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An Homöopathie auf Kassenrezept wird nicht gerüttelt - auch wenn Heilmethode umstritten ist.

Stuttgart - Kaum ein alternatives Heilverfahren entzweit die Menschen so sehr wie die Homöopathie. Die einen schwören darauf, die anderen halten sie für Quacksalberei. Angesichts der Finanznot der Krankenkassen ist der Streit jetzt in der Politik angekommen.

Der Südwesten ist Deutschlands Homöopathie-Hochburg. Firmen wie Staufen-Pharma (Göppingen), Weleda (Schwäbisch Gmünd) oder Wala Heilmittel (Bad Boll) stellen aus pflanzlichen, tierischen und mineralischen Substanzen homöopathische und anthroposophische Präparate her. In vielen Haushalten stehen im Arzneimittelschrank kleine braune Fläschchen mit weißen Kügelchen. In keiner homöopathischen Hausapotheke dürfen Globuli mit Aconitum (Eisenhut), Arnica (Bergdotterblume) oder Belladonna (Schwarze Tollkirsche) fehlen.

Karl Lauterbach bringt dieser Globuli-Wahn zur Raserei. Homöopathie ist für den Politiker Aberglaube, Nonsens. Dass Millionen Deutsche an ihre Wirksamkeit glauben, muss der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion zähneknirschend hinnehmen. Dass es aber den Besuch beim homöopathischen Arzt weiterhin auf Kassenrezept geben soll, will er nicht länger hinnehmen. "Man sollte den Kassen schlicht verbieten, die Homöopathie zu bezahlen", erklärte er im "Spiegel". Dem habe er nichts hinzuzufügen, sagt er unserer Zeitung. Viele Ärzte würden die Naturheilkunde ohnehin nur aus Marketinggründen anbieten, obwohl sie nicht daran glaubten.

Mit seinem Verdikt steht Lauterbach nicht allein. CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn meint, man könne das Ende der Homöopathie auf Rezept doch bald gemeinsam regeln. Einen Verbündeten haben die Anti-Homöopathen im designierten Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Jürgen Windeler: "Die Homöopathie ist ein spekulatives, widerlegtes Konzept." Dazu müsse man nicht mehr weiterforschen, die Sache sei erledigt.

Doch eine Große Koalition contra Homöopathie wird es wohl nicht geben. Laut einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach haben 53 Prozent der erwachsenen Bundesbürger schon einmal Globuli verwendet - 1970 war es nur knapp jeder Vierte. Angesichts dieser Beliebtheit dürfte es so schnell nicht zu Einschränkungen kommen.

"Homöopathi hilft vielen - warum auch immer"

Lauterbach stößt auch bei seinen Politikerkollegen auf eine breite Front der Ablehnung. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) findet, gegen Wahltarife für Homöopathie spreche nichts. Auch aus CSU und CDU melden sich Stimmen, die vor der Streichung von Leistungen warnen. "Herr Lauterbach vertritt eine Einzelmeinung", sagt die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Carola Reimann (SPD).

Eigentlich schien der Disput um Sinn und Unsinn der Homöopathie längst geklärt. Der Gesetzgeber stellt es den Krankenkassen frei, ob sie sie als eigene Leistung oder Wahltarif anbieten. Daran werde nicht gerüttelt, stellt der Sprecher ihres Verbands, Florian Lanz, klar. "Hier beginnt eine Debatte in eine völlig verkehrte Richtung zu laufen." Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, verweist darauf, dass Homöopathie vielen Menschen helfe, auch wenn man "streng naturwissenschaftlich gesehen nicht nachvollziehen kann, warum das so ist".

Über keine andere Komplementärmedizin wird so kontrovers diskutiert wie über die Homöopathie. Ihre Anhänger preisen die therapeutischen Erfolge der bis zur Flüchtigkeit verdünnten Wirkstoffe, die in Globuli, Tabletten und Lösungen angeboten werden. Dagegen prangern Kritiker sie als Scharlatanerie und Hokuspokus an.

Das von dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann (1755-1843) begründete Heilverfahren beruht auf zwei Säulen: der Ähnlichkeits- und Potenzierungsregel. "Ähnliches soll durch Ähnliches geheilt werden", lautet der wichtigste Glaubenssatz. An Gesunden soll das Homöopathikum ähnliche Symptome hervorrufen wie die, an denen Kranke leiden. Die Mittel wird in extrem niedriger Dosis zubereitet. Bei dieser sogenannten Potenzierung wird die Ursubstanz so lange mit einer Wasser- oder Alkohollösung verdünnt und verschüttelt, bis das Extrakt kein einziges Wirkstoffmolekül mehr enthält.

Einige Beispiele: Ein Mittel der Potenz D 23 (Verhältnis eins zu 100 Trilliarden) entspricht einem Tropfen der Urtinktur im Mittelmeer. Die Potenz D 78 entspricht eins zu einer Tredezillion - ein Tropfen im Universum. In Deutschland werden Mittel bis zu einer Potenz von D 1000 hergestellt. Hier streikt jedoch jede Vorstellungskraft.

