Kein anderes Wissenschaftsbuch sorgt derzeit für mehr Furore als „Homo Deus“. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari entwirft darin eine düstere Technik-Dystopie. Warum sollte man das unbedingt lesen?
Stuttgart - Der Mann weiß genau, wie er dem Affen Zucker geben kann. Für den Durchschnittsmenschen seien Cola und Zucker eine weitaus größere Gefahr als Al Quaida. Wer heute geboren werde, habe gute Chancen, dank des wissenschaftlichen Fortschritts 150 Jahre alt zu werden. Womöglich sogar 200 Jahre. Diese These klingt noch nicht spektakulär genug? Kein Problem: der Mensch steht evolutionsgeschichtlich an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter. Der Homo sapiens – also wir – sei ein Auslaufmodell, das bald abgelöst werden könnte vom Homo deus. Einem Menschen, mit nach heutigem Verständnis fast göttlichen Fähigkeiten.
Der Autor, der diese und viele weitere Thesen in einem 576 Seiten starken Buch versammelt hat, ist ein 41 Jahre alter Historiker aus Israel. Er lebt in der Nähe von Tel Aviv, ist mit einem Mann verheiratet, er hält sich nicht damit auf, geschichtliche Prozesse mit dem Mikroskop zu betrachten: Yuval Noah Harari ist ein Popstar seiner Zunft. Sein voriges Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“, verkaufte sich zwei Millionen Mal, es wurde in 40 Sprachen übersetzt. Jetzt schlägt Harari das nächste Kapitel auf: „Homo Deus – eine Geschichte von Morgen“. Dabei skizziert er nicht weniger als den Beginn einer neuen Menschheitsgeschichte, in welcher der Mensch dank Biotechnologie, den neuen Optionen der Gentechnik und der künstlichen Intelligenz auf eine bisher nie dagewesene Weise sein Schicksal selbst in die Hand nimmt.
Das Buch hat Staub aufgewirbelt
Wenn man behaupten würde, dass Hararis Buch Staub aufgewirbelt habe, könnte man dies angesichts des medialen Widerhalls und der davon angestoßenen Debatten noch als Untertreibung bezeichnen. „Homo Deus“ trifft den Zeitgeist, trifft auf eine Zeit, in der überall Begriffe wie „Künstliche Intelligenz“, „Big Data“ oder „Genome-Editing“ heiß diskutiert werden, aber abgesehen von wenigen Experten viele Menschen nur bruchstückhaft verstehen, worum es bei all diesen Schlagworten geht. Was sie für unser heutiges Leben bedeuten, geschweige denn für unsere Zukunft.
Harari zeigt zahlreiche Entwicklungen auf, die in den gegenwärtigen Fortschrittsdebatten oft nur bruchstückhaft nebeneinander stehen. Drei Punkte sind für seine These vom Upgrade des heutigen Menschen entscheidend: Die Fortschritte in der Biotechnologie, die Arbeit an sogenannten Cyborg-Technologien und die Entwicklung von nicht-organischen Lebewesen. Der Begriff von der Biotechnologie zeigt bereits einen Perspektivewechsel: Über Jahrtausende hinweg hat der Mensch sich immer wieder den Umweltbedingungen angepasst. Nun ist er an einem Punkt angekommen, an dem er seinen eigenen Gencode aktiv umschreiben kann.
Schon heute lassen viele werdende Eltern die DNA ihres ungeborenen Kindes auf Schädigungen des Erbguts testen. Dieser Test dient ihnen als mögliche Entscheidungsgrundlage: Wollen wir dieses Kind oder nicht? Optionen wie diese sind eine Vorstufe von weiteren Wahlmöglichkeiten – alle sind verbunden mit jenen Informationen, die das längst entschlüsselte Erbgut den Forschern liefert: Wie hoch ist das persönliche Krebsrisiko? Wie sieht es mit Alzheimer aus? Mit Übergewicht? Der Homo sapiens, so legt es der Historiker nahe, steht erst am Anfang der oft zitierten Selbstoptimierung. In vielen Ländern sind Eingriffe dieser Art juristisch verboten – noch.