelle Farbwahl anno dazumal: Manchmal ist die Vergangenheit farbiger, als man sich das in der Zukunft ausmalen kann.