Zum Wogenglätten bleibt Kretschmann nicht mehr viel Zeit: Vom 21. bis 23. November ist der Bundesparteitag der Grünen in Hamburg. Foto: dpa

Mit seinem Asylrechtsvotum im Bundesrat hat der Landeschef Teile seiner Partei verärgert. Beim Bundesparteitag vom 21. bis 23. November in Hamburg könnte Kretsch­mann Frust und Ärger darüber entgegenschlagen - auch wenn er von einer „auch persönlich schwierigen Entscheidung“ gesprochen hatte.

Berlin - Erst das Land, dann die Partei. Nach dieser Devise handelte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, wie so häufig, auch bei der vergangenen Sitzung des Bundesrates vor der Sommerpause. Kretschmann hatte es im Namen seiner grün-roten Landesregierung doch tatsächlich gewagt, für eine Verschärfung des Asylrechts zu stimmen. Serbien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro wurden dadurch mit Kretschmanns Zustimmung wieder zu „sicheren Drittstaaten“. Flüchtlinge aus diesen Ländern können künftig leichter dorthin abgeschoben werden.

Beim Landesparteitag an diesem Wochenende werden sie Kretschmann womöglich noch etwas schonen, der Landesverband im Südwesten ist fest in Realo-Hand. Doch schon beim Bundesparteitag vom 21. bis 23. November in Hamburg könnte Kretschmann Frust und Ärger über das Asyl-Votum Baden-Württembergs entgegenschlagen. Auch wenn er von einer „auch für mich persönlich schwierigen Entscheidung“ gesprochen hatte.

Viele Grüne haben dem Realo Kretschmann diesen Schwenk gegen die Parteilinie nicht vergessen. „Es wird kritische Töne geben“, ahnen führende Landes-Grüne. Zwar sollen Parteikollegen in anderen Bundesländern das Votum von Kretschmann insgeheim gutheißen, obwohl sie selbst im Bundesrat nicht mitzogen. Aber es handelt sich beim Asylrecht um ein emotional aufgeladenes Thema, das das „grüne Herz“ bewegt, wie Landeschef Oliver Hildenbrand sagt. Es liegen dem Bundesparteitag Anträge vor, in denen deutlicher Unmut und Unverständnis über Kretschmanns Votum geäußert wird.

Physische Attacken auf Kretschmann wie einst auf Joschka Fischer, der beim Sonderparteitag in Bielefeld 1999 einen Farbbeutel abbekam – es ging damals um die deutsche Beteiligung am Militäreinsatz im Kosovo –, schließen die Südwest-Grünen allerdings aus. „Aus dem Stadium ist die grüne Debatte schon lange raus“, glaubt man in Stuttgart – und hofft auf einen respektvollen Umgang miteinander in Hamburg.

In Berlin schütteln Spitzen-Grüne allerdings bis heute den Kopf über Kretschmann. Claudia Roth zum Beispiel, lange Parteichefin und heute Bundestagsvizepräsidentin, die sich seit ihrem Eintritt bei den Grünen für Flüchtlinge einsetzt. Roth war außer sich. „Ein schlechter Tag für die Grünen“ sei das und ein „rabenschwarzer Tag“ für das Grundrecht auf Asyl. Viele Grüne halten Kretschmann schlicht Verrat an einem zentralen Parteiziel vor.

Die Distanz zu Kretschmann in Berlin ist merklich gewachsen. Erst waren sie in der Hauptstadt stolz wie Bolle über den ersten Ministerpräsidenten, den die Grünen in ihren 34 Jahren Parteigeschichte stellen konnten. Noch dazu in einem Stammland der CDU. Doch nun müssen sie erleben, dass Regierungsgrüne mitunter anders handeln, als es großen Teilen der Partei gefällt. Die Co-Vorsitzende Simone Peter, eine Parteilinke, ist bis heute entsetzt über Kretschmanns Asylwende.

Die Führungsfigur im Hintergrund, Ex-Fraktionschef Jürgen Trittin, nannte Baden-Württemberg in einem „Spiegel“-Gespräch ein „Waziristan der Grünen“ (Waziristan gilt eigentlich als Rückzugsort der pakistanischen Taliban). Die Reaktion war entsprechend. Angeblich war das Zitat nicht autorisiert – in der Welt war es trotzdem. Die Spitze der Bundestagsfraktion in Person Katrin Göring-Eckardts war um Haltung bemüht, zugleich aber auch wegen Kretschmanns Asylentscheidung verschnupft. „Ich halte sie für falsch. Ich bedauere sie auch. Ich respektiere aber auch, dass einzelne Bundesländer zu einer anderen Entscheidung kommen als ich oder wir“, hatte sie es diplomatisch auszudrücken versucht.

Vor dem Bundesparteitag in Hamburg sollen die Gräben noch so weit wie möglich geschlossen werden. Prominente Bundes- und Landespolitiker fordern in einem Antrag ein Ende der gegenseitigen Attacken von Linken und Realos, von Grünen in den Ländern und Grünen im Bund. Zumindest unterschrieben haben viele: von Trittin bis hin zu Oberrealos aus dem Südwesten wie Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer.