Drei Butzen des Grosselfinger Narrengerichts: Kultusministerkonferenz und Unesco-Kommission halten diesen Brauch für besonders schützenswert Foto: dpa

Die Unesco-Liste für das deutsche Kulturerbe ist um sieben Einträge reicher: Darunter ein Fasnachtsbrauch aus einem Dorf bei Hechingen, der jahrhundertealten Regeln folgt.

Grosselfingen - An Selbstbewusstsein mangelt es den Grosselfingern nicht. „Wenn die Venezianer wissen wollen, wie ihre Vorfahren Fasnacht gefeiert haben, müssen sie zu uns kommen“, sagt Manfred Ostertag, der Vorsteher der Bruderschaft des Ehrsamen Narrengerichts.

Nun passiert es zwar häufig, dass Narren den Mund voll nehmen, wenn sie für ihre Sache werben. Doch Ostertag kann sich auf wissenschaftliche Expertise berufen. So beschreibt der Freiburger Germanist Werner Mezger die Figurenvielfalt der 600 Jahre alten Tradition als einmalig in Europa.

Jetzt erhält das Ehrsame Narrengericht sogar die höheren Weihen: Die Kultusministerkonferenz hat am Freitag den Brauch auf ihrer Sitzung in Bonn auf die nationale Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Sie folgt damit dem Vorschlag der deutschen Unesco-Kommission.

Das nächste Spiel ist erst 2019

„Das hat mich dann doch überrascht, denn die Messlatte liegt sehr hoch“, sagt Ostertag bei allem Selbstbewusstsein. Denn im Grunde ist dieses Spiel, das wegen des hohen Aufwands nur alle paar Jahre stattfindet (das nächste Mal wieder 2019) jenseits der Ortsgrenzen kaum bekannt. „Wir dürfen die Gewänder laut Statuten ja niemals außerhalb tragen“, sagt der Narrenvogt. Und Gäste, die im Häs mit laufen, sind auch verpönt.

Während die Konkurrenz in Stockach alljährlich ein großes Fernsehpublikum begeistert, weil das „Grobgünstige Narrengericht“ in der Regel Politprominenz aus Berlin aburteilt (zuletzt Kanzleramtschef Peter Altmaier), beschränken sich die Grosselfinger auf ihre lokale Tradition.

Trotzdem hat die Bewerbung in Bonn eingeschlagen. Das Narrengericht stehe für ein „kollektives öffentliches Ritual mit einer außergewöhnlich aktiven lokalen Vereins- und Öffentlichkeitsarbeit, die über den engeren Fasnachtsbereich hinausreicht“, lautet die Begründung.

Ein Dorf wird Freilichtbühne

Das heißt konkret: Das ganze Dorf wird zur Freilichtbühne. Man tanzt, singt Lieder, liest Texte. 39 verschiedene Narrenfiguren spielen streng vorgegebene Rollen. Im Gerichtslokal sprechen die Herren von Venedig Recht, denn der gesamte Ort wird kurzerhand zum venezianischen Reich erklärt. Selbst Pfarrer und der Bürgermeister haben zugewiesene Rollen.

„Das kann man nicht jedes Jahr machen, dafür ist der Aufwand viel zu groß“, sagt Ostertag über die Veranstaltung, zu der bisher maximal 5000 Gäste kommen. Die Grosselfinger werden jedoch damit rechnen müssen, dass das öffentliche Interesse durch das Unesco-Siegel künftig wächst.

Die nationale Liste der schützenswerten (immateriellen) Kulturgüter wurde am Freitag um sechs weitere Traditionen erweitert: Auch das Choralsingen, das Kneippen, die manuelle Glasfertigung, das deutsche Schützenwesen, das Sternsingen und die regionale Volkstanzbewegung stehen künftig im Verzeichnis.

Flößerei, Orgelbau, Fasnacht

Der Eintrag bedeutet, dass die jeweiligen Traditionen besonders gefördert, geschützt und dokumentiert werden sollen – ähnlich wie bei den materiellen Stätten des Kulturerbes. Dazu zählen zum Beispiel die Klosterinsel Reichenau, der Kölner Dom oder – zuletzt dazu gekommen – die Hamburger Speicherstadt.

„Unser kulturelles Erbe manifestiert sich nicht nur in Monumenten“, sagte Christoph Wulf, Vorsitzender des Expertenkomitees der deutschen Unesco-Kommission. „Es ist Ausdruck unserer sich ständig weiterentwickelnden Identität.“

Um auf die internationale Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes zu kommen, ist die Aufnahme in ein nationales Verzeichnis Voraussetzung. Bisher sind dort 34 Bräuche und Traditionen vertreten – darunter die Flößerei, die Morsetelegrafie, die deutsche Brotkultur, der Orgelbau, die Falknerei, das Köhlerhandwerk, das niederdeutsche Theater und die Oberammergauer Passionsspiele. Baden-Württemberg trägt bisher mit der schwäbisch-alemannischen Fasnacht und dem Peter- und Paul-Fest in Bretten zu dem Verzeichnis bei.

Im nächsten Jahr entscheidet die Unesco über die erste deutsche Nominierung für die internationale Liste: Dabei handelt es sich um die Idee der Genossenschaften. Für die Runde 2017 hat Deutschland Orgelbau und Orgelmusik eingereicht.