Für Helga Jacob (links) und Erika Mänzel war der erste Freizeitbus des Landkreises eine Herzenssache. Nun fahren sie Linienbus im Raum Backnang. Foto: Frank Eppler

Für ihre Fahrgäste waren sie nicht nur Fahrer, Fremdenführer und Seelsorger: Fast 15 Jahre lang fuhren Helga Jacob und Erika Mänzel den Waldbus. Damit ist jetzt Schluss – obwohl sie gern weitergemacht hätten.

Welzheim - Die Fahrgäste haben sie meist nur unter ihren Vornamen gekannt: Helga und Erika. Rund 14 Jahre lang sind die Schwestern Helga Jacob und Erika Mänzel mit dem feuerroten Waldbus im Schwäbischen Wald unterwegs gewesen und haben ihre Passagiere in die idyllischsten und verborgensten Ecken, zu den romantischsten Schluchten und skurrilsten Orten ihrer Heimat befördert.

Die Arbeitsteilung war klar: Helga Jacob saß am Steuer, manövrierte das samt Radanhänger rund 18 Meter lange Gefährt über die schmalen und kurvenreichen Sträßchen und fragte Einsteigende frei heraus: „Wo kommt ihr her?“ Schließlich, sagt die 52-Jährige, „muss man doch schwätza mit den Leut.“ Sie kamen aus der ganzen Region, aber auch aus China oder den USA.

Ein Fahrgast hat sogar ein Gedicht für die beiden geschrieben

Erika Mänzel war für das zuständig, was sie lachend als „das Innenleben“ bezeichnet: Sie wusste, wann wo welches Festle steigt, hielt Prospekte parat, gab Tipps zu Einkehrmöglichkeiten entlang der Strecke, half beim Be- und Entladen der Räder und reservierte auf Wunsch vom Waldbus aus gleich ein Plätzchen im jeweiligen Lokal. Ein Rundum-glücklich-Paket für die Passagiere, von denen sich so mancher völlig planlos in den Bus fallen und sich dort ein Freizeitprogramm servieren ließ. „Das ging nur, weil Erika dabei war“, sagt Helga Jacob. Und zwar ehrenamtlich, wohlgemerkt.

„Es war eine schöne Zeit, wir wollen keine Stunde davon missen“, sagen die zwei Welzheimerinnen. Denn Ende Juli war ihre letzte Fahrt: Bei einer europaweiten Ausschreibung hat das Busunternehmen, für das die Schwestern arbeiten, den Zuschlag nicht mehr bekommen. Ein echter Tiefpunkt für die „beiden mobilen Schwestern“, wie ein Fahrgast das Waldbus-Dreamteam einmal in einem Gedicht genannt hat. „Der Waldbus ist unser Baby“, so formuliert es Erika Mänzel: „Wir sind von Anfang an voll hinter dem Projekt gestanden. Die letzte Fahrt war sehr emotional.“ Nein, die Trauerphase haben die Mütter des Waldbusses längst nicht überstanden – 14 Jahre hinterlassen halt ihre Spuren.

Ganz am Anfang galten die Waldbus-Fahrerinnen als Exoten

Dass sie mal einen Bus steuern wollen, wussten die Schwestern schon als Kinder. Die „Liebe zu großen Fahrzeugen“ haben sie gemeinsam. Nach einer Lehre zur Verkäuferin beziehungsweise Einzelhandelskauffrau und bestandener Auto-, Lastwagen- und Busführerscheinprüfung haben sie beide im Jahr 1991 angefangen, für ein Busunternehmen zu fahren. „Wir waren damals Exotinnen. Das war nicht ganz einfach, man hat sich durchboxen müssen“, erzählt Helga Jacob über die Anfangszeit, als sie im Murrhardter Raum mit einem Linienbus unterwegs war. „Fahrpraxis ist das A und O“, sagt ihre zwei Jahre ältere Schwester, „und die kann man auf unseren Straßen hier bekommen.“

