Von München fährt bereits ein Sprinter nach Berlin, demnächst soll auch Stuttgart folgen. Foto: dpa

Die Bahn setzt auf Hochgeschwindigkeit. Doch auf der eingleisigen Strecke der Murrbahn droht der Nahverkehr unter die Räder zu geraten.

Ab Dezember 2025 soll er rollen: der neue ICE‑Sprinter zwischen Stuttgart und Berlin. Mit einer Reisezeit von vier Stunden 45 Minuten so schnell wie nie zuvor. Möglich wird das durch eine neue Strecke über die Murrbahn. Doch was für die Bahn nach Effizienz klingt, ist für die Region ein Schock: Nun äußert auch die Interessengemeinschaft Schienenkorridor Stuttgart–Nürnberg deutliche Kritik. In einem offenen Brief, unterzeichnet unter anderem von den Landräten Gerhard Bauer (Schwäbisch Hall) und Joachim Bläse (Ostalbkreis), fordert sie eine Bahnstrategie, „die nicht zwischen Metropole und Provinz unterscheidet – sondern beides verbindet“.

 

Nach Ansicht der IG gefährdet der neue ICE gleich zwei bestehende Verkehrsadern: den Nahverkehr auf der Murrbahn und die IC‑Linie 61 über die Remsbahn. Zwischen Stuttgart und Berlin soll der Sprinter künftig eine Stunde schneller sein, doch ohne Halt zwischen Stuttgart und Nürnberg. Für die Bahn ist das ein Prestigeprojekt, für die ländliche Region ein Signal, dass falsche Prioritäten gesetzt werden.

Droht der Region die Ausbremsung im Nahverkehr?

Der ICE‑Sprinter soll durch die Region „durchdonnern“ und dabei auf einer eingleisigen Strecke Vorrang genießen. Das aber bedeutet: Regionalzüge müssen zurückstehen. Die IG warnt vor Verzögerungen, etwa bis zu zehn Minuten beim RE 90 zwischen Stuttgart und Nürnberg im morgendlichen Berufsverkehr.

Die Landräte Gerhard Bauer (Schwäbisch Hall, links) und Joachim Bläse (Ostalbkreis) warnen vor negativen Auswirkungen des Sprinters für die Region. Foto: Landratsamt

Die Gemeinschaft spricht von einer „strukturellen Benachteiligung der Pendlerinnen und Pendler“. Rund 10 000 Menschen nutzen täglich die Murrbahn für Arbeit, Schule oder Studium. Sie alle sollen künftig zurückstecken, damit ein Fernzug schneller ans Ziel kommt. Schon heute gilt zwischen Backnang und Schwäbisch Hall‑Hessental: Einer fährt, der andere wartet. Mit einem zusätzlich fahrenden ICE droht fortwährender Stau auf den Schienen.

Kein ICE-Halt für die Mittelzentren

Backnang, Murrhardt, Schwäbisch Hall, Crailsheim – keiner dieser Orte erhält einen ICE‑Haltepunkt, doch alle müssen unter dessen Auswirkungen leiden. Für Pendelnde, Studierende und Unternehmen würde das einen Rückschritt bedeuten. „Wenn Hochgeschwindigkeitszüge den Nahverkehr ausbremsen, dann fährt die Verkehrswende ins Abseits“, lautet der Tenor der IG.

Dabei wäre ein Halt in Backnang, der selbst ernannten Murrmetropole, ein besonders logischer Knotenpunkt zwischen S‑Bahn, Regionalexpress und Fernverkehr. „Wer ICE‑Züge durchs Murrtal schickt, darf nicht an der Region vorbeifahren“, mahnt der grüne Landtagsabgeordnete Ralf Nentwich. „Backnang braucht den ICE‑Halt – und die Murrbahn endlich ihr zweites Gleis.“

Intercity-Verbindungen in der Gefahr

Gleichzeitig droht eine existenzielle Gefahr für die IC‑Linie über Schwäbisch Gmünd, Aalen, Ellwangen und Crailsheim — bislang ein wichtiger Garant für überregionale Anbindung. Schon heute gilt diese Verbindung als fragil und oft gefährdet durch Einsparpläne der Bahn. Wird nun ein noch schnellerer ICE parallel geführt, könnte die IC‑Strecke bald als unrentabel gelten und gestrichen werden.

Die IG mahnt: Immer wenn die Deutsche Bahn Premiumangebote auf Hauptachsen ausbaut, geraten parallele Linien in Bedrängnis. Die IC-Verbindung über Rems- und Obere Jagstbahn sichert laut IG nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die Attraktivität der Städte entlang der Strecke. Ein Wegfall wäre ein „fataler Rückschritt für den gesamten Ostalb‑ und Rems‑Murr‑Raum“. Auch CDU‑Abgeordnete wie Inge Gräßle und Christina Stumpp haben in einem Brief an Bahnvorständin Evelyn Palla und Verkehrsminister Patrick Schnieder appelliert: Der Fernverkehr dürfe nicht vom Land abgehängt werden.

Die zentralen Forderungen der IG:

  • Kein Ausbremsen des Nahverkehrs: Solange die Murrbahn nicht zweigleisig ausgebaut ist, darf der ICE‑Sprinter den Regionalverkehr nicht stören.
  • Sicherung der IC‑Linie: Die Verbindung über Rems‑ und Obere Jagstbahn müsse erhalten und gestärkt werden – mit verlässlichem Takt und attraktiven Reisezeiten.
  • Infrastrukturausbau: Beide Achsen – Murrbahn wie Remsbahn – müssten technisch und logistisch ertüchtigt werden. Priorität habe der zweigleisige Ausbau der Murrbahn, dazu digitale Leit‑ und Sicherungstechnik auf der Remsbahn.

Die IG bekommt Rückhalt aus allen Richtungen. Der Landtagsabgeordnete Nentwich spricht gar von einem „Schulterschluss aller Nachbarwahlkreise“ — von Backnang bis Schwäbisch Hall. Gemeinsam wolle man Druck machen, damit der Ausbau nicht länger Vertröstung bleibt. „Unsere Region hat Anspruch auf Zukunft, nicht auf Stillstand“, so sein Credo. Er fordert: „Der Bund muss endlich Farbe bekennen: Ausbau jetzt statt Ausreden.“

Ein ICE für wenige – wie stehen die Weichen für alle?

Die Bahn dürfe nicht zur „Rennstrecke für wenige auf Kosten vieler“ werden, so warnt die IG. Der neue ICE‑Sprinter dürfe kein trojanisches Pferd sein, das die Region eher schwächt, als sie zu verbinden.

„Wir stehen bereit für einen Dialog“, betonen Bauer und Bläse. Die IG wolle nicht blockieren, sondern mitgestalten. Doch das setzt keine Hochglanzprospekte voraus, sondern klare Weichenstellungen: für Ausbau statt Abbau, für Erreichbarkeit statt Abkopplung – für eine Bahn, die alle mitnimmt.