Der 71-jährige László Krasznahorkai ist in Fellbach kein Unbekannter. Foto: AFP

Der neue Nobelpreisträger für Literatur heißt László Krasznahorkai. Welche Verbindungen er und weitere Literatur-Nobelpreisträger zu Fellbach haben, lesen Sie hier.

Als vor wenigen Tagen in Stockholm der Name des neuen Nobelpreisträgers für Literatur, László Krasznahorkai, verkündet wurde, da löste dies in Fellbach (Rems-Murr-Kreis) zumindest bei etwas älteren Literaturfreunden einen kleinen Aha-Effekt aus. Dies hängt mit einer Besonderheit zusammen: Karsznahrokai ist nämlich in Fellbach ein alter Bekannter.

 

Jedenfalls war Fellbach eine der frühen Stationen, als der noch vergleichsweise junge ungarische Dichter nach dem Ende des Eisernen Vorhangs zu ersten Lesungen in den Westen kam. Vor ziemlich genau 35 Jahren durfte Christa Linsenmaier-Wolf, damals in Fellbach stellvertretende Kulturamtsleiterin und für den Bereich Literatur zuständig, Krasznahorkai und zwei weitere ungarische Autoren – György Dalos und Márton Kalász (den ersten Leiter des Ungarischen Kulturinstituts) – am 8. Juni 1990 im Fellbacher Rathaussaal begrüßen.

Hoher Stellenwert der ungarischen Literatur in Fellbach

Krasznahorkai las aus seinem düster-faszinierenden Roman „Satanstango“, der 1985 auf Ungarisch und 1990 in deutscher Übersetzung erschienen war. Eine verstörende politische Fiktion über Ost-Mitteleuropa und eine Metapher für die Unsicherheit der Existenz.

Möglich war dies alles, weil bereits 1986 zwischen Fellbach und Pécs die bundesweit erste Städtepartnerschaft zwischen einer deutschen und einer ungarischen Stadt geschlossen worden war und Fellbach dank der Initiativen aus dem Kulturamt zu einem wichtigen Forum für die ungarische Kultur geworden ist. Politische Projekte wurden als Chance ergriffen, neue kulturelle Horizonte zu erschließen. Neben zahlreichen Ausstellungen war es vor allem die ungarische Literatur, die in Fellbach entdeckt, erkundet, vermittelt wurde.

Imre Kertesz, Literatur-Novelpreisträger 2002, war bereits mehrfach in Fellbach zu Gast. Foto: dpa

Und nicht nur das: Einige Zeit später gastierte ein weiterer ungarischer Autor in Fellbach, der zehn Jahre später Literatur-Nobelpreisträger wurde: Imre Kertész, dessen Lebensthema seine Erfahrung von Auschwitz war, las im November 1992 in der Stadtbücherei Fellbach vor rund 30 Zuhörern aus „Kaddisch für ein nicht geborenes Kind“.

Linsenmaier-Wolf erinnert sich lebhaft an den groß gewachsenen älteren Herrn mit Hut, Schal und Grandezza, dessen Liebenswürdigkeit und Höflichkeit sie überraschten. Hatte er doch einmal gesagt: „Alle müssen Auschwitz auf ihre Schultern nehmen.“ Mit dem „Roman eines Schicksallosen“ wurde er berühmt und las daraus 1996 vor wesentlich größerem Publikum in der Stadtbücherei im Rahmen der Reihe „Europäisches Judentum und Israel heute.“

Und damit ist die Liaison Fellbach und Literatur-Nobelpreis noch nicht zu Ende: Denn im Jahr 2009 wurde Herta Müller der Nobelpreis verliehen. Nur zwei Jahre zuvor, 2007, hatte sie Fellbach als Gast des Europäischen Kultursommers mit den Gastländern Rumänien und Niederlande besucht. Die Schriftstellerin war damals bereits etabliert.

Lesung zum Europäischen Kultursommer 2007 mit Herta Müller, die zwei Jahre später den Literatur-Nobelpreis erhielt, und Ernest Wichner in der Stadtbücherei Fellbach. Foto: Archiv

In der Bücherei las sie aus dem Romanmanuskript „Hungerengel“, das von der Verfolgung Rumäniendeutscher unter Stalin handelt. Der Roman erschien 2009 unter dem Titel „Atemschaukel“.

Der Fellbacher Mörikepreis als Sprungbrett

Rückblickend gesehen, so Linsenmaier-Wolf, hat es sich immer gelohnt, dem eigenen Urteil zu vertrauen, die künstlerische Qualität zu erkennen, Wagnisse einzugehen, in der Kulturarbeit auch das vermeintlich Schwierige, Sperrige, nicht unbedingt Unterhaltsame zu riskieren, neue radikale Blickwinkel einzunehmen.

Auch durch den alle drei Jahre verliehenen Mörikepreis ist Fellbach ein Fixpunkt in der deutschen Literaturszene. Vier der bisher zwölf Preisträger wurden später mit dem Georg-Büchner-Preis, der wichtigsten literarischen Auszeichnung im deutschsprachigen Raum, geehrt: Wolf Biermann, Brigitte Kronauer, Jan Wagner und Elke Erb.