Menschen können literarische Texte mit mehr oder weniger Kreativität auf der Basis von Bekanntem zusammenkleben. Können das nun auch Maschinen? Foto: dpa

Was kommt heraus, wenn Künstliche Intelligenz Texte verfasst? Zum Beispiel ein Gedicht, das es ins Jahrbuch der Brentano-Gesellschaft schafft. Oder ein Kapitel von Harry Potter. Muss der Literaturbetrieb nun bangen? Und kann KI tatsächlich kreativ sein?

Frankfurt - „Auf der Flucht gezimmert in einer Sommernacht. Schleier auf dem Mahle. Säumung Nahrung, dieses Leben.“ So lauten die ersten Zeilen von „Sonnenblicke auf der Flucht“. Die Brentano-Gesellschaft nahm dieses Gedicht 2018 in ihren renommierten Jahresband „Frankfurter Bibliothek“ auf. Eingeschickt hatte das Werk die Wiener Agentur Tunnel23, allerdings ohne zu erwähnen, wer der Verfasser ist. Denn geschaffen wurde „Sonnenblicke auf der Flucht“ nicht von einem Menschen, sondern von einer Maschine.

Die Wiener hatten einen Algorithmus mit zahlreichen Gedichten gefüttert. „Wir haben uns an die alten Meister Goethe und Schiller gehalten und alle Werke eingepflegt, die wir von den beiden finden konnten“, erzählt Agentur-Chef Michael Katzlberger. „Wichtig ist, dass die Texte vom Stil her ähnlich sind.“ Die Künstliche Intelligenz habe Vokabular, Semantik und Rhythmik gelernt und nach einigen Wochen das Gedicht ausgespuckt. Er könne sich noch genau an den Moment erinnern, berichtet der Österreicher. „Wir haben ein Fünkchen Kreativität in der Maschine entdeckt.“

Packt der Computer auch Harry Potter?

Inzwischen verfassen Algorithmen also nicht nur standardisierte Presseartikel, wie beispielsweise Börsenmeldungen oder Spielberichte von Fußballpartien. Sie nehmen jetzt auch literarische oder lyrische Texte in Angriff. In Japan schrieb eine Software bereits vor einigen Jahren einen Kurzgeschichten-Band mit dem passenden Titel „The Day a Computer writes a Novel“. Eine der Geschichten war in die engere Auswahl für einen Literaturpreis gekommen. Und 2017 hatte ein maschinell verfasstes Harry-Potter-Kapitel für Erstaunen gesorgt. Daran hatte sich die Firma Botnik versucht, indem sie eine KI mit den vorhandenen Bänden fütterte und den verwegenen Auftrag erteilte: Schreibe wie J. K. Rowling.

Aber wie gut sind solche KI-Texte? Holger Volland, Autor des Buchs „Die kreative Macht der Maschinen“ und Vizepräsident der Frankfurter Buchmesse, meint dazu: „Generell kann man sagen: Stilistisch ist das schon ziemlich gut, inhaltlich gibt es noch große Schwächen.“ Das Harry-Potter-Beispiel sei sicher eines der ausgefeiltesten und zeige, wie gut das Maschinenlernen funktioniere, wenn es um Stil, Sprache und Syntax gehe. Es werde mit direkter und indirekter Rede sowie Relativsätzen gearbeitet. Auch der sprachliche Rhythmus von Rowling werde kopiert. „Das sind alles stilistische Merkmale, die den Text sehr richtig und authentisch erscheinen lassen.“ Wenn man jedoch inhaltlich tiefer einsteige, dann sei das ziemlicher Mist. „Bei einem Gedicht sieht man solche inhaltlichen Schwächen eher nach, weil Lyrik nicht auf große Sinneszusammenhänge angewiesen ist.“

Nicht kreativ, aber täuschend ähnlich

Um beispielsweise Manipulationen zu verhindern, sprechen sich inzwischen viele Experten für eine Regulierung und Kennzeichnung von Künstlicher Intelligenz aus. Und auch Katzlberger sagt: „Die KI ist nicht böse, sondern der Mensch, der sie missbraucht“.

Bleibt die Frage, ob Algorithmen wirklich kreativ sein können. „Ich glaube, ja. Und ich glaube, dass wir erst am Anfang stehen“, sagt Katzlberger. „Ich denke nicht, dass KI kreativ sein kann, weil zur echten Kreativität Persönlichkeit gehört“, entgegnet Volland. „Aber ich glaube, dass es KI sehr schnell schafft, Kreationen zu erzeugen, die von uns allen wahrgenommen werden als etwas Kreatives. Das ist ein feiner Unterschied.“

Bestseller vorab ermitteln

Welche weiteren Auswirkungen die Technologie auf die Buchbranche haben kann, zeigt das Hamburger Start-up QualiFiction. Dort wurde auf KI-Basis die Software „Lisa“ entwickelt, die belletristische Texte analysiert und Bucherfolge vorhersagt. Die Datenbank werde mit Bestsellern und wenig erfolgreichen Büchern gepflegt, erklärt Mitgründerin Gesa Schöning. Innerhalb von 30 Sekunden könne der Algorithmus das Erfolgspotenzial des eingescannten Textes bewerten.

Bereits neun Verlagshäuser sowie 400 Autoren nutzen das Angebot. Birgt das nicht die Gefahr, dass eine Art literarischer Einheitsbrei entsteht? Eine solche Kritik will Schöning nicht stehen lassen. „Wir messen auch die Innovation der Texte und wir verfolgen kein Schema F“, erklärt sie. Dafür werde die Datenbank immer aktualisiert und angepasst.

Wie steht es bei all den rasanten technischen Entwicklungen um die Branche? Muss diese nun bangen? „Ich habe wenig Angst um den Literaturbetrieb“, sagt Volland. „Der hat es in den letzten Jahrhunderten immer wieder geschafft, gesellschaftliche Entwicklungen aufzunehmen und daraus etwas Kreatives zu machen.“