Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Foto: dpa

Russland kündigt den KSE-Vertrag auf, der das militärische Gleichgewicht in Europa sichern soll. Die Nato reagiert mit Enttäuschung und Unverständnis.

Moskau/Warschau - Der Ton zwischen Moskau und dem Westen in Folge des Ukraine-Konflikts wird immer rauer. Russland hat mit sofortiger Wirkung die gemeinsame Kontrolle konventioneller Streitkräfte in Europa durch den seit Jahren von Moskau kritisierten KSE-Vertrag beendet.

Der Schritt hänge nicht mit den politischen Spannungen zwischen Russland und dem Westen in der Ukraine-Krise zusammen, sagte Michail Uljanow, Direktor für Rüstungskontrolle im russischen Außenministerium, der Agentur Tass zufolge. Im Ukraine-Konflikt hat der Westen Russland mit Sanktionen belegt, die Nato hat ihre Militärpräsenz in Osteuropa verstärkt.

Der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) zwischen der Nato und den Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts trat 1992 in Kraft und sollte das militärische Gleichgewicht sichern. Russland hatte den Vertrag bereits 2007 als Reaktion auf die von Moskau kritisierte Nato-Osterweiterung und die dadurch veränderte Lage seit dem Ende des Kalten Krieges ausgesetzt.

Stoltenberg: "Wir sind enttäuscht"

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kritisierte Russlands Austritt. "Wir sind enttäuscht (...), weil wir überzeugt sind, dass es wichtig ist, über die Kontrolle und Reduzierung von Waffen zu reden", sagte er bei einem Besuch des militärischen Hauptquartiers der Allianz in Mons in Belgien. Für die Nato sei die Vereinbarung wichtig.

Unterdesen bezeichnete Polens Regierungschefin Ewa Kopacz den Konflikt zwischen Moskau und dem Westen als die schwerwiegendste Krise der Sicherheit Europas seit dem Kalten Krieg.

Kopacz warnte vor einer falschen Einschätzung der Lage. "Es wäre naiv, diese Krise leicht zu nehmen", sagte sie am Dienstagabend im polnischen Fernsehen. Erstmals werde Blut vergossen "für die Europäische Union, für den Versuch einer EU-Integration". Wenn die Ukraine um eine Integration in den Westen kämpfe, bedeute dies, dass das Nachbarland hier eine Chance auf Entwicklung sehe, sagte Kopacz. "Diese souveräne Entscheidung muss respektiert werden. Gleichzeitig muss derjenige verurteilt werden, der diese Entscheidung nicht anerkennt."

Lawrow greift EU an

In seinem verbalen Rundumschlag warf Lawrow der Europäischen Union vor, eine Konfrontation zwischen Moskau und Brüssel zu schüren. Die EU tue so, als gäbe es keine Fortschritte bei der Umsetzung des Friedensplans für das Kriegsgebiet Ostukraine. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte zuvor bestätigt, dass Militär und prorussische Separatisten schwere Waffen von der Front abgezogen hätten. Lawrow beschuldigte die Führung in Kiew aber, den Friedensprozess zu verschleppen.

Aus London kam Kritik an der zunehmenden "russischen Aggression". Die rapide Aufrüstung Russlands sowie die zunehmend aggressive Haltung der russischen Militärs gäben "erheblichen Anlass zur Sorge", sagte der britische Außenminister Philip Hammond.

Der Nato unterstellte Lawrow eine Aufrüstung an den russischen Grenzen. Dies trage nicht zur Vertrauensbildung bei. Die USA hatten angekündigt, rund 3000 Soldaten zu Manövern ins Baltikum zu verlegen. Dies sei Teil einer Rotation zur Stärkung der Nato in der Region, sagte Pentagonsprecher Major James Brindle. Rund 750 Panzer und anderes schweres Gerät seien schon eingetroffen. Die Nato hält zudem im Schwarzen Meer ein Manöver mit deutscher Beteiligung ab.

Die Ukraine will trotz eines drohenden Staatsbankrotts im laufenden Jahr umgerechnet 566 Millionen Euro für neue Waffen ausgeben - und damit fast viermal so viel wie 2014. Das teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit. Der Krieg gegen Aufständische im Osten des Landes mache dies nötig, sagte Sprecherin Viktoria Kuschnir der Agentur Interfax.

Poroschenko warf den Separatisten wiederholte Verstöße gegen die vereinbarte Waffenruhe vor. Er gehe davon aus, dass das Parlament in Kiew bald über die mögliche Einladung von Friedenstruppen entscheide, sagte Poroschenko.

Die Nato informiert am Mittwoch über ihren Aktionsplan zur Stärkung der Sicherheit in den östlichen Mitgliedsstaaten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wird im Hauptquartier im belgischen Mons über Fortschritte unter anderem beim Aufbau der superschnellen Eingreiftruppe berichten. Diese "Speerspitze" soll vor allem der Abschreckung gegenüber Russland dienen.

Auch Polen betreibt militärische Vorsorge. Die Modernisierung der Streitkräfte, die Vorbereitung des Nato-Gipfels im Jahr 2016 und der Konflikt in der Ukraine stehen am Mittwoch im Mittelpunkt der Jahreskonferenz der polnischen Militärführung. Die Konferenz werde zweifellos "im Schatten der Ereignisse im Osten stehen", sagte Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak am Dienstagabend.