Er ist einer der großen europäischen Regisseure, der nicht nur in seiner Heimat Polen für Schlagzeilen sorgt: Am Freitag eröffnet Krzysztof Warlikowski mit „Elizabeth Costello“ das Europäische Theaterfestival des Stuttgarter Schauspiels. Mit dem Staatstheater verbindet ihn eine lange Geschichte, wie er im Interview erzählt.
Begehrt und ausgezeichnet: Zuletzt hat der 1962 in Stettin geborene Krzysztof Warlikowski für den „Idioten“ von Mieczysław Weinberg den Preis für die beste Opern-Inszenierung der Salzburger Festspiele 2024 erhalten. In jüngster Zeit gastierte der renommierte Regisseur auch zweimal in Stuttgart – und jetzt hebt er hier, wo vor mehr als zwei Jahrzehnten seine internationale Karriere begann, mit der Dramatisierung eines Texts von J. M. Coetzee das Festival „Achtung, Freiheit!“ aus der Taufe.
Herr Warlikowski, wie gehen Sie mit dem erzählerisch-essayistischen Roman „Elizabeth Costello“ um?
Coetzees Text kommt meiner theatralen Arbeitsweise entgegen. Theater ist für mich ein offenes Feld, das immer wieder neu definiert werden muss. Seit einiger Zeit bringe ich fragmentierte Texte auf die Bühne, Montagen aus diversen literarischen Quellen. Dieses Muster ist „Elizabeth Costello“ bereits eingeschrieben: Coetzee schildert, wie die fiktive australische Romanautorin Einladungen aus der ganzen Welt nutzt, um als Gastrednerin polarisierende Thesen zu verbreiten. Hinzu kommen reale Elemente, etwa Begegnungen mit lebenden Schriftstellern sowie Debatten, die Coetzee tatsächlich geführt hat. Als sein Alter Ego, hinter dem er sich versteckt, um Thesen durchzuspielen, kommt Elizabeth in mehreren seiner Romane vor . . .
. . . und in fünf Ihrer Inszenierungen. Was fasziniert Sie an der Figur?
Ihre Reden widmen sich den großen Menschheitsthemen, sie sind durchzogen von der Frage nach dem Bösen oder dem Respekt vorm Leben. Als Außenseiterin provoziert sie, etwa wenn sie unseren industriellen Umgang mit Tieren – Massenhaltung, Schlachthöfe – mit dem Holocaust vergleicht. Ein Affront! Durch diesen ständigen Flirt mit dem Unmöglichen entsteht eine Art von Störung, die uns auf unbekanntes Terrain führt. Costellos radikale Freiheit im Denken ist für mich eine nie versiegende Quelle der Inspiration.
Inwiefern entfaltet diese Figur theatralische Kraft?
Mit meinem dreizehnköpfigen Ensemble zeige ich Elizabeth auch in ihrer Existenz als Liebhaberin, Mutter, Schriftstellerin. Sechs Schauspielerinnen unterschiedlichen Alters und ein Mann verkörpern diese schillernde Figur. Wir folgen ihr nach Afrika, in die Antarktis und nach Amsterdam. Ein klassisch kohärentes Drama wird unsere Inszenierung nicht, aber was ich versprechen kann, ist eine starke Bildsprache mit unerwarteten fantastischen, absurden und sinnlichen Szenen, die in Elizabeths Alltag einbrechen.
In Stuttgart haben Sie 1999 zum ersten Mal überhaupt im deutschsprachigen Raum inszeniert. Wie kam es dazu?
Als 1989/90 die Regimes in Osteuropa zusammenfielen, begann eine Zeit der schier grenzenlosen Freiheit, nicht nur für Künstler in Polen, sondern auch in Nachbarländern. Im Westen war das Interesse an ihnen groß, man erhoffte sich neue Ästhetiken und neue Sichtweisen. Einige der Künstler wurden zu internationalen Stars. Auf mich wurde man beim Avignon-Festival aufmerksam, aber auch in Stuttgart, wo der Intendant Friedrich Schirmer immer auf der Suche nach neuen künstlerischen Handschriften war. Ich habe hier dann zweimal Shakespeare inszeniert: 1999 „Was ihr wollt“ und 2000 den „Sturm“. 2019 war meine Inszenierung von Glucks „Iphigénie“ an der Staatsoper zu sehen, 2022 gastierten wir mit „Odyssey. A Story for Hollywood“ am Schauspiel. Meine Verbindung zu Stuttgart und zu seinem Publikum ist also eine lange und positive.
