Gezielter Sprühangriff auf die Wände Foto: avanti

Die Besucher des Steinheimer Jugendhauses haben sich bei einem Workshop in die Graffiti-Kunst einführen lassen. Bei dem Projekt können sich die jungen Sprayer nicht nur kreativ ausdrücken, sondern auch über persönliche Themen und Probleme austauschen.

Wer sich ungefähr auf 20 Meter der Gruppe nähert, hat bereits den unverkennbaren Lack-Geruch in der Nase. Auch das metallische Klacken der Kugeln, die den Inhalt von Spraydosen durchmischen, dringt ins Ohr. Sechs Teilnehmer stehen an diesem Sonntagnachmittag in ihrer jeweiligen Dunstwolke und arbeiten konzentriert vor sich hin. Oder sie shaken wie ein Barkeeper die Farbspraydose. Die Hitze setzt den Dosen zu. „So richtig leichtgängig kommt die Farbe nicht mehr heraus“, stellt der Graffitikünstler Denis Pavlovic fest, der die Teilnehmer professionell anleitet. Es gilt die Mauern eines Trafo-Häuschens zu bemalen, wie es im Fachjargon heißt. Das kleine Gebäude wurde von der Syna GmbH extra für den Workshop zur Verfügung gestellt.

Garage auf Schulcampus bemalt

Der Stromnetzbetreiber unterstützt das Projekt, indem er auch die nötigen Farb-Spraydosen finanziert. Die Stadt Steinheim hat außerdem das Bemalen einer Garage auf dem Schulcampus genehmigt. Die Riesenfläche, die das Objekt für den Samstags-Workshop bot, steht inzwischen vollendet bemalt am Rand des Schulhofes und weist den Schriftzug „Steinheim Workshop“ auf. Außerdem sind ein Aquarium, viele bunte Bubbles und auch beschriebene Sprechblasen zu sehen. Auf ihnen sind Aussagen wie „Miteinander – Füreinander“, „Musik überwindet Grenzen“ oder auch „United with colors“ zu lesen. Jugendhausleiter Sebastian Backes, der zu dem Wochenend-Kurs eingeladen hat, blickt zufrieden auf die künstlerischen Zwischenergebnisse des Sonntags. Doch nicht allein das fördert seine Zufriedenheit. Die Tatsache, dass er bei der gemeinsamen Aktion die Jugendlichen auch auf andere Weise erreicht hat, macht ihn froh. „Es lassen sich ganz andere Themen bearbeiten – etwa wenn persönliche Probleme aufploppen“, erklärt Backes, dessen sozialpädagogisches Interesse auf Prävention abzielt. Gespräche über bestehende Zukunftsängste oder etwa die Ausbildungsplatzsuche, die bei einem Teilnehmer ansteht, „lassen sich wunderbar in das Projekt integrieren“.

Maske muss sein

Der Samstag war für Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren vorbehalten. An diesem Sonntag sind es vorwiegend die Jüngeren, die Gefallen am Sprühen zeigen und sich die Kniffe von Denis Pavlovic abschauen. Der 17-jährige Cyrill war jedoch so angefixt vom gestalterischen Sprühen, dass er auch an Tag zwei des Workshops vorbeischaut und für eine gute Stunde erneut zur Spray-Dose greift. „Es bringt Abwechslung ins Leben. Und es macht den Kopf frei, weil es gut tut, sich auf diese eine Sache zu konzentrieren“, sagt der Schüler, der in wenigen Tagen seine Hauptschul-Abschlussprüfung machen will.

Um die Atemwege zu schützen, tragen die Teilnehmenden eine Maske. Das ist in diesen Tagen nichts Außergewöhnliches, doch für Graffiti-Sprayer obligatorisch. „Obwohl die Inhalte heute nicht mehr so toxisch sind wie früher noch“, beteuert Denis Pavlovic, der vor etwa 18 Jahren mit dem Hobby begonnen hat. Ungefähr seit neun Jahren „kombiniere ich die Kunst mit der Jugendarbeit und lehre die Teilnehmer den richtigen Umgang mit der Sprühdose. Das hilft, illegale Schmierereien und Vandalismus eingrenzen“, weiß Pavlovic, der von Berufs wegen Dokumentarfilmer ist. Seinen ersten Film „Paranoid Places“ hat der heute 33-Jährige im Jahr 2011 zum Thema Graffiti gedreht. Zum diesjährigen Jubiläum will er ihn bei Vimeo on Demand zum Streamen einrichten.

Stolz auf die eigene Kreativität

„Die Chance, sich mit dem Graffiti-Workshop legal auszuleben, ist für die Jugendlichen ein gutes Gefühl“, weiß Sozialarbeiter Sebastian Backes, der sich auch darüber freut, dass sogar die Anlieger an dem Projekt Interesse gezeigt hätten. Und der Vater einer Teilnehmerin „hat uns tatsächlich mit einer hilfreichen Holzkonstruktion unterstützt“.

Denn im Gegensatz zur Garage ist das Trafo-Häuschen einiges höher und für Graffiti-Talente wie die zehnjährige Pauline ein Ärgernis, „wenn man klein ist und nicht überall hinkommt“. Trotzdem findet sie die Aktion lustig und freut sich darauf, am „Ende stolz darauf zu sein, wie kreativ wir waren“.

Kreativ ist auch die Jüngste im Bunde. Die achtjährige Melissa ist zudem besonders mutig. Nachdem sie sich am Steppimotiv farblich abgearbeitet hat, traut sie sich als Einzige an das Wappen, dessen Umrisse sie gemäß der vorliegenden DIN- A4-Skizze freihändig und mit der Spraydose geschickt auf die Mauer malt.

„Nur eine leere Dose ist eine gute Dose“

Auch Joel (10 Jahre) ist von dem Workshop begeistert. Er ist ein besonders umsichtiger Sprayer und deckt die in Reichweite wachsenden Pflanzen mit Pappe ab, damit diese nicht unfreiwillig in ein Farbbad eintauchen. Etienne (11 Jahre) schmerzen inzwischen die Finger vom ständigen Drücken des Sprühknopfes. Und die gleichaltrige Sophie klagt über Schmerzen an den Handgelenken, weil sie kräftig die Dosen schüttelt.

Aber genau das ist wichtig, „um einen gleichmäßigen Farbauftrag zu erzielen“, wie Pavlovic immer wieder freundlich anmahnt. „Da sind die Partikel noch nicht richtig durchgedrückt“, moniert der Fachmann und rät: „Lasst Eure Hände immer wieder mal ausruhen“. Und auch das lernen die Kids an dem Nachmittag: „Nur eine leere Dose ist eine gute Dose“. Denn auch bei ihnen stehen bereits zehn angebrochene Dosen herum. Wie eine Dose aufgebaut ist, welcher Sprühkopf und damit welche Austrittsart für welchen Zweck verwendet wird, das haben die Teilnehmenden freilich auch erfahren.