Die koratischen Fans haben am Samstagabend auf der Theodor-Heuss-Straße gefeiert. Vermummte zündeten leuchtende Pyros, hatten aber gegen die jubelnde Menge keine Chance. Foto: Andreas Rosar Fotoagentur-Stuttgart

Nur kurz sind am Samstagnacht vermummte Chaoten bei der WM-Feier tausender kroatischer Fans auf der Theodor-Heuss-Straße in den Mittelpunkt gerückt. Die friedlich feiernden Fans boten ihnen Paroli. Auch die Polizei war gut vorbereitet.

Stuttgart - Die Polizei war vorbereitet, mit zusätzlichen Beamten. Und schon eine halbe Stunde vor Spielbeginn war die Theodor-Heuss-Straße von der Willi-Bleicher-Straße aufwärts bis zum Rotebühlplatz gesperrt: „Zum Ende des Spiels werden wir zum Schutz der Fußgänger auch abwärts sperren“, sagt der Dienstgruppenleiter vom Polizeirevier 1 mit Beginn der zweiten Halbzeit. Besondere Vorkommnisse bis dato? „Keine, nur ein bisschen Pyrotechnik beim ersten Tor der kroatischen Mannschaft.“ Er steht am Eingang der Fan-Meile, deren Epizentrum sich hundert Meter weiter oben befindet, bei der Topas-Bar.

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Keine Chance, hier noch durchzukommen oder gar einen Platz zu ergattern, nicht einmal einen Stehplatz! Dichter geht nicht, mehr passen einfach nicht vor die Leinwand, die am Rande der Theodor-Heuss-Straße installiert ist. Also hilft sich der Rest, der mindestens Hunderte zählt, mit den Außen-Bildschirmen angrenzender Lokale. Oder steht am noch offenen Rand, wie Luca. Der bleibt seelenruhig mit seinem Bier, als in der 69. Spielminute die Aufregung hochschäumt. Gibt es jetzt etwa Elfmeter für die Kroaten? „Keine Ahnung! Ich sehe hier nichts. Ich freue mich, wenn die Anderen sich freuen.“ „Luka, Luka!“ tönen nun die rhythmischen Anfeuerungsrufe. Sie gelten Luka Modric, dem Real Madrid-Star der Kroaten, der sich offensichtlich den Ball auf den Elfmeterpunkt gelegt hat. Und plötzlich ein kollektiver Jubelschrei, der die Trommelfelle mit Höchstfrequenz erschüttert: Die Kroaten müssen erhöht haben, und es wogt ein hüpfendes Meer aus rot-weiß karierten Shirts.

Hardcore-Fans oder schon mehr?

Auf der Straße ein heftiger Donnerknall und leuchtende Pyros. Was wie ein Freudentänzchen aussieht, wird aber plötzlich unheimlich, und die im Jubel hüpfende Masse mit einzelnen Fahnen weicht zurück: Sind das Hardcore-Fans in der Mitte oder schon mehr? Nach überschäumender Südkurve sieht das nicht mehr aus, denn dieses Spektakel wird von fünf Vermummten in düsteren Stoffmasken inszeniert. Sie schwenken flammende Pyrotechnik, hüpfen mal wild im Zentrum, mal nahe an den zurückweichenden Rand heran. Und mehrfach gehen XXL-Knaller hoch, die mehr Schrecken als Freude verursachen. Momente, in denen eine Eskalation in der Luft liegt, bei der man sich die Polizisten näher wünschen könnte.

Doch dann ertönen, wie von einem unsichtbaren Dirigenten ins Werk gesetzt, plötzlich wieder fußballerische Schlachtgesänge: „Malo vas je, malo vas pi*kice“, was Marija zwar gerne aufschreibt, aber ungern wörtlich übersetzt: „Das ist sehr unanständig, als Frau möchte ich das nicht sagen!“ Also umschreibt sie den „Sinn“: „Hier sind keine Feiglinge, weil wir allen Angst machen.“ Lucia aber stellt klar: „Eigentlich heißt das hier jetzt nur: Heute feiern wir, heute singen wir! Hier muss niemand Angst haben!“

„Diese Idioten brauchen wir nicht!“

Oder nur kurz, als der ekstatische Jubel zum Schlusspfiff die Umgebung vibrieren lässt, denn jetzt tauchen wie aus dem Nichts wieder die Vermummten auf, zündeln und knallen – haben nun aber keine Chance, denn die Masse tausender jubelnder und tanzender Fans drängt im kollektiven Schulterschluss unaufhaltbar als homogene Menge auf die Straße, und die Vermummten scheinen mit einem Mal wie vom Erdboden verschluckt: „Diese Idioten brauchen wir nicht! Nicht im Stadion, und schon gar nicht hier!“ schreit Zeljko aus vollem Hals. Nur so ist er nach mehrfachem Anlauf überhaupt einigermaßen verstehbar.

Der Mann aus Esslingen, 42, mit Frau und den beiden Töchtern hier, wird noch wertvoller werden: als Übersetzer! Denn jetzt greifen die Fans, die geschätzt mindestens eine zwei Fußballfelder große, dichte Jubelmenge ausmachen, tief in die Liederkiste ihres Herkunftslandes. Oder das ihrer Eltern: „Ich bin hier geboren, ich habe zwei Herzen in meiner Brust. Und beide schlagen kräftig!“, betont Zeljko. „Thompson, ljepa li si!“ tönt nun die ganze Straße als Massenchor, „wie bist du schön!“, und rauf und runter werden wie in Endlosschleife alle Landesteile Kroatiens besungen: „Dalmatien, Dein Meer! Eine Liebe und wir Zwei!“

Besser als in Stuttgart können Kroaten nirgends feiern

Das sei „viel besser als Autocorso“, triumphiert Marko, der mit Freunden extra aus Ravensburg gekommen ist und nachher im Hostel nächtigt. Das Bett aber muss noch ein bisschen warten, jetzt werden die Stimmbänder weiter auf Leistungsfähigkeit getestet: „Stuttgart ist cool, besser können Kroaten nirgends feiern. Toll, dass die Stadt das erlaubt und die Straße sperrt!“ Ist zwar die Polizei, aber das ist auch egal. Denn so wird die Heuss-Straße zur kroatischen Schlagerarena.

Längst hätte der Übersetzer ein Getränk verdient! Stattdessen spendiert er selbst eine Runde. Und träumt im Völkerverständigungsrausch vom „Traumfinale“: „Deutschland gegen Kroatien!“ Er will sich aber nicht festlegen mit einem Tipp: „Sie wissen, die zwei Herzen! Alle sind Sieger!“ Und nun geht es im Massenchor die Adria-Küste rauf und runter: „Wasser, Meer und heiße Nächte!“ tönt es – und erst gegen Mitternacht bröckelt es an den Rändern. „Alles friedlich“, sagt der Polizist aus dem Dutzend seiner Kolleginnen und Kollegen. Und weithin tönt das „Dal-ma-tio-o-ooo!“ Wie hatte doch Robert gesagt? „Morgen gegen Mexiko wollen wir das bei Euch auch so sehen! Dann singen wir vielleicht mit!“ Mal schauen, ob es was zu jubeln gibt. Vielleicht geht es dann ja an die Nordseeküste, musikalisch. Oder wenigstens an den Bodensee. Aber der Eckensee wäre auch nicht weit. Und er liegt sogar an der Oper!