Die „schrägen Vögel aus Leonberg“ bei der Kundgebung zum Frauentag auf dem Schlossplatz Foto: factum/Weise

Häusliche Gewalt gegen Frauen ist ein weltumspannendes Thema. Mit dem Präventionsprojekt Hinschauen – Erkennen – Handeln will die Gleichstellungsbeauftragte Ursula Matschke sensibilisieren, wie sie im Rathaus sagte. Zum Frauentag gab es außerdem eine Kundgebung auf dem Schlossplatz.

Stuttgart - Der Kurzfilm lässt die wenigen Zuschauerinnen im Großen Saal des Stuttgarter Rathauses am Samstagmorgen betroffen und mit einem beklemmenden Gefühl zurück. Er erzählt die Geschichte eines Teenagers in den Upperhills, einem Stadtteil von Nassau auf den Bahamas, der vom Onkel immer wieder sexuell missbraucht und von dem sogenannten Sugar Daddy mit kleinen Aufmerksamkeiten belohnt wird.

Dem Mädchen fällt ein Flyer des Bahamas Crisis Center (BCC) mit dem Slogan „Lasst uns reden“ in die Hand. Sie greift zum Telefon, um dann doch wieder aufzulegen. Erst als die Mutter vom Vater zu Tode geprügelt wird, sucht sie Hilfe beim BCC, das 1982 von Sandra Patterson gegründet wurde und sich der Bekämpfung sexueller und häuslicher Gewalt widmet.

Die Bahamas stehen im Zentrum des diesjährigen Weltgebetstags der Frauen, der seit 100 Jahren in 170 Ländern begangen wird. Unter dem Motto „Gewaltfreie Beziehungen – weltweit gemeinsam“ informierten die Evangelischen Frauen Württemberg und die Abteilung Chancengleichheit von Frauen und Männern Stuttgart in Kooperation mit dem Internationalen Weltfrauentag über die Schattenseiten des Inselstaates, der für Sonnenhungrige für Traumstrände und Korallenriffe steht.

Erschreckend hoch sind jedoch die Zahlen häuslicher Gewalt und die Vergewaltigungsraten – jedes vierte Mädchen unter 18 Jahren ist schon Mutter. „Da geht ein Riss durch die Schönheit des Landes. Die sexuelle Gewalt ist eine Mischung aus Ignoranz und gesellschaftlichen Konventionen“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Stuttgart, Ursula Matschke.

Deshalb wendet sich die breit angelegte Aufklärungskampagne des BCC an Jugendliche beiderlei Geschlechts. Kinder sollen lernen, sexuelle Gewalt als Unrecht zu erkennen. Das Schweigen zu brechen ist nur die eine Seite, eine positive Sexualität zu entwickeln die andere. Es ist deshalb wichtig, die extreme Tabuisierung von Sexualität und die in der bahamaischen Gesellschaft weit verbreiteten gewalttätigen Geschlechter-Stereotypen aufzubrechen.

Zudem folgen die Bahamas mit einer Aidsrate von drei Prozent gleich nach den afrikanischen Staaten. „Aidsinfizierte Männer rechtfertigen eine Vergewaltigung von Minderjährigen damit, dass man nach Sex mit einer Jungfrau von Aids geheilt wird“, sagt Kinga von Gyskössy-Rudersdorf, die sich in Stuttgart in diversen Frauenorganisationen engagiert.

Die Spenden, die beim Weltgebetstag zusammenkommen, werden daher unter anderem dem BBC zugutekommen. „Es ist aber wichtig, dass wir das Thema Gewalt gegen Frauen aus zwei Perspektiven betrachten und uns weltweit austauschen“, sagt Dina Maria Dierssen, Mitglied des Landesfrauenrats der Evangelischen Kirche. Auch in der Landeshauptstadt sind Frauen Opfer von Gewalt. 500 Fälle wurden 2014 gemeldet.

„Die Dunkelziffer schätzen wir auf 10 bis 25 Prozent aller Familien in Stuttgart“, sagt Ursula Matschke. Hilfe ist eigentlich da, aber sie wird nicht in Anspruch genommen. Wie auf den Bahamas wehren sich die Frauen nicht, zum Teil aus Scham oder weil sie glauben, das erdulden zu müssen. Umso wichtiger sei Prävention. Mit dem Projekt Hinschauen – Erkennen – Handeln will Ursula Matsche die Bürger sensibilisieren. „Jeder kann was tun, und speziell das Thema: Was macht eine Beziehung aus?, müsste man in den Lehrplan integrieren“, sagt Matschke.

Am Nachmittag auf dem Schlossplatz stand der Slogan „1:1 – Wertschätzung für Frauen“ weltweit im Mittelpunkt. „Das Kernproblem liegt darin, dass die Frauen in der Politik nach wie vor unterrepräsentiert sind“, sagt Gabriele Frenzer-Wolf, stellvertretende DGB-Landesvorsitzende. Selbst im Parlament von Afghanistan läge der Frauenanteil höher als im Stuttgarter Landtag. „Deshalb muss das von der Koalition beschlossene Frauengleichheitsgesetz umgesetzt werden“, fordert Gabriele Frenzer-Wolf.

Der Mindestlohn jedoch mache Mut. Gespalten bewertet sie die Frauenquote, die der Bundestag kürzlich beschlossen hat. Von 2016 an soll in bestimmten Großunternehmen bei der Aufsichtsratswahl eine Quote von mindestens 30 Prozent gelten. „Es ist ein Anfang, betrifft aber nur rund 100 Unternehmen“, so Frenzer-Wolf.