Kein einziger Unfall – aber ein Mordfall

Einige Zeit haben sie Reisebusse gefahren, irgendwann aber wollten sie abends zuhause statt im Hotel schlafen. „Welzheim ist halt unsere Heimat“, sagt Helga Jacob. Die Schwestern kamen schließlich zur Regiobus Stuttgart – und zum Waldbus. Der hatte es ihnen gleich angetan. Warum? „Weil er in Ecken kommt, wo man sonst nicht landet“, sagt Helga Jacob. Sie hat wie ihr Kollege Sinan Ünal, der den zweiten Waldbus steuerte, die Tagestouristen zum „größten Weizenbierglas“ im Welzheimer Wald chauffiert – dem Wasserturm von Pfahlbronn – und auf einen Trip nach „Südamerika“ mitgenommen – die Runde durchs Sandland, bei der Nandus, Kamele und Alpakas zu sehen sind.

Ein Krimi-Autor lässt die Schwestern in einem Buch auftauchen

Von manchem Passagier haben die Schwestern gar die Lebensgeschichte erfahren. „Manchmal war man auch Seelsorger“, sagt Helga Jacob, die im Jahr 2007 zur Busfahrerin des Jahres gekürt wurde. Der Grund: Sie hatte eine frustrierte Wandergruppe, die den Linienbus verpasst hatte, während der gut doppelt so lang dauernden Waldbus-Runde bestens mit Wissenswertem über ihre Heimat unterhalten.

In all den Jahren hat Helga Jacob nie einen Unfall und nur eine Panne gehabt. Allerdings waren sie und ihre Schwester einmal in einen fiktiven Mordfall verwickelt: In seinem Ebnisee-Krimi hat der Autor Jürgen Seibold nämlich dafür gesorgt, dass ein Mordopfer die Schwestern mit einer kleinen Summe im Testament bedenkt.

Jetzt fahren die beiden Linienbusse in Backnang

Dass sie sonntags arbeiten mussten, hat die beiden Waldbus-Fans nie gestört. Im Gegenteil. „Da sind die Fahrgäste entspannter und nehmen auch mal eine Verspätung hin. Die gab es schon, vor allem durch das Be- und Entladen des Radanhängers“, sagt Erika Mänzel. Bei schönem Wetter war der Waldbus oft so voll, dass sie losgezogen ist, um einen weiteren Bus zu holen, den sie dann steuerte: „Man kann ja die Leute nicht einfach stehen lassen.“

Seit diesem Monat fahren die Schwestern Linienbus in Backnang. Eine Umstellung sei das schon, sagen sie, die den Waldbus samt seinen Fahrgästen schwer vermissen. Der kleine Trost: ab und zu fahren sie den Limesbus. Das allerdings nur solo. Schade eigentlich.

Infos zum Schwäbischen Waldbus

Anfänge: Die Eröffnungsfahrt des Waldbusses hat am 29. Juni 2003 stattgefunden. Die Fahrzeuge waren damals in den Farben Grün und Gelb unterwegs, inzwischen sind sie Rot lackiert. Bis zum 31. Juli bediente die DB Bahn Regiobus Stuttgart das Linienbündel 6, zu dem der Waldbus als Linie 265 gehört. Seit 1. August ist die Firma Dannenmann zuständig. Mittlerweile fährt der Waldbus in seiner 15. Saison und zwar vom 1. Mai bis zum letzten Sonntag im Oktober. Er hat als dienstältester Freizeitbus Geschwister im Rems-Murr-Kreis bekommen: den Limes- und den Räuberbus sowie den Berg- und Talbus.

Zahlen: Der Waldbus steuert an Sonn- und Feiertagen auf seiner 74 Kilometer langen Runde durch den Schwäbischen Wald rund 65 Haltestellen an. Er durchfährt dabei drei Tarifzonen und ist ungefähr 2,5 Stunden pro Fahrt unterwegs. Kostenpunkt: 4,10 Euro. Seit dem Jahr 2004 mit einem Radanhänger, der Platz für 20 Räder bietet.

Finanzierung: Pro Saison kostet der Waldbus rund 30 000 Euro. Die Hälfte übernimmt der Kreis, die andere zu gleichen Teilen Schorndorf, Welzheim, Alfdorf, Althütte, Kaisersbach und Rudersberg. 2003 wurden an zwölf Tagen 1439 Fahrgäste gezählt. 2015 fuhren 11 204 Passagiere an 31 Fahrtagen, 2016 waren es 11 091.