Investor Samih Sawiris vor seinem neuen Luxus-Hotel in Andermatt. Foto: Neue Luzerner Zeitung

Als die Schweizer Armee aus Andermatt abzog, kam ein ägyptischer Milliardär: Samih Sawiris baut das vergessene, alte Dorf im Urserntal zum Luxusresort um. Das spaltet die Einwohnerschaft.

Als die Schweizer Armee aus Andermatt abzog, kam ein ägyptischer Milliardär: Samih Sawiris baut das vergessene, alte Dorf im Urserntal zum Luxusresort um. Das spaltet die Einwohnerschaft.

Andermatt - An steilen Schneehängen stehen Gämsen. Manchmal. Und doch hat die Schöllenen nichts Liebliches. Links die Teufelsbrücke, rechts gewaltige Eiszapfen und ein grauer Armeebau im Fels: schroff, klirrend kalt, endzeitlich wirkt die Schlucht, als sich die rote Gotthard-Bahn aus dem Berg schiebt. „Hier kostet es der Einbildungskraft nicht viel, sich Drachennester in den Klüften zu denken“, schrieb Goethe 1775 bei seinem Aufstieg zum Gotthard.

Hans Meier lächelt. Er fährt ins Nachbartal nach Disentis und winkt ab, als er hört, was bald vielleicht viele nach Andermatt führen wird: nicht die mystischen Berge, der Pass der Pässe, die berühmte Nordsüdscheide, sondern das Hotel Chedi Andermatt, fünf Sterne plus, gefühlt sechs – das Herz des Luxusresorts Andermatt Swiss Alps des ägyptischen Milliardärs Samih Sawiris.

Der Bündner weiß, dass „der Rockefeller vom Nil“, der die moderne Wüstenstadt El Gouna aus dem Nichts gestampft hat, hier ein zweites Gstaad oder St. Moritz plant. „Wir werden sehen, was daraus wird“, murmelt er, wünscht eine gute Zeit im 1400-Seelen-Ort, bisher ein Geheimtipp für Mountainbiker, Motorradfahrer, im Winter für Skicracks und Freerider. Heute öffnet das Chedi seine Pforten für sehr zahlungskräftige Gäste. In Andermatt beginnt damit ein neues Kapitel. Die Frage ist: Was für eines?

Seit dem Bau der Gotthardautobahn im Jahr 1980 fahren die meisten an Andermatt vorbei. Statt Gästen blieben Soldaten. Viele Hotels verharren auf dem Stand der Siebziger, als das Dorf Waffenplatz der Schweizer Armee war. Bis Ende der 1990er waren die Hotels und Restaurants deshalb noch voll. Dann zog die Armee ab – und ließ ein Dorf ratlos zurück.

Barocke Kirche, urige Holzschindelhäuser, eine Hauptstraße

Was hatte es zu bieten? Eine barocke Kirche, urige Holzschindelhäuser, eine Hauptstraße – ohne Autos wäre es noch zauberhafter, ruhiger, als es schon ist. Gestrig. Morgens um vier macht Metzger Ferdinand Muheim köstliche Würste. Verkauft im Laden, ausgestopfte Tiere an der Wand, Urschner Yakfleisch, Hüswirschtli, Luganighetti (Würste mit Parmesan). Muheim profitiert bereits vom Chedi, im Frühjahr soll der Bau des Radisson Blu beginnen, 180 Zimmer, 90 Residenzen, vier Sterne, mit eigenem Wellnessbereich, daneben ein Schwimmbad, das auch die Andermatter nutzen können. Erst 2017 wird es wohl öffnen, dann könnte auch der Umbau des Bahnhofs fertig sein. Die Bahn schießt bis zu 1,5 Millionen Euro dazu.

Schon jetzt wächst dahinter Andermatt Swiss Alps heran, ein in den Alpen einzigartiges Projekt: 303 Millionen Euro sind dafür schon geflossen, rund 1,3 Milliarden sollen es am Ende sein: für sechs Hotels (vier und fünf Sterne) mit 850 Zimmern, 500 Apartments, 25 Villen (Kaufpreis ab 7,6 Millionen Euro aufwärts), Golfplatz, Parkhaus, Schwimmbädern, einem Sport-, Freizeit- und Kongresszentrum auf 1,4 Millionen Quadratmetern.

