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Das Abfischen der Weiher wird in Dinkelsbühl gefeiert – Fischgenießertour durch Gasthäuser.

Dinkelsbühl - Ende Oktober wird im fränkischen Dinkelsbühl eine besondere Ernte eingebracht. Was als regionale Delikatesse die Speisekarte vieler Restaurants ziert, gedeiht in den Weihern rund um das Städtchen: der Karpfen. Zum Abfischen feiern die Dinkelsbühler ein kulinarisches Fest.

In den Morgenstunden wabern Nebelschwaden über die Wiesen. Es ist feucht, kalt und grau. Doch vor den Toren Dinkelsbühls herrscht munteres Treiben. Zuschauer drängeln sich am Ufer des Rothenburger Weihers und beobachten ein besonderes Spektakel: Dick eingemummelt waten die Fischer durch den Schlick. Mit dem Hamen, einer Art Fangnetz mit Stiel, fischen sie Karpfen, aber auch Zander, Waller, Schleien und Forellen aus dem kalten Nass. Bereits vor Tagen wurde der Wasserstand behutsam abgesenkt. Im Restwasser drängen sich die Fische. Einer nach dem anderen landet im Netz der Fischer. Während die kleinen - einsömmerigen - Fische im Winterquartier auf den nächsten Sommer warten, treten die großen ihre Reise in den Kochtopf an.

Handelsplatz für die kalten Schuppentiere ist der Weinmarkt, der zentrale Platz des Städtchens und während der Fischerntewoche kurzerhand zum Fischmarkt umfunktioniert. Hier gibt's Kostproben und Zubereitungstipps, wird gezeigt, wie man Fisch räuchert, schwimmen Prachtexemplare der heimischen Süßwasserfische in einer Schauteichanlage. Im ehemaligen Kornspeicher, der Schranne, lädt der Malkreis Art & Farbe zum "Fisch- & Augenschmaus", während die Gastronomen der Stadt jeden Tag wechselnde Fischspezialitäten und Dekorationsvorschläge in der Ausstellung "Der gedeckte Tisch" präsentieren. Hier in der Schranne beginnt auch die Fischgenießertour, ein abendlicher Bummel von einer Gaststube ins nächste Restaurant, bei dem ein Fünf-Gänge-Menü an vier unterschiedlichen Plätzen serviert wird - unterhaltsames Rahmenprogramm inklusive. Ein bunt zusammengewürfeltes Grüppchen von zwanzig, maximal dreißig Personen macht sich nach einem Aperitif unter kompetenter Führung auf den Weg. Häufig begleitet Verkehrsdirektor Günter Schürlein selbst die Gäste. In jeder Gaststube ist der Tisch dekorativ gedeckt, gibt's neben Gaumenfreuden auch Augen- und Ohrenschmaus: ein Trompetensolo, Chorgesang oder Klavierbegleitung, Wortwitz in einem Sketch, einen literarischen Kurzvortrag oder Tipps für den richtigen Wein zum Fisch.

Jahrhundertealte Fischerei-Tradition

Dinkelsbühl hat eine jahrhundertealte Fischerei-Tradition. 1550, so die Überlieferung, gab es in der Region so viele Weiher wie Tage im Jahr. Noch heute zählt sie neben dem Aischgrund und der Oberpfalz zu den drei größten Teichgebieten Bayerns. Auch seine baulichen Schätze hat das Städtchen seit Jahrhunderten bewahrt, es gilt als eines der am besten erhaltenen mittelalterlichen Stadtgebilde Deutschlands. Eine vollständig erhaltene Wehranlage umschließt die Altstadt. 16 Türme, vier Tore und mehr als 600 Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Markante Gebäude mit Fachwerk und Treppengiebeln, dazwischen schiefgelaufene Pflastersteine, krumme Gassen und traute Winkel - eine Idylle fürs romantische Gemüt. Keine Leuchtreklame verunziert die jahrhundertealten Häuser. Urig auch die Atmosphäre in jahrhundertealten Gaststuben, zum Beispiel im Bräustüberl, im Wilden Mann oder im Weissen Ross, mit holzgetäfelten Wänden, rustikaler Einrichtung und bodenständiger Küche: Dinkelsbühler Karpfen ist hier natürlich die Spezialität, serviert wird er meist blau, in einem Sud aus Essig, Zwiebeln und Gewürzen gegart.

Rund um den Fischmarkt finden sich die schönsten Sehenswürdigkeiten: das Münster St. Georg mit dem viel zu klein geratenen Kirchturm - der Turm gehörte schon zur Vorgängerkirche und wurde im 15. Jahrhundert kurzerhand in den "Neubau" mit einbezogen, als Schaffenskraft und Finanzen der Dinkelsbühler versiegten. Dennoch wird diese Kirche als eine der schönsten spätgotischen Hallenkirchen Süddeutschlands bewundert. Gleich gegenüber der Kirche formieren sich fünf prächtige Giebelhäuser zur eindrucksvollen Kulisse: darunter das Deutsche Haus, mit reich verzierter Fachwerkfassade, die Schranne, der ehemalige Kornspeicher, heute Veranstaltungs- und Tagungszentrum, und die ehemalige Ratsherrentrinkstube, mal Waaggebäude, mal Gästehaus der Stadt für hochgestellte Persönlichkeiten. Kaiser Karl V. und Schwedenkönig Gustaf-Adolf betteten hier ihre Häupter zur Ruhe.

"Hört, ihr Leut, und lasst euch sagen ..." - auf den Stufen des Münsters St. Georg erhebt der Dinkelsbühler Nachtwächter des Abends noch immer seine Stimme. Wenn es ruhig wird in der Stadt, beginnt der Mann mit Hellebarde und Laterne seinen Rundgang. Wer ihn begleitet, erlebt die ehemalige Reichsstadt wie in längst vergangenen Zeiten. Vor rund 100 Jahren war Nachtwächter hier noch Beruf. Heute teilen sich einige Dinkelsbühler Bürger die nebenamtliche Tätigkeit.