Bis ins 14. Jahrhundert reicht die Tradition des Hahnentanzes. Mal hebt der Tänzer seine Partnerin, mal die Tänzerin den Partner. Foto: Doris Mayer

Früher knüpfte die Dorfjugend erste Kontakte beim Hahnentanz, mancherorts war er sogar verboten. Nun beantragt die Volkstanzgruppe Süßen die Aufnahme des Erntetanzes in die Liste des Immateriellen Kulturerbes der UNO-Bildungsorganisation.

Süßen - Sternsinger und Skat, Knabenchöre, der Orgelbau, das Kasperltheater – die Liste des Immateriellen Kulturerbes, die Deutschland der Unesco übergeben hat, ist lang. Bald könnte auch Süßen mit dem Hahnentanz auf die Liste kommen. Die Volkstanzgruppe des Albvereins hat einen Antrag bei der Unesco-Stelle für Baden-Württemberg gestellt. Die Region Stuttgart habe die Stadt darauf hingewiesen, erläutert Alexander Starke, Referent von Bürgermeister Marc Kersting.

 

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Die Pyramiden von Giseh, das Tadsch Mahal, das Great Barrier Reef oder die Steinzeithöhlen der Schwäbischen Alb – die Liste des Unesco-Welterbes ist lang. Großartige Bauten und Naturlandschaften gehören dazu, um sie der Menschheit zu erhalten. Weniger bekannt ist die Liste des Immateriellen Kulturerbes. Dieses Übereinkommen ist deutlich jünger. Laut Homepage der deutschen Unesco-Kommission bezieht es sich auf lebendige Ausdrucksformen kulturellen Erbes. Diese finden ihren Ausdruck in Künsten wie Tanz und Musik, in Bräuchen und Festen und Handwerkstechniken, informiert die Unesco-Kommission.

Hahntanz mitunter als ein Teil des Schäferlaufs

Daran knüpft die Bewerbung aus Süßen an, die Doris Mayer von der Volkstanzgruppe formuliert hat. Dem Antrag liegt eine Studie des früheren Kreisarchivars Walter Ziegler bei, der die Tradition des Süßener Hahnentanzes untersuchte. Demnach „zählt der Hahnentanz zu den alten bäuerlichen Volksbelustigungen“, schreibt Ziegler. „Er ist ein typischer Erntetanz.“ Laut Ziegler ist der Tanz seit Beginn des 14. Jahrhunderts bezeugt.

In Württemberg war der Hahnentanz Bestandteil des Schäferlaufs. Ziegler führt Heidenheim, Urach und Markgröningen an. In Süßen ist der Brauch durch den Heimatdichter Johann Georg Fischer belegt, der im Werk „Der glückliche Knecht“ den Tanz beschreibt. Der Tanz habe jährlich nach der Ernte stattgefunden. Der Hahnentanz biete Jungen und Mädchen die Möglichkeit, sich näher zu kommen, erläutert Doris Mayer. Polizeiberichte aus dem 15. Jahrhundert belegten, dass der Tanz in manchen Städten und Dörfern verboten wurde.

Der Hahnenschrei vertreibt die Geister der Nacht

Laut Archivar Ziegler verbindet der Volksglauben mit dem Hahn besondere Kräfte. Demnach soll dessen Schrei am Morgen die Geister der Nacht vertreiben, er konnte Unheil abwenden und Segen spenden. Beim Hahnentanz sitzt ein Gockel auf einem Ast. Der Tänzer soll seine Partnerin hoch heben, sodass sie den Hahn berührt, ohne dass das Glas Wasser beim Gockel umkippt. Der Tanz hat aber auch eine emanzipatorische Seite, denn auch die Tänzerin soll ihren Partner heben, sodass dieser das Glas umstoßen kann. Er darf dabei aber nicht nass werden.

Für Süßen bietet Ziegler eine politische Deutung an. Demnach symbolisiert der Gockel den gallischen Hahn. Das spielt auf den Spanischen Erbfolgekrieg an. Im Jahr 1707 steckten französische Truppen Großsüßen in Brand. Wie der Feldherr Prinz Eugen die Franzosen gekitzelt habe, so soll jährlich der Gockel gekitzelt werden, schrieb J.G. Fischer.

Die Tradition des Hahnentanzes wird weiter gepflegt

Den Brauch des Hahnentanzes hat die Volkstanzgruppe 1980 wieder aufgenommen. Die Volkstänzer laden zu ihren Folkloretreffen und zum Stadtfest internationale Gruppen ein, die Volkstänze aus allen Regionen der Welt zeigen. Auch die ausländischen Gäste tanzen häufig beim Hahnentanz mit, berichtet Mayer.

Bevor der Albverein den Antrag auf Aufnahme ins Immaterielle Weltkulturerbe stellte, war auch die Stadt Süßen gefragt. Der Verwaltungsausschuss hat beschlossen, dass die Stadt eine Art Schirmherrschaft für den Hahnentanz übernimmt, erläutert Alexander Starke. Damit solle sichergestellt werden, dass die Tradition weiter gepflegt wird, falls die Volkstanzgruppe den Hahnentanz einmal aufgeben sollte.

Doris Mayer hat das 17-seitige Bewerbungsformular Ende November eingereicht. „Für jedes Bundesland gibt es einen Beauftragten, der die Anträge sammelt.“ Danach folgten weitere Beratungs- und Bewertungsebenen. Sie erwartet keine rasche Entscheidung: „Das dauert mindestens ein halbes Jahr, eher länger.“

Jedes Bundesland trifft eine eigene Vorauswahl

Vielfalt
Insgesamt  113 Kulturformen sowie 13 Modellprogramme zur Erhaltung immaterieller Kulturformen zählen in Deutschland zum Immateriellen Kulturerbe. Ihre Zahl wächst ständig.

Verfahren
Jedes Bundesland trifft eine eigene Vorauswahl und kann bis zu vier Bewerbungen an die Kultusministerkonferenz leiten. Die Liste mit den Vorschlägen geht dann ans Expertenkomitee Kulturerbe der Unesco-Kommission. Die Unesco wiederum ist die Unterorganisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur der Vereinten Nationen.