Bescheiden geht anders. „Er hat für sich gut vorgesorgt“, heißt es im Buch „Andermatt im Umbruch“ von Robert Kruker und Verena Meier, „da ist kein Platz für Konkurrenz!“ Die Autoren fragen: „Werden die zukünftigen Andermatter in den Kellern von Sawiris’ Palästen Kartoffeln schälen und Teller waschen?“

„Wir haben 150 Angestellte, 38 Prozent kommen aus der Schweiz, das ist für ein Luxushotel sehr, sehr viel“, sagt Alain Bachmann, Direktor des Chedi. „25 sind aus dem Urserntal, neun aus Andermatt.“ Was ändert die Eröffnung des Chedi? „Das wird allen Zweiflern den Wind aus den Segeln nehmen“, sagt Bachmann. „Immerhin haben 96 Prozent aus dem Dorf fürs Projekt gestimmt.“ Verzweiflung sieht anders aus.

Metzger Muheim geht im Chedi ein und aus, kennt jeden – auch Sterne-Chef Mansour Memarian und den Investor: „Ohne Sawiris wären wir ruiniert. Jetzt haben unsere jungen Bauern wieder Zukunft.“ Für rund 3000 Ursner, die am 1. Dezember einen Blick ins Chedi werfen durften, hat er Würste geliefert – und Tartar. Die meisten waren gespannt. „Bei uns haben Arbeiter geschlafen und schon viel erzählt“, sagt Debora Schumacher vom Hotel Bergidyll. „Das wird keine Konkurrenz, die Preise liegen weit über unseren.“ Zwischen 493 und 1797 Euro kostet die Nacht im Chedi. Die teuerste Flasche Wein um die 14 000 Franken.

„Wir sehen keine Sonne, keine Piste mehr, nur Beton, dreckig und laut ist es auch“

Ganz umschlossen vom Chedi sind 22 Bewohner des Betagten- und Pflegeheim Ursern, im Schnitt 90 Jahre alt, viele aus Andermatt. Auf der Internetseite heißt es: „Unser Heim steht mitten im Dorf an ruhiger Lage mit einer herrlichen Sicht in die umliegenden Berge.“ Das war mal. „Wir sehen keine Sonne, keine Piste mehr, nur Beton, dreckig und laut ist es auch“, erklärt Michaela Mattli, Leiterin des Pflegedienstes. „Manche aus dem Unterland wünschen Andermatt, dass es bankrottgeht. Sie sagen, es hat seine Seele verkauft. “ Und weiter: „Wir sind das Filetstück von Sawiris’ Resort, hört man. Viele im Dorf haben Angst, was wird, wenn die Gäste ausbleiben. Dann stehen die Bauten da.“ Aber man müsse sagen: Wir freuen uns auf die Reichen und Schönen.

Andere meinen: Nur jemand von außen konnte dem vergessenen Tal helfen. Sawiris ist koptischer Christ, spricht perfekt Deutsch, hat an der TU in Berlin studiert und ist ein glänzender Redner. Doch: „Schon jetzt finden junge Andermatter keine günstige Wohnung mehr, müssen wegziehen ins Unterland“ sagt Dorfarzt Andreas von Schulthess in seiner Praxis mit Kachelofen.

Verhängnisvoll sei, dass sich Andermatt und das ganze Tal in eine Abhängigkeit von einem Investor begeben hätten, den der 64-Jährige einen „skrupellosen Spekulanten“ nennt. „Dieses architektonisch äußerst diskutable Monstrum von Chedi ist ein brutaler Eingriff ins Dorfbild.“

Wer bei dem gewagten Handel am Ende gewinnt, wird sich zeigen. Am 30. Dezember läuft im Schweizer Fernsehen „Der Pakt von Andermatt“, ein Dokumentarfilm. „Viele im Dorf trauen sich nicht, was gegen Sawiris zu sagen“, sagt von Schulthess. „Dürrenmatt lässt grüßen. Wenn Sawiris kommt, und er kommt immer zu spät, dann klatschen alle, ich meine: Wo bleibt der Stolz?“