Marion Schick Foto: dpa

Kultusministerin will Inhalte für achtjähriges Gymnasium prüfen  - bessere Frühförderung.

Stuttgart - Ein 100-Tage-Programm? Nichts da! Die neue Kultusministerin Marion Schick ist kaum vereidigt und hat den Mantel in ihrem neuen Büro noch nicht mal richtig abgelegt, da startet sie schon durch: "Eine Einarbeitungszeit gibt es heute nirgendwo mehr. Wir gehen in die Vollen."

Frau Professor Schick, Sie kommen mit Ihren beiden Kindern nach Stuttgart. Nach welchen Kriterien suchen Sie die neue Schule aus?

Meine Kinder sind schon so groß, dass sie das fast alleine machen. Meine 14-jährige Tochter hat schon im Internet geguckt, und mein 18-jähriger Sohn macht das auch sehr selbstständig. Also, klar ist, die Mama sucht nicht die Schulen aus, sondern die Kinder sind da selbst aktiv - was mich sehr freut.

Besuchen beide das Gymnasium?

Meine Tochter besucht eine Realschule, und mein Sohn macht eine Ausbildung zum Altenpfleger.

Ein eher ungewöhnlicher Schulweg bei Wissenschaftler-Kindern. Haben Sie versucht, diese Entwicklung zu steuern, oder haben Ihre Kinder unter dem bayerischen Schulsystem gelitten?

Ich hoffe, dass ich meinen Kindern immer die Freiheit gebe, die Schritte zu tun, die für sie jeweils richtig sind, und dass sie sich dabei unterstützt fühlen. Ich höre häufiger, dass dies auf Erstaunen trifft. Ich glaube aber, dass es eine gemeinschaftliche Aufgabe ist, den Stellenwert der beruflichen Bildung noch deutlicher hervorzuheben. Versuche, einzelne Bildungswege zu stigmatisieren, weise ich entschieden zurück.

Was haben Sie sich für die ersten 100 Tage vorgenommen?

Es gibt keine 100 Tage. Sie haben heute in keinem Unternehmen mehr eine Einarbei-tungszeit, das weiß jeder, der einen neuen Job anfängt. In der Politik ist das nicht anders - noch dazu in einem Jahr, in dem wir auf einen Landtagswahlkampf zusteuern. Also, wir gehen hier gleich in die Vollen. Das heißt: viel reden mit allen Beteiligten im Bildungssystem, hören, wo die Nöte, die Anregungen, die Impulse liegen, und dann schauen, an welchen Stellschrauben man im Sinne der Kinder drehen muss.

Fehlende Dialogbereitschaft - das war zuletzt einer der Hauptkritikpunkte an Ihrem Vorgänger Helmut Rau . . .

Mein erster Termin im Amt - außer Pressegesprächen - ist ein Termin mit den Eltern.

Ein grundlegender Wandel braucht Jahre

Mit dem Landeselternbeirat?

Nein, der hat gerade gratuliert und Blumen vorbeigebracht. Auch mit ihm werde ich sehr schnell sprechen.

Ministerpräsident Stefan Mappus hat beim treffpunkt foyer unserer Zeitung am Dienstagabend eingeräumt, man hätte in der baden-württembergischen Bildungspolitik zu vieles zu schnell in Angriff genommen. Schalten Sie jetzt einen Gang zurück?

Es gibt jetzt sicher nicht die nächste Strukturreform. Wir können nicht andauernd unser Bildungswesen und die Menschen, die darin arbeiten, mit Strukturfragen belasten. In Bayern habe ich von Lehrern oft gehört: Die Kultusverwaltung muss uns auch Zeit geben, die Dinge umzusetzen. Für mich ist klar: Wir müssen anerkennen, dass es nach einer Strukturreform Zeit braucht, wieder in einen Zustand zu kommen, der sich einpendelt. Wir sind beim G8 (dem achtjährigen Gymnasium, d. Red.) heute noch nicht in einem eingependelten Zustand. Das war ein Systemwechsel.

Wann wird der erreicht sein?

Das kann man nicht vorhersagen. Ein grundlegender Wandel vollzieht sich immer über Jahre, manchmal auch über Jahrzehnte.

2012, wenn der Doppeljahrgang vom Gymnasium abgeht, ist also nicht alles erledigt?

Nein, es ist Anpassung nötig. Die vielen Kritikpunkte, die Eltern äußern, werden nicht alle an einem bestimmten Datum gelöst sein. Ich kann nicht hingehen und verkünden: Jetzt gibt's überhaupt keine Nöte mehr. So funktioniert das Leben nicht.

Die Einführung des achtjährigen Gymnasiums war auch mit neuen Bildungsplänen verbunden. Viele Lehrer tun sich damit bis heute schwer. Wollen Sie sie nochmals fortbilden?

Ich will Lehrer nicht so lange weiterbilden, bis sie bestimmte Dinge umsetzen, wenn vielleicht an einzelnen Punkten etwas zu ändern wäre. Das heißt, auf die Bildungspläne wird man noch mal schauen und sich fragen müssen, ob die Notwendigkeit von Weiterentwicklungen oder Anpassungen besteht. Aber die Bildungspläne werden ja auch permanent begleitet und evaluiert. Vordringlich ist es für mich, auf die Lehrer zu hören, die in der Praxis täglich mit diesen Bildungsplänen arbeiten. So verstehe ich Kommunikation und Dialog. Nicht als Erstes sagen: Ich bilde dich mal weiter, bis du keine Kritik mehr hast.

Neunjähriger Zug als Modell - eher nicht

Wie stehen Sie zu dem Wunsch nach einem neunjährigen Zug als Alternative?

