Der Demonstrationszug auf dem Weg durch die Stadt. Foto: Andreas Rosar Fotoagentur-Stuttg/Andreas Rosar Fotoagentur-Stuttg

Der Demonstrationszug „Freedom Day – sofortiges Beenden jeder Corona-Maßnahmen“ in Bad Cannstatt stand vor dem Aus – weil die Mehrheit der Teilnehmer sich weigerte, Masken zu tragen.

Stuttgart - Dass nicht alles nach Plan lief, zeigte sich für den Veranstalter, eine „Privatperson“, schon beim Start am Kurpark, denn statt der angekündigten tausend Teilnehmer kam gerade mal die Hälfte. Die machte zwar ordentlich Rabatz und skandierte unermüdlich „Für die Freiheit auf Straße!“ und „schließt Euch an!“, sah sich aber auch mit Beschimpfungen vom Straßenrand konfrontiert.

Etwa von VfB-Fans auf dem Weg ins Stadion, die am Carré Bad Cannstatt ausdauernd „Arschlöcher!“ schrien. Und als es dort die Deckerstraße hochging, stoppte die vorausfahrende Polizei und machte eine Durchsage: „Wenn Sie nicht Maske tragen, geht der Aufzug nicht weiter!“

Der Zug darf weitermarschieren

Der massenweise Verstoß gegen die Versammlungsauflage hatte sich da längst durchgesetzt, mit Ausnahme der Spitze des Zuges. Hinten meinte nun eine Mittfünzigerin ohne Maske: „Jetzt warten wir mal ab“. Eine Gruppe versuchte sich an musikalischem Widerstand: „Wir singen Freiheit, o-o, a-a!“ - und die Stange mit dem Banner, das ein Kind auf den Schultern seines Vaters hielt, wurde noch ein bisschen höher gereckt: „N´ Scheiß muss ich!“ Nach gut zehn Minuten gab es Auflösungstendenzen, was den Versammlungsleiter flehen ließ: „Haltet Euch bitte dran! Wir haben noch einiges vor!“ Als das nicht fruchtete, legte er nach: „Dann löse ich die Versammlung selber auf. Dann ist Stuttgart halt wieder tot!“, meinte der aus Ofterdingen kommende Mittvierziger.

Das zog, und der Zug durfte weitermarschieren. „Alles nur Taktik“, schimpfte der Trommel-Sänger, „wir machen unser eigenes Ding!“ Und bald schon herrschte wieder die sehr offensichtlich sehr fröhliche Maskenfreiheit, von Einzelpersonen abgesehen. Eine weitere Intervention der Polizei gab es die nächsten anderthalb Stunden allerdings nicht.

Das Banner am Kopf des Zuges unterstellte „Leitmedien“ „Spaltung und Hetze“, das nächste pries „die rote Linie“, die aber „friedlich und konstant“ gezogen werden solle. Zwei Deutschland-Fahnen flatterten im Wind. „Die Pandemie ist eine politische Lüge“ befand ein Plakat. Ein anderes: „Dauergeimpfte haben einen milderen Diktaturverlauf“. Das Virus selbst war nur als „Covid 1984“ präsent, was der Plakatträger aber nicht als Sponti-Spaß verstanden wissen wollte, sondern als Verweis auf George Orwells gegen einen totalitären Überwachungsstaat geschriebenen Roman „1984“. Ein Impfbanner der Stadt mit der Botschaft „Impfen schützt“ war mit „vor nix“ übermalt.

Kundgebung im Kurpark fällt aus

Im großen Bogen ging es über die Gnesener Straße, und noch immer wurde lauthals skandiert: „Frieden, Freiheit, keine Diktatur!“ Beim Abbiegen in die Hofener Straße platzte einem Radfahrer der Kragen: „Redet ihr von Russland? Von China? Ihr habt keine Freiheit? Ich hab´s sie! Und ich bin geimpft!“ Tatsächlich konnte der Mann, der „Gorleben mit besetzt“ hatte, ein paar Leute in eine Debatte verwickeln. Auf dem Weg zum Kurpark wetterte der Versammlungsleiter gegen „die Lügen von Politikern und Medien“ und bat um „eine kleine Spende, damit wir nicht zu sehr auf den Unkosten für den Truck sitzen bleiben“.

Die angekündigte Kundgebung im Kurpark fiel aus. Allerdings nicht, weil die Veranstaltung bereits eine halbe Stunde über dem auf 16 Uhr terminierten Schluss lag, sondern „weil wir nach Reutlingen müssen, zur anderen Demo“. Der Mann war sich sicher, dass dort „viel mehr Leute kommen werden“, rief die Teilnehmer auch dazu auf, Fahrgemeinschaften zu bilden und mitzukommen. Zugleich verwies er auf „einen neuen Telegramm-Kanal von uns, wo Ihr alles zu Demos rund um Stuttgart und das Ganze erfahrt“. Er schloss: „Falls Ihr morgen was Schlechtes in der Zeitung lest, schaut einfach weg.“ Sein Kombattant aus Stuttgart, der Eltern, die Kinder impfen lassen, für „Verbrecher“ hält, hatte das Schlusswort: „Wir sind wie eine große Familie. Wir geben nicht auf bis wir gewonnen haben!“