Die WMF-Mitarbeiter inszenieren sich am 22. Mai dieses Jahres als die Leichen, über die KKR ihrer Meinung nach geht Foto: Leif Piechowski

Der Finanzinvestor KKR will durch Personalabbau beim Küchenausstatter WMF jährlich 30 Millionen einsparen. Die Geislinger Belegschaft geht auf die Barrikaden, die Stadt solidarisiert sich.

Geislingen an der Steige - Für gute Laune hat Geislingens Oberbürgermeister Wolfgang Amman dieser Tage wenig Anlass. Nicht nur wurde er Ende Juni überraschend aus seinem Amt gewählt, das er 16 Jahre lang bekleidet hat, auch drohen beim größten Arbeitgeber der Stadt massive Stellenkürzungen. Bei der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) arbeiten am Stammsitz in Geislingen rund 2000 Menschen. Die neue Unternehmensführung will 500 von ihnen binnen eines Jahres an die Luft setzen.

Trotz der ernüchternden Fakten verbreitet Amman in seinem Büro im zweiten Stock des Rathauses beste Laune – zunächst. Als das Gespräch auf den geplanten Stellenabbau kommt, senkt er die Stimme. „Das ist für uns als Stadt gleichermaßen schrecklich wie für die betroffenen Mitarbeiter und deren Familien“, sagt er. Und wird noch deutlicher: „WMF ist Geislingen und Geislingen ist WMF.“

Zwei Stockwerke tiefer, in der Fußgängerzone vor dem Rathaus, ist es mit der guten Laune dann endgültig vorbei. Unter einem roten Pavillonzelt mit IGMetall-Logo steht Gabriele Schranz. Die 59-Jährige arbeitet seit 41 Jahren in der Versandabteilung von WMF, die seit acht Jahren Prolog heißt und jetzt dichtmachen soll. „Wenn ich nächstes Jahr meine Stelle verliere, bin ich noch nicht rentenfähig und rutsche in Hartz IV“, sagt sie.

Ginge es nach dem neuen Eigentümer, dem US-amerikanischen Finanzinvestor Kohlberg Kravis Roberts (KKR), sollen von den bisher 33 Logistikstandorten der Prolog nach der Umstrukturierung nur noch zwei übrig bleiben. Einer in Nordrhein-Westfalen, einer im 20 Kilometer entfernten Dornstadt. Und: Nur sieben der 250 Prolog-Arbeitsplätze sollen von Geislingen nach Dornstadt umsiedeln. Die weiteren 250 Jobs, die in Geislingen gestrichen werden sollen, verteilen sich auf andere Unternehmensbereiche wie die Verwaltung oder die Galvanik – ehemals stolzes Herzstück der Besteckfertigung.

Am Mittwoch sind die Prolog-Mitarbeiter in den Warnstreik getreten. Auf einem Protestmarsch vom Tor 1 in die Innenstadt machten sie ihrem Ärger Luft. Betriebsrat und Vertreter der IG Metall haben sich dann mit der Unternehmensführung an den Verhandlungstisch gesetzt, um einen Sozialtarifvertrag auszuhandeln. Ob es zum Abschluss kommt, ist mehr als offen. Heute gehen die Beschäftigten der WMF-Tochter Silit im nahe gelegenen Riedlingen auf die Straße. Auch dort will der Investor KKR den Rotstift ansetzen.

In der Geislinger Fußgängerzone verteilt die IG Metall Flugblätter für eine weitere Protestkundgebung am Samstag vor dem WMF-Tor 1. Auch bei Geislinger Bäckereien, Friseuren oder Buchhändlern hängt der Aufruf im Schaufenster.

Jürgen Peters tut, was er kann, um die Katastrophe abzuwenden. Als freigestellter Betriebsrat arbeitet der 57-Jährige im Unternehmensbereich Kaffeemaschinen. Die Mitarbeiter dort plagen derzeit andere Sorgen: Die Automaten sind weltweit gefragt wie selten zuvor. Im abgelaufenen Geschäftsjahr erwirtschafteten die Geislinger in dieser Sparte ein Betriebsergebnis von 47,2 Millionen Euro. Bei einem Umsatz von 324 Millionen bedeutet das eine Rendite von 14,5 Prozent. Das kann sich sehen lassen.

Laut Peters werden in der Kaffeemaschinenproduktion die Flächen knapp, die Abteilung platzt aus allen Nähten. Auf ein klares Bekenntnis der Chefetage zu Investitionen – auch in neue Mitarbeiter – warten die Beschäftigten noch immer. „Und das, obwohl diese dringend nötig wären, um das Wachstum voranzutreiben“, sagt Peters.

Sollte der Stellenabbau in den anderen Sparten stattfinden, wird das auch auf andere Firmen im Ort durchschlagen. Geislingens OB Amman rechnet ungefähr mit dem Faktor drei, was die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze bei Zulieferern und Handwerksbetrieben im Ort anbelangt. „Das zieht sich durch die ganze Stadt“, sagt er. Auch städtische Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen wären betroffen. Amman: „Wenn 500 Menschen ihre Arbeit verlieren, ziehen sie möglicherweise von hier weg und es entstehen dort Überkapazitäten.“

Die geplanten Kürzungen kann in Geislingen auch deshalb niemand nachvollziehen, weil WMF gut dasteht. Mit dem Umsatz geht es seit 2006 stets bergauf. Im Jahr 2012 kletterte er erstmals über die Milliarden-Marke, die auch 2013 wieder überschritten wurde. Im Bereich der professionellen Kaffeemaschinen mauserte sich WMF gar zum Weltmarktführer. „Wenn man als Unternehmen weiter wachsen will, braucht man doch motivierte Mitarbeiter“ sagt Amman. „Und keine Kündigungswelle!“

Er erinnert sich: „Vor acht Jahren haben wir uns schon mal mit Trillerpfeifen vor Werktore gestellt, als der Automobilzulieferer Odelo sein Werk in Geislingen schließen wollte.“ Damals hat der Aufruhr etwas bewirkt: Odelo betreibt sein Werk bis heute. Die Hoffnung, dass ihre Proteste auch dieses Mal Wirkung zeigen, stirbt bei den Geislingern zuletzt.