Miniroboter führen einen Tanz im Las Vegas Convention Center während der Technik-Messe CES 2019 auf. Foto: AFP

Künstliche Intelligenz ist längst keine Vision mehr. Computer übernehmen in der Arbeitswelt immer Aufgaben, die früher Menschen machten. Wird der Mensch bald überflüssig? Ein Interview mit dem Hirnforscher Gerhard Roth.

Stuttgart - Die Zukunft der Arbeit und die Beziehung von Mensch und Maschine sind eines der spannendsten und schon seit Jahren meistdiskutierten Themen. Vor allem in der Arbeitswelt übernehmen Computer immer mehr Aufgaben, die bisher von Menschen ausgeführt wurden. Doch ersetzen können sie den Menschen nicht. Es sind vor allem Kreativität und Innovationsgeist, die ihn unverwechselbar und nicht austauschbar machen. Wir sprachen darüber mit dem Bremer Biologen und Hirnforscher Gerhard Roth.

„Man kann Kreativität nicht nachbauen“

Herr Professor Roth, der Mensch lebt im Spannungsfeld von Intelligenz und Kreativität. Was unterscheidet ihn von Maschinen?

Computer sind dem Menschen schon heute in allem überlegen, was man regelhaft („algorithmisch“) erfassen, präzise formulieren und in genauen Schritten festlegen kann – wie das Schachspielen oder Lösen mathematischer Aufgaben. Kreativität hat damit aber nichts zu tun. Sie erwächst aus dem, was wir nicht regelhaft beschreiben können und hat viel mit unbewussten oder vorbewussten intuitiven Dingen zu tun.

Kreativität ist beim Menschen eher die Ausnahme, nicht die Regel. Warum?

Wenn es dafür klare Regeln gäbe, könnte jeder kreativ werden. Tatsächlich sind vergleichsweise wenige Menschen kreativ. Kreativität hängt mit Mechanismen im Gehirn zusammen, die Inhalte des Langzeitgedächtnisses auf eine neue und produktive Weise miteinander verknüpfen. Aber wir wissen noch nicht, wie dies genau funktioniert. Noch viel weniger können wir Kreativität „nachbauen“ – zurzeit zumindest. Es wird noch sehr lange dauern bis ein Computer wirklich kreativ denken kann. Wahrscheinlich wollen wir das auch gar nicht, denn es würde uns bedrohen.

Was ist das Besondere an kreativer Begabung, was macht den schöpferischen menschlichen Genius aus?

Intelligenz bedeutet schnelles Lösen von Problem unter Zeitdruck. Wer über ausreichend Erfahrung verfügt – und intelligente Menschen sollten sie mitbringen –, dem fallen Lösungen ein, die auch schon vorhanden sein können. Man muss nur darauf kommen.

Wie in einem neuronalen Speicher, ähnlich wie bei Rechnern.

Um ein Problem zu lösen, das ich bereits gelöst habe, brauche ich nicht besonders kreativ zu sein. Kreativität beinhaltet das Auffinden neuartiger Lösungen. Natürlich muss man dazu auch intelligent sein, aber die Kreativität kommt hinzu. Während umgekehrt viele intelligente Menschen nicht besonders kreativ sind.

Bei kreativen Menschen spielt Emotionalität, Erfahrung und Intuition eine wichtige Rolle. Da können Computer offenbar nicht mithalten.

Man könnte im Prinzip Emotionalität in Computer einbauen, aber gelungen ist das bisher noch nicht. Viele Computer sollen auch gar nicht kreativ sein, sondern wie mein Laptop einfach nur funktionieren. „Kreative Computer“ wären nämlich solche, die zu ganz anderen Vorstellungen kommen würden als wir. Hinzu kommt, dass Kreativität auf neuartigen Verbindungen zwischen vorhandenem Wissen beruht. Wie das Gehirn das macht, wissen wir nicht und können es deshalb auch nicht nachbauen.

Selbst Sie als Hirnforscher nicht?

Stellen Sie sich einen Denker vor, der lange über etwas nachdenkt, morgens aufwacht und plötzlich hat er die Lösung. Ihm ist das selbst rätselhaft.

Kommen einem solche Geistesblitze urplötzlich oder wird die Lösung im Unterbewussten vorbereitet?

Beides. Wenn jemand nachts aufwacht und plötzlich die Lösung hat, obwohl er das Problem schon längst ad acta gelegt hat, ist das der Aha-Moment. Es gibt auch Assoziationsbrücken, die merkwürdig und nicht zielgerichtet sind. Deshalb kann man auch keine allgemeingültigen Regeln für all diese Vorgänge aufstellen.

Sobald es solche Regeln gäbe, könnte man versuchen, sie in Form von Algorithmen auf eine intelligente Maschine zu übertragen.

Man könnte einem Computer befehlen: verknüpfe wahllos. Es käme aber nichts Sinnvolles dabei raus. Kreativität ist nicht wahlloses Verknüpfen wie bei einem Zufallsgenerator, sondern eine höhere Art von Zielsetzung. Wie der Mensch das macht, kommt sehr stark auf seine Persönlichkeit an. Es gibt kreative Persönlichkeiten, also Menschen, die dazu neigen, Wissen auf neue Art zu verknüpfen. Aber das können nur wenige.

Was läuft dabei im Gehirn ab?

Dopamin spielt hierbei eine wichtige Rolle. Dabei handelt es sich um einen Neuromodulator – eine chemische Substanz, welche die Arbeitsweise des Nervensystems beeinflusst und mit Lernen, Begeisterung und Kreativität zusammenhängt. All das findet in unserem Stirnhirn im präfrontalen Kortex statt, einem Teil des Frontallappens der Großhirnrinde.

