Baden-Württemberg ist nach Ansicht von Wissenschaftlern mit seiner ­aktuellen Schuldenbremse auf dem Holzweg. Foto: dpa

Finanzminister wirbt um Zustimmung der Opposition, doch die stellt Bedingungen: Einsparungen schon ab 2013.

Stuttgart - Baden-Württemberg muss seine im Haushaltsrecht verankerte Schuldenbremse nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus rechtlichen Gründen reformieren. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten der Berliner Privathochschule Hertie School of Governance, das Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) in Auftrag gegeben hat.

Die Vorschrift in § 18 der Landeshaushaltsordnung, wonach der Etat „grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten“ auszugleichen sei und auch die Gesamtverschuldung nicht höher sein darf als der am 31. Dezember 2007 erreichte Betrag, sei nicht vereinbar mit der Schuldenbremse des Grundgesetzes, sagte der Wissenschaftler Jobst Fiedler: „Spätestens 2019 müsste man diesen Passus ohnehin ändern.“ Ein Jahr später tritt nämlich das Kreditverbot für alle Länder in Kraft, und diese Vorschrift sei „höherrangig“, sagte auch Schmid.

„Die jetzige Schuldenregel setzt die falschen Anreize“

Der Vorschlag der Gutachter lautet also, die Schuldenbremse als Selbstverpflichtung auch in der Landesverfassung zu verankern und eine Übergangsfrist bis 2019 zu schaffen, in der Kredite noch erlaubt sind. Gleichzeitig soll sich die Regierung verpflichten, dem Landtag „eine jährlich fortzuschreibende Planung zum Abbau des strukturellen Finanzierungsdefizits“ vorzulegen: also einen Plan zum Abbau des Defizits in jährlich gleichen Stufen.

Dies ist nach Ansicht der Gutachter nicht nur rechtlich geboten, sondern auch wirtschaftlich: „Die jetzige Schuldenregel setzt die falschen Anreize“, sagte der Politikwissenschaftler Henrik Enderlein. Um kurzfristiger Einsparungen willen würden zum Beispiel die Investitionen gekürzt. Viel wichtiger sei jedoch, die strukturellen Herausforderungen zu bewältigen – doch das gelinge nicht von einem Jahr aufs andere.

Im Südwesten muss bis zum Jahr 2020 ein strukturelles Defizit von rund 2,5 Milliarden Euro abgebaut werden. Dieser Fehlbetrag schlägt aber bereits beim nächsten Haushalt 2013 zu Buche. Schmid: „Niemand wird 2,5 Milliarden von einem Jahr aufs andere einsparen können.“ Er räumte ein, dass das Land deshalb im nächsten Doppelhaushalt 2013/2014 neue Kredite aufnimmt.

Finanzkrise wirkt sich nach wie vor auf den Landeshaushalt aus

Das weit ehrgeizigere Ziel der Nullverschuldung 2013, das der Landtag im Jahr 2007 festgeschrieben hat, sei „von der Realität“ mittlerweile völlig überholt, sagte auch der Wissenschaftler Jobst Fiedler. So wirke sich die Finanzkrise nach wie vor auf den Landeshaushalt aus, während die Personalausgaben zwischen 2008 und 2011 um 1,5 Milliarden Euro gestiegen seien.

„Wir wollen den Geist von 2007 wieder aufnehmen und wiederum eine Pionierrolle übernehmen“, warb Schmid für eine Verfassungsänderung. Er zeigte sich zuversichtlich, dafür die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag zu erhalten.

Auch CDU und FDP darauf, die Schuldenbremse in die Landesverfassung zu schreiben

Ob die Opposition mitzieht, ist jedoch fraglich. Zwar pochen auch CDU und FDP darauf, die Schuldenbremse in die Landesverfassung zu schreiben, sie verlangen jedoch nicht nur langfristige, sondern auch kurzfristige Einsparmaßnahmen. „ Ziel der Regierung muss auf dieser Grundlage sein, Wege zum Abbau der alten und zur Vermeidung neuer Schulden zu finden“, sagte CDU-Fraktionschef Peter Hauk.

Sein FDP-Kollege Hans-Ulrich Rülke warf Schmid vor, das Gutachten diene ihm „vor allem als Alibi, im Haushalt 2013/14 nicht ausreichend zu konsolidieren, sondern neue Schuldenberge anzuhäufen“. Er habe sich bei Hertie ein Gefälligkeitsgutachten gekauft, um neue Kredite aufzunehmen.

Strikt gegen die Verankerung der Schuldenbremse in der Landesverfassung sprach sich der Landeschef des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Nikolaus Landgraf, aus: „Es ist kein Zeichen von Vernunft, sondern eine politische Kapitulation, wenn ein Parlament ohne Not sämtliche Gestaltungsspielräume aufgibt.“ In einer wirtschaftlichen Krise müsse das Land die Mittel haben, um gegenzusteuern. Diese Mittel müssten in guten Zeiten angespart werden.