In L.-E. gefährden Misteln die Bäume auf den Streuobstwiesen. Foto: Phillipp Braitinger

Der Schmarotzer bedroht den Baumbestand auf den Streuobstwiesen massiv. Das Land fördert deshalb den Schnitt von Obstbäumen. Doch das Geld reicht nicht aus, weshalb die Stadt Leinfelden-Echterdingen jetzt noch etwas dazu gibt. Doch reicht das?

Leinfelden-Echterdingen - Geld für den Erhalt einer Kulturlandschaft: Der Schnitt von Streuobstbäumen wird seit fünf Jahren vom Land und von der Stadt Leinfelden-Echterdingen gefördert. Der Stadt reichen die vom Land in Aussicht gestellten 15 Euro pro Baum und Schnitt offenbar nicht. Die Kommune gibt für die kommenden fünf Jahre noch einmal zehn Euro pro Baum obendrauf. Einen entsprechenden Beschluss hat der Technische Ausschuss während seiner jüngsten Sitzung einstimmig gefasst. Der finanzielle Anreiz für Streuobstwiesenbesitzer soll auch dazu dienen, die zunehmende Verbreitung von Misteln einzudämmen.

„Es werden mehr und mehr“, klagt die Abteilungsleiterin im Umwelt- und Grünflächenamt Katja Siegmann. Die Mistel breitet sich aus – überall, aber eben auch auf Leinfelden-Echterdingens Streuobstwiesen. Wird der Schmarotzer nicht entfernt, stirbt der Baum nach einigen Jahren. Davor kann sich die Mistel allerdings weiter ausbreiten und Bäume in ihrer Umgebung befallen. Die Stadt versucht deshalb, Streuobstwiesenbesitzer zu einer Pflege ihrer Bäume zu bewegen. „Werden die Bäume gepflegt, kommen auch keine Misteln“, erklärt Siegmann.

Lange sei das Problem nicht ernst genommen worden

Zusammenlaufen die Fäden der finanziellen Förderung des Baumschnitts bei Martin Frick. Er ist in Leinfelden-Echterdingen der zuständige Sachbearbeiter für Naturschutz und Landschaftspflege. Gefördert werden laut Frick zwei Schnitte in den nächsten fünf Jahren. Somit können Baumbesitzer für die Pflege pro Baum insgesamt 50 Euro erhalten. „Das ist schon etwas Reales“, findet er. Um in den Genuss des Landesgelds und der kommunalen Förderung zu kommen, können Streuobstwiesenbesitzer entsprechende Anträge bei der Stadt stellen. Die Anträge werden von der Verwaltung gesammelt. Anschließend möchte Leinfelden-Echteringen einen Sammelantrag beim Land stellen. Denn für die Landesförderung müssen pro Antrag mindestens drei Obstwiesenbesitzer mit mehr als hundert Bäumen zusammenkommen. Insgesamt gibt die Stadt rund 20 000 Euro hinzu.

Das Mistelproblem sei lange nicht ernst genommen worden und habe sich in den vergangenen Jahren massiv verschärft, so Frick. Einzig der Streuobstexperte Walter Hartmann habe schon früh vor den Schäden gewarnt, die die Mistel anrichten könne. „Er war aber lange der einsame Rufer in der Wüste“, so Frick.

Misteln sind laut Experte ein riesiges Problem

Der ehemalige Dozent und Streuobstforscher an der Universität Hohenheim, Walter Hartmann, schätzt, dass bereits mehr als 60 Prozent aller Apfelbäume von Misteln befallen sind. Waren im Jahr 2012 erst 16 Prozent aller Apfelbäume betroffen, so waren es vier Jahre später schon 46 Prozent und nochmals drei Jahre später 63 Prozent. „Das ist ein riesiges Problem“, sagt er. Neben der mangelnden Pflege erleichterten milde Winter und trockene Sommer der Mistel die Ausbreitung. Inzwischen seien auch junge Bäume betroffen. Wenn die Bäume durch das Klima geschwächt seien, habe der Schmarotzer leichtes Spiel.

Bei der Pflege der Bäume sei es angesichts der Mistelprobleme wichtig, stets größere Flächen auf einmal zu bearbeiten. Sobald sich ein Streuobstwiesenbesitzer in einem Gewann nicht um seine von Misteln befallenen Bäumen kümmere, könnten sich von dort die Schmarotzer immer wieder auf die umliegenden Streuobstwiesen ausbreiten.

„Es ist katastrophal, wie viele Bäume absterben“

Einfach die Misteln auf dem Nachbargrundstück ohne Einwilligung des Grundstückeigentümers entfernen, das sei bislang rechtlich nicht zulässig, erklärt Hartmann. Oft seien die Eigentümer der Nachbarwiesen aber nicht bekannt, und die Kommunen dürften die Kontaktdaten nicht herausgeben. „Es ist katastrophal, wie viele Bäume absterben“, bedauert der Streuobstexperte. Die Zuschüsse des Staates für den Streuobstbaumschnitt begrüßt der Fachmann. Damit könne der wirtschaftliche Bedeutungsverlust des Streuobstes zumindest ein wenig ausgeglichen werden.

Die Streuobstwiesen auf den Fildern seien bereits in Quellen aus dem 14. Jahrhundert beschrieben worden. „Das Streuobst hier ist uralt“, sagt Hartmann. Einst habe das Obst vor allem der Herstellung von Most gedient. „Der Most hat den Durst gelöscht und Kraft gegeben“, erklärt er. Erst, als nach dem Zweiten Weltkrieg mehr und mehr Menschen sich dank des wirtschaftlichen Aufstiegs Bier leisten konnten, hätten das Streuobst und der Most an Bedeutung verloren. Die Preise für das Obst seien zurückgegangen. Die staatliche Förderung diene heute vor allem der Landschaftspflege und dem Naturschutz. Eine Landschaft ohne Streuobstwiesen wäre für den Experten um einiges ärmer. „Es wäre kahl“, findet er.