Kreativität hängt demnach wie die menschliche Psyche mit biochemischen Prozessen zusammen?

Genau. Bei einer Depression etwa gibt es einen Mangel an dem Botenstoff Serotonin und eine Überproduktion des Stresshormons Cortisol. In der sogenannten produktiven Phase von Schizophrenien haben wir es mit einer Überproduktion von Dopamin zu tun. Die Betroffenen werden sozusagen superkreativ. Es fällt ihnen alles Mögliche Absurde und Bizarre ein. Solche Schübe bei Kreativen und Schizophrenen haben durchaus etwas miteinander zu tun.

Heißt das: Kreativität und Intelligenz beruhen auf unterschiedlichen biochemischen Prozessen?

Das ist die derzeitige Anschauung der Hirnforschung. Es werden zumindest teilweise unterschiedliche neuronale Prozesse in Gang gesetzt.

Welche Rolle werden Kreativität und Innovationsgeist in der Zukunft spielen, beispielsweise in der Arbeitswelt?

Computer übernehmen dort immer mehr Aufgaben und immer mehr Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz, sofern sie nicht intelligent und kreativ genug sind.

Wird der Mensch durch die zunehmende Automatisierung, Digitalisierung und Vernetzung irgendwann überflüssig?

Das ist nicht zu befürchten. Das Problem liegt anderswo: Je mehr Aufgaben Computer übernehmen, desto weniger verstehen wir die dabei auftretenden Zusammenhänge und Gründe. Egal wie viel geistige Arbeit intelligente Maschinen dem Menschen auch abnehmen, der Mensch muss sie nämlich immer noch einordnen, bewerten und Schlüsse daraus ziehen.

Welche Funktion sollen Computer spielen? Sind sie Ergänzung oder Ersatz für menschliche Kreativität?

Eine Computer-Diktatur kann niemand wirklich wollen, weil der Mensch dann keine Entscheidungsfreiheit mehr hätte. Das wäre ihm sehr unangenehm.

Könnte man die Fähigkeiten beider vernetzen im Sinne einer Mensch-Maschine-Interaktion?

Eine solche Idee wurde nicht nur angedacht, sondern auch versucht. Aus technischen Gründen ist sie aber fehlgeschlagen. Bisher ist es nicht gelungen in größerem Umfang Teile der Großhirnrinde zu ersetzen, weil es keine funktionsfähigen künstlichen Nervenzellen gibt. Auch wenn es sie gäbe, könnten wir sie zur Zeit nicht implantieren, weil sie im Gehirn nicht einwachsen.

Wenn die technologische Entwicklung so weitergeht, wird die Arbeitslosigkeit unaufhaltsam ansteigen, weil Computer den Menschen ersetzen. Ist das erstrebenswert?

Denken Sie an den Kohle-Schaufler auf den ersten Elektroloks. Eigentlich brauchte man ihn nicht mehr. Man ließ ihn aber mitfahren, damit er nicht arbeitslos wurde. Vieles, was heute Rechner erledigen könnten, wird weiter von Menschen gemacht, weil man sie nicht einfach auf die Straße setzen will. Und dieses Dilemma wird sich noch vergrößern. Es sei denn, man investiert in mehr und bessere Bildung. Die Menschen müssen viel früher, intensiver und systematischer ausgebildet werden.

Ein Plädoyer für eine ganz neue Bildungs- und Wissensgesellschaft?

Ganz genau. Aber davon sind wir weit entfernt. Es ist ein sehr fernes und teures Ziel.

Zur Person: Gerhard Roth

1942 in Marburg geboren

1963-1969 Studium der Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Münster, Rom, Promotion in Philosophie

1969-1974 Studium der Biologie, Promotion in Zoologie an der Universität Münster

Ab 1976 Professor für Verhaltensphysiologie an der Universität Bremen

Ab 1989 Direktor des Instituts für Hirnforschung und heutigem Zentrum für Kognitionswissenschaften

2003-2011 Präsident der Studienstiftung des deutschen Volkes

2008 Gründung der Beratungsfirma Roth GmbH in Bremen

Info – Kreativität und Intelligenz

Der Mensch

Intelligenz (lateinisch „intellegere“, verstehen“) meint die kognitive Leistungsfähigkeit des Menschen wie Erfahrung, Wahrnehmung, Erkenntnis, Aufmerksamkeit, Erinnerung, Lernen, Problemlösen. Intelligenz ist die Umschreibung für die Fähigkeit, sich in neuen Situationen durch Einsicht zurechtzufinden und Aufgaben durch Denken zu lösen, wobei vor allem das schnelle Erfassen von Beziehungen und deren Kombination eine Rolle spielt. Kreativität (lateinisch „creare“, schöpfen) ist die Fähigkeit, etwas vorher nicht da gewesenes, originelles und beständiges Neues hervorzubringen.

Die Maschine

Die Erforschung Künstlicher Intelligenz (deutsch: KI, englisch „artifical intelligence“, AI) ist ein Teilgebiet der Informatik, die sich mit der Automatisierung menschlicher Wahrnehmung und menschliches Verhaltens beschäftigt. Dabei wird versucht eine menschenähnliche Intelligenz nachzubilden – etwa in Form eines Computers, der so konstruiert und programmiert ist, dass er eigenständig Probleme bearbeiten und Lösungsvorschläge machen kann. Ziel ist die „denkende Maschine“, welche die komplexen Prozesse im menschlichen Gehirn nachbildet.