Mit dem Einzug ins WM-Finale gelingt dem kleinen Kroatien, was das große Jugoslawien nie geschafft hat.
Zagreb - Eigentlich hat professioneller Fußball in den Nachfolgestaaten des zerfallenen Jugoslawien keine Chance. Baufällige Stadien, leere Ränge, nationalistische Hooligan-Exzesse, Mafia-Machenschaften in den Vereinen und Fußballverbänden: Nur als unerschöpfliche Talentschmieden genießen die ex-jugoslawischen Clubs in Europa einen ausgezeichneten Ruf. Was dem großen Jugoslawien nie gelang, ist dennoch nun dem kleinen Kroatien geglückt: Erstmals steht ein ex-jugoslawischer Staat in einem WM-Finale.
Während als größte WM-Erfolge Jugoslawiens jeweils ein vierter Platz bei der WM 1930 in Uruguay und 1962 in Chile zu Buche standen, sind mittlerweile meist zwei, manchmal auch drei ex-jugoslawische Teams für jedes Großturnier qualifiziert. Nach dem dritten Platz bei der WM 1998 in Frankreich könnten Kroatiens „Feurige“ nun selbst zum Titel greifen. Wie ist diese widersprüchliche Entwicklung zu erklären? Der jugoslawische Fußball sei schon in den 80er Jahren durch ähnliche Phasen wie der brüchige Völkerstaat gegangen, sagt der Belgrader Anthropologe Ivan Djordjevic. Dennoch stand der von staatlichen Firmen gesponserte Fußball am Vorabend der Jugoslawienkriege in voller Blüte. Da Profifußballer bis Anfang der 90er Jahre erst ab 28 Jahre ins Ausland wechseln durften, konnten die Stars lange in den Klubs gehalten werden.
Auf den Tribünen ging es schon in den 80er Jahren gewalttätig zu
Gleichzeitig verfügten die Großvereine über eine Finanzkraft, die sich durchaus mit der von Westvereinen messen lassen konnte. So blätterte Roter Stern Belgrad 1990 für Sinisa Mihajlovic Vojvodina Novi Sad eine Ablösesumme von einer Million DM hin – damals auch im Westen eine stolze Summe. Ein Jahr später gewann der Klub den Europa- und Weltpokal: Der jugoslawische Fußball war an seinem Höhe- und Endpunkt angelangt.
Auf den Tribünen ging es schon in den 80er Jahren gewalttätig zu. Der erstarkende Nationalismus spiegelte sich in der Gründung nationalistischer Hooligan-Gruppen wie die „Bad Blue Boys“ (Dinamo Zagreb), „Torcida“ (Hajduk Split), „Delije“ (Roter Stern) oder die „Grobari“ (Partizan) wider. Die wüsten Prügelszenen im Zagreber Maksimir-Stadion beim Gastspiel von Roter Stern 1990 werden in Kroatien heute gerne zur Ouvertüre der Jugoslawien-Kriege stilisiert. Fakt ist, dass die Wurzeln der heutigen Hooligan-Gewalt bis in die 80er Jahre zurückgehen – und durch die Kriege der 90er Jahre verstärkt wurden. Fußballschläger kämpften in den Kriegen auf allen Seiten: Nicht nur bei Roter Stern wurden Hooligans für Milizen wie die berüchtigten Arkan Tiger rekrutiert. Gedankenspiele über eine ex-jugoslawische Balkan-Liga werden wegen der Fan-Gewalt immer wieder verworfen: Auch 27 Jahre nach Beginn der Jugoslawienkriege ist eine gemeinsame Fußballliga noch immer unvorstellbar.
Die Nationalteams sind stärker als zu jugoslawischen Zeiten
Wegen der UN-Sanktionen musste das bereits qualifizierte Jugoslawien seinen Startplatz für die EM 1992 dem späteren Europameister Dänemark überlassen. Sportlich sollten die Sanktionen auch die bis 1994 für die Uefa-Wettbewerbe gesperrten Klubs der Kriegsgegner weit zurückwerfen: Die meisten ihrer Punkte für die Fünfjahreswertung gingen verloren. Nimmersatte „Sponsoren“ begannen, die Vereine auszusaugen und mit schwarzen Transfers Kasse zu machen. Der Fußball in der Region wurde in den 90er Jahren zunehmend von kriminellen Kreisen und nationalistischen Politikern instrumentalisiert - fatale Fehlentwicklungen, an denen der Vereinsfußball der Region bis heute krankt.
In Kroatien hatte der Staatsgründer Franjo Tudjman schon früh das Wohl- und Wehe des Nationalteams zur nationalen Sache erklärt. Fußballsiege formten die nationale Identität genauso wie Kriege, so die These des Präsidenten: Er forcierte den bis heute sehr starken Kult um die Nationalelf Vertreter des „ursprünglichen und aufrechten Kroatentums“.
Die Nachfolgestaaten sind kleiner, ihre Ligen schwächer, aber ihre Nationalteams dennoch stärker als zu jugoslawischen Zeiten. Die widersprüchliche Entwicklung ist auch den Folgen des sogenannten Bosman-Urteils von 1995 zu verdanken. Trotz des Fehlens starker Ligen erleichterte die Öffnung der Spielermärkte den ex-jugoslawischen Kickern, sich in Europas westeuropäischen Spitzenclubs zu beweisen. Die durch Kriege und Dauerkrise verstärkte Emigration hat die Söhne von Gastarbeitern und Flüchtlingen direkt in den Wirkungskreis der Scouts im Westen befördert. Von deren besseren Ausbildung profitieren nicht nur deren neue Heimat-, sondern auch deren Ursprungsländer.