Das erste Künstlercafé im Zollamt in Bad Cannstatt dient künftig dem Austausch von Kreativen. Im Sommer sind dort ein Biergarten und ein Open-Air-Kino, aber auch Flüchtlingsarbeit und Wildkräuterführungen geplant.
Stuttgart - Joachim Petzold hat an diesem Abend ein lachendes und ein weinendes Auge. Lachend, weil der Kulturinsel-Betreiber soeben das erste Künstlercafé „Große Freiheit Kis“ im Zollamt in Bad Cannstatt eröffnet hat und sich über den regen Zuspruch an Künstlern, Kunstinteressierten und Neugierigen freut. Weinend, weil er noch wenige Stunden zuvor den Abriss der Industriehallen rund um das Areal von Zollamt und Kulturinsel filmte und live im Netz veröffentlichte. Hier auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs entsteht von 2018 an ein neues Wohngebiet, die Bagger fahren ganz nah an das subkulturelle Biotop heran.
Die Kulturinsel, das wird auch beim Opening des ersten Künstlercafés klar, ist mehr als die Freifläche eines Clubs, über den sich die Anwohner beschwerten. Soziale Projekte, Büros für junge Kreative, urbanes Gärtnern und ein Kulturprogramm gab und gibt es hier. „Austausch, Präsentation und Finanzierung von Ideen, Werken und Projekten“, das steht für Petzold klar im Vordergrund. Nun greift das Künstlercafé diesen Grundsatz auf: Ein regelmäßiger Treffpunkt für alle, die „was mit Kunst“ machen, wechselnde Ausstellungen, ein Ort zum Netzwerken. „Seit der Schließung sind die Räumlichkeiten des Zollamts ja nahezu ungenutzt“, sagt Initiator Oliver Sich.
Eine grüne Oase in der Industriebrache
Wer das Zollamt noch von wilden Partys kennt, hat große Schwierigkeiten, es wiederzuerkennen. Die Wände wurden hell gestrichen oder neu hochgezogen. Der kleine Floor gleich am Eingang beherbergt an diesem Tag den Retroshowroom von Günther Siegle, der unter dem Namen Loft und Liebe Räumlichkeiten vermietet. Auf der Kulturinsel ist eben Platz für jedermann. Und wenn es nach Petzold geht, fangen sie hier gerade erst an.
Im Sommer will man sich mit Biergarten, kostenlosem Open-Air-Kino, Flüchtlingsarbeit und Wildkräuterführungen einen Namen machen. Auch ein Bürgercafé könnte sich der Geschäftsführer vorstellen. Einig sind sich alle darin, dass es jammerschade wäre, ein derart integres Objekt wie die Kulturinsel durch Bagger dem Erdboden gleich zu machen. Zunächst noch bis Ende 2018 darf die Kulturinsel nun aber bleiben.
Diese Zeit möchte Petzold nutzen, um die Chancen und Möglichkeiten vorzustellen, die dieser Stadt dadurch geboten werden. Schon die rege Anteilnahme am ersten Künstlercafé zeigt den Bedarf an Orten wie diesen. Und damit fängt es erst an: Proberäume für Bands, Malunterricht für Flüchtlingskinder, Mietlocation für besondere Events, eine grüne Oase in der Industriebrache, Ausstellungsräume für junge Künstler – kurz: all diese Dinge eben, die in Stuttgart Mangelware sind, finden sich hier. Dass eine solche Institution sicherlich auch inmitten des neuen Wohngebiets eine gute Figur machen würde, bezweifelt zumindest an diesem Abend niemand.