Mit etwas Glück erblickt man die paralympische Sportlerin Edith Wolf-Hunkeler bei ihrer Fahrt über den Zürichsee. Foto: Wolfgang Traeger

Der Stuttgarter Künstler Christian Jankowski lässt für die Manifesta in Zürich Künstler mit Berufsvertretern anderer Sparten Tandems bilden. Mit dabei: ein Pastor, eine Orgasmusexpertin und eine Pathologin

Zürich - Die Hotelgäste des Park Hyatt Hotels in Zürich werden sich die Augen reiben. Ob es die Barkeeper sind oder die Rezeptionisten – sie alle tragen knallorange Jacken, und zwar halbe Jacken. Der rechte Arm steckt in einem Ärmel, und damit das unpraktische Kleidungsstück hält, wird es mit Schleifchen festgebunden. Aber Kunst muss ja nicht bequem sein, und um Kunst handelt es sich bei den kuriosen Uniformen. Franz Erhard Walther hat sie erdacht, und eines wird seine Idee sicher bewirken: Die Hotelgäste werden auch mit Personen ins Gespräch kommen, die sie sonst als reine Dienstleister in Anspruch genommen hätte.

Kunst mitten im Leben – das ist das Konzept dieser Manifesta. Alle zwei Jahre ist die Biennale für zeitgenössische Kunst in einer anderen europäischen Stadt zu Gast. Nach der vergangenen Station in St. Petersburg hat man sich nun in Zürich einen besonderen Coup erdacht. Ein Künstler hat sie kuratiert, Christian Jankowski. Der Stuttgarter Kunstprofessor ist derzeit einer der interessantesten Video- und Konzeptkünstler.

„What People do for Money“ lautet das Motto, auf das man nun überall in Zürich gestoßen wird, in Imbissbuden und auf dem See, in der Fußgängerzone und am Bahnhof. Denn Jankowski hat sich für das Thema Arbeit entschieden und dazu Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt eingeladen, mit Zürchern, deren Beruf sie interessiert, etwas zu entwickeln. So entstanden Tandems zwischen Künstler und Pastor, Künstlerin und Literaturlehrerin, Starkoch oder Arzt. Una Szeemann hat sich hypnotisieren lassen. Andrea Éva Györi besuchte einen Orgasmus-Workshop und hat Frauen bei der Selbstbefriedigung gezeichnet. Der belgische Konzeptkünstler Guillaume Bijl hat dagegen in einer Galerie einen Hundesalon eingerichtet, in dem man seinen Vierbeiner scheren lassen kann, unter Aufsicht des Galeriepersonals.

Eine Skulptur aus 80 000 Kilogramm Klärschlamm

Ein schönes Konzept, passend zu Jankowskis eigenem Werk. Er arbeitet häufig mit Vertretern anderer Professionen zusammen, etwa einer Hellseherin. 2008 bat er die Mitarbeiter des Kunstmuseums Stuttgart bei seiner dortigen Ausstellung zum Rollentausch. Die Kuratorin landete zeitweise in der Sicherheitszentrale, und der Veranstaltungstechniker hielt bei der Vernissage die Rede. In Zürich habe er eine Ausstellung konzipieren wollen, zu der er selber gern eingeladen wäre, sagt Jankowski.

Doch die Ergebnisse dieser Versuchsanordnung fallen recht unterschiedlich aus. Mit etwas Glück kann man auf dem Zürichsee die paralympische Sportlerin Edith Wolf-Hunkeler sichten, die im Rollstuhl übers Wasser fährt – nach einer Idee des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan. Großartig und bitterböse sind auch die Cartoons von Pablo Helguera über den Kunstbetrieb. „Jetzt reden wir aber nicht mehr über mich“, sagt eine Frau im Café zur Freundin, „lass uns lieber über meine Arbeiten reden.“

Das prägnanteste Werk haben die Zürcher im Kollektiv erschaffen. Der amerikanische Konzeptkünstler Mike Bouchet hat den Klärschlamm eines einzigen Tages zu einer riesigen Skulptur verarbeitet: 80 000 Kilo in große Rechtecke gestochen, stinken nun im Ausstellungshaus Löwenbräukunst kräftig vor sich hin.

Zur Maloche gehört auch die Pause

Aber so anregend die Begegnungen für die Akteure gewesen sein mögen, einige Ergebnisse wirken doch eher bemüht oder gar banal. Asli Cavusoglu hat von einem Restaurator die oberen Schichten schweizerischer Landschaftsbilder abnehmen lassen, die nun auch im Tourismusbüro zwischen Souvenirs hängen. Jirí Thýn war in der Pathologie des Universitätsspitals, hat die polierten Edelstahlbecken fotografiert, während die Pathologin Scherenschnitte machen sollte, teils mit geschlossenen Augen. Der französische Autor Michel Houellebecq hat sich wiederum einem medizinischen Check-up unterzogen, wobei die überarbeiteten Ultraschallbilder seines Schädels am ehesten etwas über die egozentrische Künstlernatur an sich verraten.

Die Ergebnisse der dreißig „Joint Ventures“ werden an Satelliten – den Arbeitsplätzen der Berufsleute – gezeigt, aber auch im Helmhaus und dem Gebäude Löwenbräukunst, in denen parallel eine historische Ausstellung zum Thema Arbeit und Kunst zu sehen ist. Hier August Sanders Porträts von Seemann oder Friseur, dort Andreas Gurskys Fotografie einer Werkhalle von Siemens. Ein Kapitel verhandelt die Kunstindustrie, ein anderes Menschen, die unfreiwillig Teil eines Kunstwerkes wurden, wie etwa der Privatdetektiv, den Sophie Calle auf sich selbst ansetzte.

Jankowski und die Ko-Kuratorin Francesca Gavin haben Werke zusammengetragen, die soziologische und kulturwissenschaftliche Fragestellungen illustrieren sollen. Zur Maloche gehört auch die Pause, dargestellt durch Duane Hansons Installation „Lunchbreak“ (1989) mit lebensecht nachgebildeten Bauarbeitern bei der Vesperpause oder den „Celeb Bowls“ des Schweizer Designers Damian Fopp. Er hat die Pools von Charlie Chaplin oder Frank Sinatra als Kleinskulpturen nachgeformt.

Die Exponate wurden auf Gerüsten montiert, was angenehm anti-museal und hierarchiefrei wirkt, aber den Zugang mitunter erschwert, zumal die Erläuterungen winzig klein gedruckt wurden. Kunstbetrachtung kann eben auch Arbeit sein, wenn auch mitunter lohnenswert. So entdeckt man Interessantes wie das feministische „Manifesto for Maintenace Art“ von Mierle Ladermann Ukeles von 1969, die im Museum putzte, wischte, mit den Kindern bastelte– um zu demonstrieren, was ihre Haupttätigkeiten als Künstlerin sind.

So hat diese Manifesta ihre Höhen und Tiefen. Ihre eigentliche Stärke ist, dass sie den hermetischen Kunstbetrieb öffnet und soziale Begegnungen initiiert. Durch die Satelliten ist die Biennale gut in der Stadt verankert. Schülerinnen und Schüler haben die Künstler zudem als „Kunstdetektive“ begleitet und interviewt, die Dokumentationen laufen im Pavillon of Reflections, der in den Zürcher See gebaut wurde – eine schöne Plattform mit Café und einer Art Pool, in den die Manifesta-Besucher nach getaner Rezeptionsarbeit auch gern reinspringen dürfen.