In Polen sind Sie dann selbst Intendant geworden. Seit 2008 leiten Sie das Nowy Teatr in Warschau, das nicht nur von der abgewählten PiS-Partei von Jaroslaw Kaczynski angefeindet wurde. Woran hat man Anstoß genommen?
An der Freiheit, die wir uns nahmen. Die katholische Kirche ist in Polen sehr stark, ebenso der Patriotismus, der von rechten Kräften gerade in der Kunst eingefordert wird. Als wir im Nowy Teatr anfingen, mussten wir mit unseren liberalen Vorstellungen auf eine Mission impossible gehen. Aber: Wir konnten religiös-politischen Angriffen immer standhalten. Bis heute setzen wir uns mit Themen wie Sexualität, Identität, Frauenrechten auseinander, also mit allem, was auch einen Donald Trump stört – die Triggerpunkte für einen Kulturkampf ähneln sich weltweit. Im Gegensatz dazu gewann die progressive Bewegung, die auch im Nowy Teatr eine Heimat fand, trotz der Angriffe in Polen an Stärke.
Tobt unter Donald Tusk der Kulturkampf noch immer so heftig?
Es gibt keine Zensur mehr wie regelmäßig unter der vorigen Regierung. Die Rechten wissen, wie man mit Kunst und Kultur traditionelle Werte propagiert, nationalistische, homophobe, frauenfeindliche. Dieses Wissen – auch das eine weltweite Tendenz – hat die politische Rechte den Liberalen voraus. Gezielt nutzt sie Kultur und Bildung, um gehorsame Soldaten heranzuziehen. Aber wir im Theater kennen unsere Kraft natürlich auch, nur verfolgen wir mit damit keine reaktionären Ziele…
Glauben Sie denn noch ungebrochen an Kunst und Kultur?
Schauen Sie sich die Stadtpläne des antiken Athen oder Rom an, was sehen Sie da? Foren, Tempel, Hospitäler – und Theater. Danach war die Bühnenkunst ein Jahrtausend lang verschwunden, bevor sie in der Renaissance ihr Comeback hatte, weil von ihr wieder eine enorme Bedeutung ausging. Das ist bis heute so. Und das geht so weit, dass Theater die Rolle des christlichen Humanismus, dessen Einfluss schwindet, übernimmt: Kunst und Kultur als Religion unserer Zeit.
Das Programm des Europäischen Theaterfestivals im Staatstheater
Neues Festival
„Achtung, Freiheit!“ läuft vom 21. bis 28. März. Das Schauspiel Stuttgart stellt die Freiheit der Kunst ins Zentrum. Der Schwerpunkt der ersten Ausgabe ist Osteuropa, wo Kunst und Pressefreiheit besonders heftig angegriffen werden. Wo sie aber auch, wie etwa in Polen, immer wieder neu verteidigt wird. Durch die Einladung und Präsentation von osteuropäischen Theaterschaffenden soll ein Raum für Austausch etwa über die künstlerischen Handlungsmöglichkeiten und die brennenden Fragen unserer Zeit geschaffen werden. Gezeigt werden insgesamt fünf Gastspiele und eine Eigenproduktion.
Auftakt
Krzysztof Warlikowski zeigt an diesem Freitag und Samstag, 21. und 22. März, „Elizabeth Costello“.
Ukraine und Tschechien
Am 22. März wird „Willkommen am Ende der Welt“ der Ukrainerin Maryna Smilianets uraufgeführt. Darin wird ein Karaoke-Café zum Schutzraum. Am 24. und 25. März sind zwei Inszenierungen von Dušan David Pařízek aus Prag zu Gast: „Im Westen nichts Neues / Grüne Korridore“, ein Diptychon aus Remarque und einem Text von Natalka Vorozhbyt. Ebenfalls aus Prag: „Moskoviáda“ nach Juri Andruchowytsch am 25. März. Zum Finale: zwei Gastspiele aus Kiew: am 26. März „Buna“, am 27. März „Die Hexe von Konotop“.
Alle Infos
unter www.schauspiel-stuttgart.de