Gerade im Grenzgebiet der Schweiz und Deutschlands werden die Verhandlungen über das EU-Abkommen mit den Eidgenossen besonders aufmerksam verfolgt. Foto: dpa

Die Verhandlungen über das Rahmenabkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz befinden sich in der Endphase. Nun mahnen Abgeordnete, nichts zu überstürzen, um einen erfolgreichen Abschluss nicht zu gefährden.

BERLIN - Mit der rund 400 Kilometer langen gemeinsamen Grenze und einem Exportvolumen, das mit 15 Milliarden Euro den Ausfuhren nach China entspricht, hat der Südwesten größtes Interesse an gut funktionierenden Beziehungen mit den eidgenössischen Nachbarn. „Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit der Schweiz ist für Baden-Württemberg von herausragender Bedeutung“, sagt der Stuttgarter Europaminister Guido Wolf mit Blick auf die Verflechtungen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Verkehr, Kultur und Bildung sowie den regen Warenaustausch: „Für Baden-Württemberg ist es daher wichtig, dass es rasch zu einer Einigung kommt und der Rahmenvertrag so bald wie möglich abgeschlossen wird.“

Hintergrund der laufenden Verhandlungen über dieses sogenannte Rahmenabkommen ist der Wust von mehr als 120 bilateralen Einzelverträgen, die die Schweiz über die Jahre mit der EU geschlossen hat. Diese enthalten zum Teil sogenannte Guillotine-Klauseln, wodurch auch andere Abkommen unwirksam werden können, wenn eines gekündigt wird – das hätte der Fall sein können, nachdem die Schweizer im Februar 2014 in einer Volksabstimmung Ja zur„Masseneinwanderungsinitiative“ sagten, mit der das Abkommen zur Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und den EU-Staaten infrage gestellt wurde. Dies war der Zeitpunkt, an dem es die Gemeinschaft für nötig hielt, den Beziehungen zur Eidgenossenschaft einen verbindlicheren institutionellen Rahmen zu geben. Die Verhandlungsteams aus Bern und Brüssel legten schließlich Ende vergangenen Jahres einen Vertragsentwurf auf den Tisch, über den es jetzt zu einem erbitterten Streit gekommen ist.

Ende vergangener Woche hat der Schweizer Bundesrat eine Unterzeichnung vorerst abgelehnt und Nachbesserungen gefordert, weil es laut einem internen Bericht des Auswärtigen Amtes „Skepsis und Ablehnung bei fast allen politischen Kräften“ gegenüber dem EU-Abkommen gibt. Es wird weithin als nicht akzeptable neue Voraussetzung für einen Verbleib im europäischen Binnenmarkt gesehen, da Sozialleistungen für EU-Bürger erhöht, EU-Richtlinien quasi automatisch übernommen oder Schweizer Fluggesellschaften der Brüsseler Wettbewerbskontrolle unterworfen werden sollen – die Rechtspartei SVP spricht von einem „Kolonialvertrag“. Doch auch die Schweiz will etwas von der EU, etwa die Gleichstellung der Züricher Börse mit den Handelsplätzen in der Gemeinschaft, die von Brüsseler Seite im Zuge der Verhandlungen nur bis Ende Juni verlängert wurde. Um eine erneute Verlängerung zu bewilligen, soll die EU-Kommission nun von Schweizer Seite bis Dienstag eine feste Zusage verlangt haben, dass im Oktober unterzeichnet wird – unmittelbar nach den eidgenössischen Wahlen und kurz vor dem offiziellen Ende der Amtszeit von Kommissionschef Jean-Claude Juncker.

Diese aus Brüssel aufgebaute Drohkulisse geht nun gerade Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg deutlich zu weit. „Die letzten noch offenen Fragen können nicht durch einseitigen Druck der EU, sondern nur durch eine Spur mehr Flexibilität gelöst werden – und zwar auf beiden Seiten“, sagt Michael Link, der europapolitische Sprecher der FDP-Fraktion: „Die deutsche Bundes- und die Stuttgarter Landesregierung sollten ein Interesse daran haben, dies der EU-Kommission deutlich zu signalisieren, denn dieses Abkommen ist für Deutschland und Baden-Württemberg immens wichtig und muss am Ende in der Schweiz eine Volksabstimmung überstehen.“

Das sieht auch der CDU-Politiker Gunther Krichbaum so, der im Bundestag dem Europaausschuss vorsteht: „Wenn in der Schweiz der Eindruck entsteht, dass Druckszenarien aufgebaut werden, kann das nach hinten losgehen.“ Die Brüsseler Kommission müsse diesbezüglich „rhetorisch den Ball flach halten“. Eine Abordnung seines Ausschusses befindet sich derzeit in der Schweiz, um die Lage zu sondieren. Delegationsleiter Markus Töns hat ebenfalls bereits den Eindruck gewonnen, dass „der aus Brüssel kommende Zeitdruck zu ambitioniert“ und „ein Hoppla-hopp-Verfahren“ kontraproduktiv sein könnte: „Ein Mitglied des Nationalrats hat mir hier in Bern versichert, dass ein Nein einfacher zu bekommen sein wird als ein Ja.“

Der interne Bericht des Auswärtigen Amtes geht nicht von einer schnellen Klärung aus – derzeit sei von der Schweiz „bestenfalls ein ,Ja, aber‘ zu erwarten“. Es wird darauf verwiesen, dass vor der endgültigen Annahme durch das Volk noch eine weitere Hürde steht: Die SVP strebt eine Volksabstimmung über die Aufkündigung der Personenfreizügigkeit für 2020 an – nur wenn es abgelehnt wird, so die Einschätzung, könnte auch das Rahmenabkommen in Kraft treten.