Auch Modellversuche sind Eingriffe in Strukturen. Ich finde es nicht überzeugend zu sagen: Ich habe zwar eine Struktur, aber jetzt mache ich noch eine Struktur dazu. Das heißt nicht, dass ich grundsätzlich gegen Alternativen bin. Aber ich will das nicht leichtfertig machen.

Wie wichtig ist Ihnen die Autonomie der Schulen? Gehen Sie diesen Weg weiter?

Autonomie ist ein zweischneidiges Schwert. Eigentlich möchte jeder Autonomie, und wenn er sie hat, erkennt er, dass sie mit hoher Verantwortung verbunden ist. Wer bereit ist, Verantwortung zu tragen, der bekommt die Kompetenzen dafür. Ich bin bereit, dabei sehr weit zu gehen. Es gibt aber auch die Haltung: Ich will autonom sein, aber wenn's schwierig wird, habe ich einen Buhmann. Das überzeugt mich nicht.

An welchen Stellschrauben wollen Sie drehen?

Wichtig ist mir die frühkindliche Bildung. Alles, was wir in Kinder investieren, an Geld, an Engagement, an Zuwendung, wird uns später im Bildungssystem begegnen. Das wurde in Deutschland viele Jahre lang nicht richtig erkannt. In den letzten Jahren hat sich da aber auch in Baden-Württemberg schon vieles verbessert. Stichwort Bildungshäuser.

Herr Mappus betont, bei der Bildung werde nicht gespart. Hat das Ihre Entscheidung für das neue Amt erleichtert?

Ja.

Zwar wollen mehr als die Hälfte der Hauptschulen Werkrealschule werden, viele kleine Schulen jedoch fürchten um ihre Existenz.

Wichtig ist, dass sich jede Hauptschule darüber Gedanken machen muss, wie sie sich weiterentwickeln kann. Auch das Konzept ist richtig. Aber jetzt dürfen wir die Schulen nicht alleinlassen.

Längere gemeinsame Lernzeit oder mehr Flexibilität?

Was halten Sie von längerem gemeinsamem Lernen?

Ich denke gern vom Ergebnis her. Deshalb heißt für mich die Frage: Was wollen wir damit erreichen? Brauchen wir die längere gemeinsame Lernzeit, oder brauchen wir die maximale Flexibilität im Bildungssystem? Wir müssen weg von der Denke, dass ich eine unumkehrbare Lebensentscheidung für mein Kind treffe, wenn es einen bestimmten Schultyp besucht. Das müssen wir auch unterfüttern durch einen maximalen Austausch zwischen allen Schularten, zwischen allgemeinbildendem und beruflichem Schulwesen. Wir werden dazu auch durch den europäischen Qualifikationsrahmen verpflichtet. Das heißt, es ist nicht entscheidend, von welcher Schulart du kommst. Entscheidend ist vielmehr, was du gelernt hast. Und daraus ergeben sich Anschlussmöglichkeiten.

Sie wollen die begonnenen Reformen konsolidieren. Heißt das auch Entschleunigung, wie es viele Eltern fordern? Und besteht nicht die Gefahr, dass durch die Frühförderung zusätzlicher Druck auf die Kinder entsteht?

Beschleunigung erleben viele Berufstätige, die heute fast rund um die Uhr erreichbar sein müssen. Beschleunigung ist Bestandteil unserer Welt, und Bildung darf sich nicht abschotten von der Welt, sondern muss hinausgucken und fragen: Wofür bilden wir denn aus? Für eine schnelle Welt! Wir dürfen aber nicht sagen, wir müssen noch schneller werden mit Bildung, sondern müssen sagen: Wir bieten die Zeit, die Bildung braucht - allerdings in dem Bewusstsein, dass wir in einer Welt leben, die sich beschleunigt hat. Frühkindliche Bildung heißt, dass wir sehen, wo Bildungschancen beginnen.

Das soziale Gefälle ist ein Schwachpunkt des Systems. Wie wollen Sie das ausgleichen?

Dass sozial benachteiligte Kinder auch schlechtere Bildungschancen haben, ist ein gesellschaftliches Problem, nicht nur in Baden-Württemberg. Wir müssen Bildungschancen entdecken und junge Menschen begleiten bis zu dem für sie richtigen Zeitpunkt und dem von ihnen gewählten Bildungsabschluss, unabhängig davon, aus welchem Elternhaus sie kommen. Da müssen wir uns noch anstrengen.

Ministerpräsident Mappus betont, es gebe eine große Übereinstimmung zwischen Ihnen. Wie viel Spielraum haben Sie? Werden Sie in die CDU eintreten und für den Landtag kandidieren, damit sie in Partei und Fraktion Rückhalt für Ihre Politik finden?

Das Thema Mandat beschäftigt mich gar nicht. Ich bin seit wenigen Stunden Kultusministerin, und dieses Amt braucht jetzt meine ganze Aufmerksamkeit. Ich wäre heute nicht hier, wenn es nicht eine große gemeinsame Verständnisbasis gäbe. Ich schätze am Ministerpräsidenten, dass er bereit ist, im Bereich der Bildungspolitik das Richtige zu tun - wie in anderen Bereichen.

Sie werden mit der früheren Kultus- und heutigen Bundesbildungsministerin Annette Schavan verglichen? Teilen Sie ihre Ansicht, dass es nötig ist, die Bildungspolitik in den Ländern zu vereinheitlichen?

Das kommt darauf an, wo. Immer wieder gibt es Probleme bei Umzügen - vielleicht betrifft mich das ja auch bald. Wenn wir hier bessere Übergänge schaffen, dann ist Vereinheitlichung positiv. Standards um der Standards willen halte ich nicht für sinnvoll. In der kommenden Woche besuche ich die erste Kultusministerkonferenz. Dort werden solche Fragen diskutiert.