Wirkung ist im Wasser energetisch gespeichert

In der Homöopathie geht man davon aus, dass Stoffe in extremer Verdünnung stärker wirken als in konzentrierter Form. Dass in den Mitteln keinerlei Rückstände der Ursubstanz mehr vorhanden sind, ist irrelevant, weil deren Informationen im Wasser "energetisch" gespeichert sind. In der molekularen Struktur von H2O werden Informationen wie auf einem Magnetband gespeichert. Auf diesem Memory-Effekt beruht die Homöopathie. Sie behandelt keine Krankheiten und Symptome, sondern den ganzen Menschen. Eine sanfte Medizin ohne Nebenwirkungen, betonen ihre Anhänger, die oft dort helfe, wenn die Schulmedizin versage - vor allem bei chronischen Leiden wie Heuschnupfen, Neurodermitis, Migräne oder Allergien.

Da sind die zahllosen Kritiker ganz anderer Meinung: Für sie ist die Homöopathie reine Glaubenssache, für die es keine wissenschaftlichen Beweise gibt. Forscher gehen davon aus, dass mögliche Erfolge ausschließlich auf einem Placeboeffekt beruhen. Placebos sind vorgetäuschte Behandlungen oder Scheinmedikamente, die wirken können. Schon die Vorstellung, dass man eine Arznei erhält, kann bei vielen Patienten einen Heilungseffekt bewirken.

David Klemperer, Vorsitzender des Deutschen Netzwerks evidenzbasierter Medizin, sieht in der Homöopathie den "puren Aberglauben". "Die Theorie ist mehr als abenteuerlich und hat in 200 Jahren nicht den kleinsten Krümel Evidenz gewonnen", sagt der Regensburger Sozialmediziner. Es gebe "null Belege", dass sie eine spezifische Wirkung habe, die über den Placeboeffekt hinausgehe. Allenfalls mag sie geeignet sein, so Klemperer, um eine positive Erwartungshaltung zu wecken. Er habe noch nie Globuli geschluckt, aber eine Tierärztin wollte sie seinem kranken Meerschweinchen verabreichen. "Ich habe dankend abgelehnt."

Der Markt für homöopathische Mittel in Deutschland ist relativ klein. Laut Pharma-Daten (2009) wurden 2008 in den Apotheken für 254 Millionen Euro Homöopathika verkauft - bei 23,7 Milliarden Euro Umsatz mit Arzneimitteln. "Es kann nicht am Geld liegen, den Kassen zu verbieten, Homöopathie zu bezahlen", ist Cornelia Bajic, Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), überzeugt.

Die Remscheider Ärztin für Psychotherapie rechnet vor, was Homöopathie die GKV kostet: Im vergangenen Jahr betrugen die Ausgaben 25 Millionen Euro - bei 28 Milliarden Euro Gesamtausgaben für Arzneien. Die ambulante Versorgung machte sieben Millionen Euro aus - bei 26 Milliarden Euro Gesamtausgaben in diesem Bereich.

"Homöopathie ist keine Illusion"

"Die Kosten, die die Homöopathie in der GKV verursacht, sind so minimal, dass wir mit ihrer Streichung das Gesundheitswesen nicht retten werden", so Bajic. Wenn es nicht ums Geld geht, worum dann? "Der alte Streit zwischen Gegnern und Befürwortern kocht hoch." Lauterbachs Vorstoß sei ein "netter Versuch, die Homöopathie zu diskreditieren, der aber vollkommen an der Sache vorbeigeht". Schließlich gebe es, so die Schulmedizinerin, viele Studien, die ihre Wirksamkeit eindeutig belegten. "Homöopathie ist kein Blödsinn - auch wenn wir nicht wissen, wie sie wirkt."

Wer hat nun recht? Für den Erfolg der Homöopathie scheint das unerheblich. Unbeeindruckt von medizinischer Skepsis, vertrauen sich immer mehr Hahnemanns Jüngern an. "Unser Nachweis sind schlicht und einfach die Patienten", sagt der homöopathische Arzt Wolfgang Springer aus München.

In der Branche ist man besorgt, dass Homöopathie zu stark ins Gerede kommt. Ralph Schmidt, Chef der Baden-Badener Firma Biologische Heilmittel Heel: "Homöopathie ist keine Illusion, Homöopathie wirkt." 2009 erwirtschaftete das Unternehmen rund 173 Millionen Euro. Weleda Deutschland machte 2009 einen Arzneimittelumsatz von 35,5 Millionen Euro. Davon wurden von den Kassen nur 100.000 Euro für homöopathische Mittel ersetzt, wie ein Sprecher sagt. Otto Cornelius, Vertriebsleiter bei Staufen-Pharma, sieht im Lauterbach-Vorstoß ein durchsichtiges Manöver, um vom Versagen in der Gesundheitspolitik abzulenken. "Vermutlich ist es das Ziel, die Homöopathie zu diskreditieren oder falsche Sparsamkeit zu wecken."

Auch der Gesundheitsexperte Gerd Glaeske kann über die Rationierung à la Lauterbach nur den Kopf schütteln. "Mir würden ganz andere Dinge zum Sparen einfallen als Homöopathie, etwa Generika." Für die GKV spiele die Homöopathie kaum eine Rolle, so der Bremer Professor. Zwar könne man Wahlleistungen abschaffen. "Aber man hat mit Homöopathie nicht ein Milliardenthema am Hals wie in anderen Bereichen der Arzneimittelversorgung."

Echte Globuli-Fans werden sich durch die Sommerloch-Debatte ohnehin nicht irritieren lassen. "Die Homöopathie widerspricht allen wissenschaftlichen Gesetzen", meint eine Esslingerin, die schon seit langem auf Echinacea (Sonnenhut) und Pulsatilla (Küchenschelle) schwört. "Aber sie funktioniert. Und das ist das Wichtigste."