Großevents gibt’s schon gar nicht – kleine in Stuttgart aber auch nicht. Foto: pa/dpa/Marijan Murat

Die Live-Entertainment-Branche wird ungeduldig – und kritisiert die Unentschlossenheit der Politik immer schärfer. Auch in Stuttgart, wo sich reichlich wenig tut.

Stuttgart - Unfassbare 155 000 Live-Veranstaltungen in Deutschland und Europa hätten wegen der Coronakrise bereits verschoben werden müssen, erklärt Europas führendes Ticket- und Liveentertainment-Unternehmen Eventim zum aktuellen Stand der Dinge. Ihren Berechnungen zufolge seien bis Ende Mai etwa 80 000 Konzerte abgesagt sein werden, teilt Jens Michow mit, der Präsident des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV). Allein bei der Pferdeshow Apassionata etwa, um nur eines der vielen Beispiele zu nennen, sind bisher 160 000 Tickets betroffen. „Das Problem ist, dass wir diese Shows nach der Krise zusätzlich stemmen müssen. Im Livegeschäft kann man nicht auf Halde produzieren“, sagt der Apassionata-Geschäftsführer Johannes Mock-O’Hara.

Spahn ist „ignorant oder arrogant“

Das sind heftige Zahlen, und so verwundert es auch nicht, dass der Ton mittlerweile rauer wird. Marek Lieberberg, der Chef des Veranstaltungsriesen Live Nation, bezeichnet die Aussage von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dass Konzert- oder Clubbesuche „verzichtbar“ seien, als „ignorant oder arrogant“.

Große Pleitewelle droht

Verbandspräsident Michow rechnet damit, dass bis zu ein Viertel der Veranstalter zahlungsunfähig würden, wenn jetzt auch noch die Herbsttourneen storniert werden müssen. Und nicht nur für ihn sei die nach wie vor fehlende oder föderalismusbedingt uneinheitliche Definition von „Großveranstaltungen“ ein Zeichen „mangelnder Transparenz“ der deutschen Politik. Nachdrücklich seien alle Landesregierungen zu „klaren Aussagen“ aufgerufen, um „weitere Schäden aufseiten aller Veranstaltungsbeteiligten zu vermeiden. Es mangelt uns keineswegs an dem Verständnis für die Notwendigkeit der Absagen. Aber wir bitten um Verständnis, dass wir Veranstaltungen nur absagen können, wenn es in jeder Beziehung klare und eindeutige behördliche Anordnungen gibt“, so Michow.

Sechs Millionen Euro Umsatzverlust

Der BDKV und andere Musikverbände fordern nun einen Sonderfonds in Höhe von 579,5 Millionen Euro. Das seien gerade einmal zehn Prozent des geschätzten Umsatzverlusts für die gesamte Musikwirtschaft. Ein „Netzwerk von Dienstleistern, die nicht über Reserven verfügen“, habe es „extrem hart getroffen“, sagt Marek Lieberberg, und „viele Familienbetriebe stehen vor dem Ruin“, fügt Johannes Mock-O’Hara hinzu.

Feine Idee für Stuttgart liegt auf Eis

In der baden-württembergischen Landeshauptstadt haben Stuttgarter Kulturveranstalter bereits vor sechs Wochen eine Idee entwickelt: eine große Bühne mit Videoleinwand auf dem Wasen, vor der das Publikum wie im Autokino in seinen Fahrzeugen sitzt und verschiedenste Künstler erleben kann. Geplant ist dieses Autokinoauditorium als offene Plattform, neben den Initiatoren Chimperator und C2 Concerts haben bereits das Theaterhaus, das Trickfilmfestival oder der SWR Interesse signalisiert, diese Bühne zu nutzen.

Trotz mehrfacher Nachfragen der Initiatoren habe es aber bisher überhaupt kein Echo von der Stadt gegeben, obwohl angeblich bereits mehrere Runden auf Bürgermeisterebene getagt hätten. „Die Gesundheit geht auch uns über alles, aber gerade deshalb müssen doch solche Konzepte über allem stehen“, zeigt sich der Geschäftsführer Christian Doll von C2 Concerts enttäuscht. „Fünfhundert Autos und ein paar Fahrradfahrerplätze auf dem Wasen sollten doch kein Problem sein“, so Doll, der auch noch darauf hinweist, dass sie dieses Gemeinschaftsprojekt als eine der ersten in Deutschland vorgeschlagen hätten, Stuttgart jetzt allerdings die letzte Stadt im Land sei, die so etwas noch nicht zu bieten hat.

Marc Gegenfurtner, der Leiter des Stuttgarter Kulturamts, findet „die Idee grundsätzlich gut“, wie er auf Anfrage unserer Zeitung mitteilte. Bei ihm sei davon aber bisher nichts angekommen. Markus Rehm, der persönliche Referent des für Kultur zuständigen Ersten Bürgermeisters Fabian Meyer, findet ebenfalls „die Idee des Autokinos sehr charmant“, verweist allerdings auf die Zuständigkeit des Amts für Öffentliche Ordnung, das „mit anderen sachverständigen Stellen die Genehmigungsfähigkeit prüft“. Das klingt alles nicht so, als würde ebenso zügig wie Hand in Hand für die Interessen der Kultur und für diese in anderen Städten längst umgesetzte Idee gearbeitet.